Vaduz. Verschlungene Arabesken, abstrahierte Blüten oder zarte naturalistische Szenen sind auf einer Reihe von Blättern zu sehen – sie stammen überwiegend von Frauen und sind in spiritistischen Sitzungen entstanden: Frau Brakhan folgte den Eingebungen eines Kontrollgeists, Fritzi Libora-Reif zeichnete „Seelenbilder“ unter überirdischer Führung und Therese Vallent stellte ihr „mediumistisches“ Können gar vor Publikum unter Beweis. Ohne abzusetzen oder die Hand aufzustützen, begann die 1863 geborene Wienerin mit einer Linie, die am Ende eine zarte Mondblume (1899) ergab. Die so entstanden Blumen- und Pflanzenbildern sollten übergeordnete Wahrheiten ausdrücken. Um 1900 treten sie gehäuft auf. Das lässt darauf schließen, dass Zeitenwenden und Krisen diese Befragungen befördert haben, die man in der Ausstellung Parlament der Pflanzen im Kapitel „Wunderkammer“ präsentiert. Neben aktuellen künstlerischen Positionen und einem Projektraum bilden sie einen der drei Erzählstränge, die sich um die derzeit akute Krise drehen: die geologischen, biologischen und klimatischen Veränderungen, die der Mensch ausgelöst hat.
Man verbindet damit Bilder von schmelzenden Gletschern, Überschwemmungen oder Waldbränden; die Ausstellung von Christiane Meyer-Stoll hält den Ausgang des Anthropozäns noch für offen, setzt aber ein Bewusstwerden der Menschen voraus. Dafür greift sie auf sämtliche Speicher von Wissen zurück und legt eine Spur von den spiritualistischen Ritualen hin zur Gesellschaftstheorie Bruno Latours, wenn sie in Anlehnung an dessen Buch Parlament der Dinge den Pflanzen eine Stimme gibt – und das nicht nur im übertragenen Sinne: Edith Dekyndt brachte gemeinsam mit einem Musiker Pflanzen zum Klingen und ihre Töne anschließend zum Leuchten. Im Rahmen ihrer Versuchsanordnung L’ennemi du peintre (2011) präsentiert sie das Ergebnis des Experiments, aber auch wissenschaftliche und literarische Referenzen, in denen sie Potenzial zur Verständigung zwischen Menschen und Pflanzen erkannte.
Jef Geys suchte diese Auseinandersetzung bereits Ende der 1960er-Jahre. Im Rahmen seiner Detournément-Ausstellung verwandelte er die Antwerpener Galerie Kontakt in einen Laden mit selbstgebackenem Brot und Gemüse. Am Ende chauffierte er den Rosenkohl durch die Gegend und erläuterte ihm die umliegende Landschaft. An der Reziprozität interessiert lebt seine Arbeit Quadra Medicinale (2016) wiederum vom Wissen der Pflanzen. Im Zentrum stehen Unkraut, Gräser und Blumen aus seiner unmittelbaren Umgebung und das, was man von ihnen über Heilung – durch alternative Formen des Wachstums, Verfaulens, Verwandlung und Erneuerung – lernen kann.
Mit einer Pflanze der unmittelbaren Umgebung hat sich auch Uriel Orlow befasst – allerdings in Afrika. In Learning from (Artemesia) widmet er sich der Artemesia afra, die – obgleich von der WHO nicht akzeptiert – zur Malaria-Prophylaxe überaus wichtig ist. In einem Video und in partizipativen Projekten behandelt Orlow die Pflanze wie eine „Akteurin in der Geschichte“. Sie erzählt vom Zurückdrängen traditioneller Medizin zugunsten der Pharmaindustrie und dem Fortwirken des Kolonialismus in globalen Handels- und Machtstrukturen.
Heilung, sei es von einer Krankheit oder auch von historischem oder gesellschaftlichem Unrecht, ist wiederholt Thema. Andrea Büttner stellt etwa Moose ins Zentrum ihrer Installation, die seit Carl von Linné als „Pflanzen niedriger Ordnung“ gelten. Die Künstlerin, die sich immer wieder mit Gesten von Armut und Scham befasst, sieht in den Moosen eine Entsprechung. Kristine Oßwald hält über einen Zeitraum von einem Jahr den Verfaulungsprozess eines Baums fest. Das erste Foto, darüber gibt der Titel Aufschluss, ist am 20. März 2003 entstanden, an dem Tag, als mit einem Angriff auf Bagdad der Irakkrieg begann. Oßwalds Fotografien sind extrem fokussiert, Paweł Althamer und Artur Zmijewski halten dagegen auf Video ihr Naturerleben unter Einfluss pflanzlicher Substanzen fest. Ihr Interesse an Prozessen der (Ent-)Subjektivierung ist verwandt mit der eingangs erwähnten „mediumistischen“ Kunst oder auch der Installation von Athéna Vida, deren Dimensionen symbolistisch aufgeladene Zahlen (3,33 und 4 Meter) bestimmen.
Welche Bedeutung der politische Kontext für das Naturstudium hat, zeigen die Œuvres von Jochen Lempert und Stefan Bertalan auf eindrückliche, wenngleich völlig verschiedene Weise. In der Schwarz-Weiß-Trilogie Krabbeln, Schlafen, Fliegen nähert sich der deutsche Fotograf Lempert der Kommunikationsfähigkeit einer Brennnessel an: Das Foto zeigt eine Pollenwolke, die die Pflanze gerade aus einer „Pollenkapsel“ geschleudert hat. Stefan Bertalan, ein wichtiger Vertreter der rumänischen Neoavantgarde, wandte sich erst im Exil in Deutschland der Natur zu. In feinen Zeichnungen hielt er die jahreszeitlich bedingten Veränderungen von Bäumen fest. Er sezierte Blüten und Blätter und zeichnete Selbstporträts, auf denen sein Gehirn und sein Körper mit Blumen und Ästen verwachsen sind. Das Wissen, dass den Künstler die politische Realität zu dieser paranoid-introvertierten Identifizierung trieb, lässt die Fotografien von Isabella Hollauf gleich noch befreiender wirken – die großformatigen Prints zeigen eine Ruine in der Nähe von Prag, die ein Nobelort der sozialistischen Schickeria war. Mittlerweile muss man danach suchen, weil Pflanzen den Pool und das Gebäude auf einer Anhöhe fast zur Gänze „verschlungen“ haben.
Zumindest in diesem Augenblick der Geschichte ist es ein „Freistaat der Pflanzen“ (Georg Schöllhammer) – das lässt die Bäume und Sträucher zu unverzichtbaren politischen Verbündeten werden und auch Anna Jermolaewa verweist mit ihrer Blumenstraußinstallation auf diese Kraft. Sie hat Nelken, Rosen, Orangenzweige, Zedern, Jasmin usw. versammelt, allesamt Blumen, die die friedlichen Revolutionen von Portugal bis Ägypten begleitet und ihnen ihre Namen gegeben haben.