Graz. Anfang der 1970er-Jahre entstand das California Institute of the Arts (CalArts), eine Kunstschule, in der pädagogische Ansätze in der Kunstausbildung, die mit dem traditionellen Kunststudium nichts zu tun haben wollten, parallel zur Konzeptkunst entwickelt wurden. Studierende wurden im CalArts von Anfang an als KünstlerInnen verstanden, das hierarchische Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden wurde infrage gestellt. So wurden in gemeinsamer Praxis experimentelle Performances, Publikationen und Ausstellungen produziert, die aus dem Atelierraum herausführen und Kunst als soziale Praxis neu definieren konnten. 50 Jahre später sind die Methoden des CalArts in den meistens Studienplänen von Kunsthochschulen zu finden, jedoch in sehr veränderter Form. So dauern die Arbeitsbesprechungen, die im CalArts als Momente gemeinsamer Reflexion eingeführt wurden, nicht mehr mehrere Stunden, sondern sind nach dem gegenwärtigen neoliberalen Zeitmodell in „mid term crits“ und „end term crits“ getaktet.
Um die Entwicklung vom Experimentellen zum Standardisierten zu verstehen, lohnt es sich, die Anfangsjahre der Schule genauer unter die Lupe zu nehmen. Genau das macht die Ausstellung Wo Kunst geschehen kann. Die frühen Jahre des CalArts. Als Forschungsprojekt zwischen der Kestner Gesellschaft Hannover, der Freien Universität Berlin und des metaLAB Harvard Boston angelegt, macht die Schau das CalArts-Experiment in vier Bereichen räumlich betretbar. In den Sektionen „Post Studio“, „Fluxus“, „Media Appropriation“ und „Feminist Art Program“ gibt es neben künstlerischen Arbeiten auch viel Unbekanntes aus dem Archiv des CalArts zu sehen. Curricula, Ausstellungsankündigungen, Fotos etc. und eigens für das Projekt geführte Interviews mit Lehrenden und Studierenden sind zwischen den Videoarbeiten und Installationen eingebettet. Das Display macht dabei keine klare Unterscheidung zwischen der Präsentation der künstlerischen Arbeiten und der vielen Materialien, die drumherum entstanden sind. So sieht man Ann Noëls Testdruck für eine Wörterbuchdefinition von Frau (die Liste beginnt mit „woman is an adult“ und endet mit „woman is male“) genauso wie Judy Chicagos Red Flag. Gerade Letztere steht exemplarisch für das Streben nach einer neuen Politik in der Kunst, von der CalArts angetrieben war. Die Fotolithografie präsentiert einen blutigen Tampon als rote Fahne und schlägt damit vor, feministische Praxis als eine dem Kommunismus gleichgestelle Provokation zu verstehen – ein großer Schritt für die USA der 1970er-Jahre.
Mit dem „consciousness raising“, der Bewusstwerdung weiblicher Erfahrung in Frauengruppen, griff das von Judy Chicago und Miriam Shapiro gegründete Feminist Art Program eine Praxis auf, die der feministischen Bewegung entlehnt war und eine neue, spezifisch feministische Kunst hervorbringen sollte. Dabei blieb das Feminist Art Program eine Ausnahmeerscheinung des CalArts, wo es fast keine Künstlerinnen gab. Genau an dieser Leerstelle arbeiten sich die vielen Projekte ab, die die von der Geschichte vergessenen Frauen in die Öffentlichkeit zurückholen. In der Ausstellung sind Plakate des Women’s Art Festival mit dem Titel Anonymous was a Woman, der West Coast Women Artist Conference sowie der jährlich stattfindenden Dinner Partys von Judy Chicago (von denen auch eine im Griechenbeisl in Wien stattfand) zu sehen. Diese Versammlungen stellen nicht nur einen Versuch dar, ältere und jüngere Generationen von Künstlerinnen zu verbinden, sondern eine Kontinuität patriarchaler Auslöschung von Frauenpositionen in der Kunst zu diskutieren und ihr entgegenzuwirken. Gleichzeitig kann man in der Ausstellung auch einen Einblick in das Womanhouse (1972), eines von Teilnehmerinnen des Programms zu einer Reihe von feministischen Rauminstallationen umgebauten Hauses in Kalifornien, gewinnen. Jeder private Raum, vom Badezimmer bis zum Schlafzimmer, wurde für Performances genutzt, die die Einschreibung sozialer Ungerechtigkeit in den weiblichen Körper ersichtlich machen.
Gerade weil die Verbindung Kunst und Feminismus im CalArts so gelungen ist, fragt man sich aus heutiger Perspektive, warum die Bürgerrechtsbewegung keinen Eintritt in die Kunstschule gefunden hat. Beispielsweise blieb die geografische Nähe zur Black Panther Party scheinbar völlig unbedeutend und wurde, im Gegensatz zum (vor allem weißen) Feminismus, auch nicht als politisch interessant empfunden. Zentral erscheint daher in der Ausstellung die Arbeit von Daniel Joseph Martinez, Doug Hubler’s Cadillac (1976), einem Schüler von Hubler, die sich ausdrücklich mit Rassismus im CalArts befasst. Die Fotoserie nimmt Hubler als dominanten weißen Professor ins Visier, neben drei Porträts von Hubler steht ein vertikal aufgerichtetes „Porträt“ seines Autos, eines schwarzen Cadillacs. Das Verhältnis zwischen dem weißen Professor und der weitestgehenden Abwesenheit schwarzer Studierender, kommt im Fetischobjekt des „black cadillac“ sehr amüsant zum Vorschein. Die einzige schwarze Künstlerin in der Ausstellung gehört jedoch bereits der nächsten Generation an: Carrie Mae Weems ist mit einigen beeindruckenden Exemplaren ihrer Fotoserie Family Pictures and Stories (1981–82) vertreten.
Hier manifestiert sich zugleich ein Grundproblem der Ausstellung: Sie schwächt das historische Potenzial der künstlerischen Arbeiten, indem sie sie den Dokumenten aus dem Archiv gleichstellt. Dabei wird genau jener Erfahrungsraum der Kunst, der Geschichtsschreibung jenseits des direkt Referenziellen zulassen kann, verschlossen. Wenn sich durch diese Herangehensweise die strukturellen Problematiken der Kunstausbildung nicht adressieren lassen, so führt das dazu, dass auch kein historisches Korrektiv in die Anfangsjahre von CalArts eingefügt werden kann. Es bleibt daher in der Ausstellung unangetastet, wie sehr CalArts zu einer Normalisierung der künstlerischen Biografien im Nachkriegsleben mit seiner Konsumkultur und Marktwirtschaft beigetragen hat und wie sehr rassistische Parameter die Etablierung dieses System bis heute fortführen.