Sandra Schäfers Videoinstallationen Mleeta (2016) und Constructed Futures: Haret Hreik (2017) befassen sich mit Wiederaufbauprojekten der Hisbollah im Libanon, bei denen Architektur für den Herstellungsprozess von Landschaft, Raum und Erinnerung eine wichtige Rolle spielt. Sowohl die Rekonstruktion des Stadtteils Haret Hreik in Beirut nach dem israelischen Luftangriff 2006 als auch die Konzeption des Mleeta-Museums, eines von der Hisbollah betriebenen Kriegsmuseums im Südlibanon, werden von der Organisation als Akte des Widerstands gegen Israel verstanden. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit diesen (militanten) Inszenierungen hat Schäfer nun das Buch Moments of Rupture: Space, Militancy & Film in der Reihe metroZones vorgelegt, worin sie ihre künstlerischen Arbeiten in die Tradition des „militanten Kinos“ einschreibt.
In einem historischen Rekurs auf ästhetische Verfahren, wie sie von Octavio Getino und Fernando Solanas im Zuge der Befreiungs- und Entkolonialisierungskämpfe der 1960er- und 1970er-Jahre artikuliert wurden, benennt Schäfer signifikante Merkmale – beispielsweise den Mut zum prozesshaften, experimentellen und situativen Filmemachen, das die passive Position der ZuseherInnen aufbrechen soll. Als besonders fruchtbar erweist sich dabei die Frage nach dem „Anderswo“, wie sie Jean-Luc Godard und Anne-Marie Miéville mit ihrem Film Ici et ailleurs (1976) aufgeworfen haben: Wie vermag man sich einer Realität fern der eigenen politisch anzunähern? Diese Frage der Annäherung – in Schäfers Fall an die Tätigkeiten der Hisbollah im Libanon – stellt sich für die Künstlerin zentral, zumal sie sich nicht „auf der Seite“ der Hisbollah sieht. Hier erweist sich der Empathiebegriff, wie er etwa von Harun Farocki und Antje Ehmann formuliert wurde, als hilfreich. Empathie, wie sie Schäfer auf ihre künstlerischen Interventionen angewendet wissen will, wird nicht als eine Form von feeling im Sinne von Affirmation oder Identifikation verstanden, sondern als „aktive Praxis des Hörens und Sehens“.
Die penible Herleitung ihrer eigenen, ästhetischen Positionierung erlaubt Schäfer eine Rekapitulation politischen Filmemachens, nicht nur im lateinamerikanischen Raum, sondern auch in der Bundesrepublik nach 1968. Daraus ergibt sich die spannende Archäologie einer politischen Filmpraxis seit den 1960er-Jahren (Holger Meins, Ulrike Meinhof, Rainer Werner Fassbinder, Harun Farocki und anderen), die bis in die jüngere Gegenwart hineinreicht und Formen eines „disobedient act of seeing“ (Judith Butler) auch in gegenwärtigen Arbeiten wie etwa den Filmen von Laura Poitras findet. Poitras’ Citizenfour und Risk sind für Schäfer Beispiele einer militanten Praxis, die sich aus den Umständen der Entstehung der Filme ergibt – im Fall von Citizenfour sind dies die Notwendigkeit der Verschlüsselung von Nachrichten, das mehrfache Überschreiten von Landesgrenzen, die Zusammenarbeit von Filmemacherin und JournalistInnen etc. Zugleich bietet Poitras’ Film Risk, ein von Ambivalenz geprägtes Porträt des WikiLeaks-Gründers Julian Assange, ein treffliches Beispiel für die Komplexität eines politischen Empathiebegriffs jenseits identifikatorischer Befindlichkeiten.
Im zweiten thematischen Abschnitt des Buchs weitet Schäfer ihre Analyse des militanten Bilds und die daran geknüpfte künstlerische Selbstverortung auf die Produktion von militanten Räumen am Beispiel der Bauprojekte der Hisbollah aus. Eine durchgängige Lesart von „Resistance“, wie sie im militanten Kino als Revolte der Marginalisierten gegen eine hegemoniale Übermacht formuliert wurde, lässt sich hier nicht mehr finden. Stattdessen wird der Begriff zu einem empty signifier für widersprüchliche Bedeutungsinhalte, was vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass die Hisbollah uneingeschränkt das Assad-Regime in Syrien unterstützt. Schäfer untermauert ihre bis ins kleinste Detail unterfütterte Lesart der von der Hisbollah geschaffenen Räume und die daran geknüpfte Erinnerungspolitik mit einem beinahe schon ausufernden, extensiven close reading ihrer eigenen Videoinstallationen. So konterte sie beispielsweise die strengen Reglementierungen seitens der Hisbollah, was die Erlaubnis von Filmaufnahmen im urbanen Raum von Haret Hreik betrifft, mit dem gänzlichen Verzicht auf Außenaufnahmen oder zeigt InterviewpartnerInnen nur in deren räumlicher Umgebung, nicht aber deren Gesichter. Durch diese ästhetische Strategie verschiebt sich der Fokus auf die Stimme und das Gesprochene und macht das architektonische Interieur zum Raum der Reflexion.
Im abschließenden Kapitel dokumentiert Schäfer die (Publikums-)Reaktionen auf ihre Arbeit in unterschiedlichen Kontexten, um diese daraufhin wiederum selbst zu kommentieren. Anlässlich der Diagonale in Graz etwa entstand für den Festivalkatalog eine Filmbeschreibung von Constructed Futures: Haret Hreik, die Formulierungen enthielt, welche Sandra Schäfer irritierten. Sie korrigierte diese – und bat die Festivalleitung, den Text inklusive ihrer Korrekturen zu publizieren. Diese Feedbackschleifen nehmen teilweise kuriose Formen an, bekräftigen aber in ihrer Konsequenz eine zentrale Forderung des militanten Kinos, gegenüber dem Publikum eine konfrontative Haltung einzunehmen.