Bern. Diese Ausstellung kam zur richtigen Unzeit. Coronabedingt konnte man sie über weite Strecken zwar nicht besichtigen und musste sich mit Fotos oder Videos im Internet begnügen. Doch genau das wurde ihrem Thema gerecht: Dandys sind Menschen, denen man aufgrund ihrer Künstlichkeit und Distanziertheit auch im Meatspace niemals „direkt“ begegnen kann. Vielmehr ist es, als träfe man auf stilvoll designte, kühle Maschinen oder auf schillernde Hologramme aus einem Kunstprojekt. Die große Medialisierung-Virtualisierung infolge der Pandemie hat Kunst und Kultur selbst in einen Dandy verwandelt: unnahbar, artifiziell, definiert durch Schein-als-Sein. So betätigte sich das auf dandyeske Weise wandlungsfähige Coronavirus als ungebetener Co-Kurator der Themenausstellung No Dandy, No Fun in der Kunsthalle Bern.
Es war nicht nur Covid-19, das die von Hans-Christian Dany und Valérie Knoll ausgerichtete Schau zu einer der wichtigsten des jungen Jahres im deutschsprachigen Raum machte. Knoll und Dany exhumierten den im Zuge der Postmodernedebatte der 1980er- und 1990er-Jahre wortreich zu Grabe getragenen Dandy, um ihn einer virulenten Form von Identitätspolitik entgegenzusetzen: jener der Essenzialisierung und Trivialisierung von Identitäten, die man aus gut gemeinten Gründen „sichtbar“ machen wollte – mit dem Ergebnis, dass sie in der Medienöffentlichkeit, in der Politik, im Aktivismus und in der Wirtschaft als „authentisch“ verdinglicht oder gegeneinander ausgespielt werden können.
Diese identitäre Identitätspolitik konfrontierten Knoll und Dany mit einem Panorama explizit künstlicher, schwer greifbarer Identitätsexperimente vom 19. Jahrhundert bis heute. Dabei ging es ihnen nicht darum, die vertretenen KünstlerInnen, DesignerInnen und AutorInnen wie Hanne Darboven, Martin Kippenberger, Elaine Sturtevant, Andrea Fraser, Victoire Douniama, Marc Camille Chaimowicz oder John Kelsey, Frantz Fanon oder Guy Debord zu Dandys zu erklären. Auch sollte ihnen nicht in jedem Fall ein expliziter Bezug zu Geschichte und Theorie des Dandytums unterstellt werden. „Dandy“ und „Dandyismus“ dienten Knoll und Dany vielmehr als diskursive Hintergrundfolie, vor der sie ihre mehr als 60 Exponate konturierten – heute würde man sagen: „framten“. Andererseits bezogen sie auch Dandy-Klassiker wie James McNeill Whistler oder Raymond Roussel ein, allerdings in unmittelbarer Nähe zu aktuellen Arbeiten etwa aus dem Bereich Black Dandysm (Victoire Douniama, fotografische Porträts südafrikanischer Sapeurs, 2020) oder Mode für Transfrauen (Gogo Graham, 2021). Dergestalt schufen sie eine komparative Versuchsanordnung: Was haben diese Phänomene miteinander zu tun? Was verbindet, was unterscheidet sie? Die losen Assoziationsketten und spielerischen Verflanschungen bildeten keinen Makel, sondern im Gegenteil ein konsequent nicht-identitäres Öffnen von Denkräumen, die durch den Ariadnefaden der Kritik an essenzialistischer Identitätspolitik verbunden waren. Wie das im Detail aussah?
Aufgrund der Vielzahl der Kunstwerke, Kleidungsstücke (darunter ein Lederfetischkostüm von Karl Lagerfeld) sowie Bücher und Broschüren in Vitrinen können hier nur schlaglichtartig einige Exponate herausgegriffen werden. Im ersten Raum der Ausstellung suchten drei junge, schlanke, gediegen gekleidete, aber doch auch Normcore-verdächtige Herren aus einem Ölgemälde von Lukas Duwenhögger den Blick der BetrachterInnen (Study in Green, 1997). Das Bild war symptomatisch für das kuratorische Wabern der Ausstellung: Sind die Blicke einladend? Freundlich-indifferent? Oder vielleicht ein wenig spöttisch? Würde man auf homoerotische Anspielungen tippen, wenn man nicht wüsste, dass dies eines der zentralen Themen Duwenhöggers ist? Vielsagend war die Karikatur Anti-Dandy Infantry aus dem Jahre 1819 im selben Raum: Die handkolorierte Radierung zeigt, wie besorgte Bürger Dandys gewaltsam impfen – gegen Fahrradfahren! Bereits in dieser Zeit galt der „Velocipedist“ offenbar als effeminierter, hyperkultivierter Hipster – man denke nur an die Warnung des ehemaligen polnischen Außenministers Witold Waszczykowski vor einer „Welt aus Radfahrern und Vegetariern“, die einen „neuen Mix von Kulturen und Rassen“ anstrebten (2018). Die Wirkung des Dandys ist eine irritierende und destabilisierende, heute wie gestern.
Im weiteren Verlauf der Ausstellung durchquerte man einen mit billiger Goldfolie tapezierten Raum (Lutz Bacher, It’s Golden, 2013), der an einen Aphorismus von Stanisław Jerzy Lec erinnern mochte: „Lebenskünstler leben von den Zinsen eines nicht vorhandenen Kapitals.“ Fake it ‘til you make it. Wenn du kein echtes Gold hast, nimm eben Folie – zumindest im Kunstbetrieb kannst du es damit nach oben schaffen! Kai Althoff, diese Sphinx einer prolongierten Postmoderne, war mit Zeichnungen vertreten, deren Figuren vom Romantiker Moritz von Schwind (1804–71) stammen könnten (Ohne Titel, 1999). Im Untergeschoss der Kunsthalle starrte der HipHop-Star Kanye West von einer Fotografie Heji Shins (KW6, 2018) in Richtung einer Vitrine, die eine Auswahl an Schriften zum Thema Black Dandysm versammelte. Faszinierend liest sich etwa die Lebensgeschichte von Julius Soubise, einem freigelassenen schwarzen Sklaven im England des 18. Jahrhunderts, der, zu Vermögen gekommen, einen Dandy-Lebensstil pflegte. In Ulrike Ottingers Experimentalfilm Bildnis einer Trinkerin (1979) schließlich liefen die Fäden der Ausstellung in einer einzigen Frage zusammen: „Wer vermöchte anders als in Attitüden zu leben?“ No Dandy, No Fun bildete ein Wimmelbild voller queerer Attitüden als Fragen – und durchkreuzte so einen Zeitgeist, in welchem sich einerseits die alten Normidentitäten wieder machtvoll erheben, während andererseits sogar das Nicht-Normative im Begriff ist, zur Identität, das heißt, zu einer Antwort zu werden.