Heft 1/2021 - Netzteil
„Kunst und Technik, eine neue Einheit“, benannte 1923 das Weimarer Bauhaus seinen Systemschwenk hin zu einer an industriellen Methoden orientierten Geisteshaltung. Bereits 1909 hatten die italienischen Futuristen in ihrem Gründungsmanifest die Schönheit eines Rennwagens, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen, als einer Nike von Samothrake überlegen gefeiert, mit ihrer Misogynie, Gewalt- und Kriegsverherrlichung aber ein ziviles Kunstverständnis hinter sich zurückgelassen. Hätte demgegenüber nicht, vor allem nach den Traumata des Ersten Weltkriegs, eine technikskeptische Zivilisationskritik zum Programm einer fortschrittlichen Kunstschule gehört, als Movens ihrer AkteurInnen?
Zur Mitte des 20. Jahrhunderts ließ sich mit partizipativ-interaktiven und kinetisch-apparativen Formen eine neuerliche Technikeuphorie in den Künsten bemerken. KünstlerInnen wurden mitunter zu IngenieurInnen, arbeiteten mit aktuellen Technologien und pflegten Interesse an wissenschaftlicher Forschung. Doch jenseits einer neuartigen Ästhetik mochten wohl nur solche Haltungen Relevanz entwickeln, die mit klarem Gegenwartsbewusstsein ihrem technischen Korsett Symbolfunktion zuschrieben, so wie Jean Tinguely in seiner Hommage à New York, einer Auftragsarbeit des MoMA. Als Gleichnis der hyperaktiven Finanzmetropole, die sprichwörtlich nie schläft, ersann Tinguely seine erste autodestruktive Apparatur. Am 17. März 1960 im Skulpturengarten des Museums in Gang gesetzt, zerlegte sich die absurde Maschinerie in einem halbstündigen Spektakel selbst, lediglich ein unzerstörtes Fragment verblieb der Museumssammlung. Der Fetisch Objekt als künstlerischer Leistungsbeleg war überwunden, in einem assoziationsreich flüchtigen Prozess und einigen dokumentierenden Fotos aufgegangen.
Im Rückblick erscheint Tinguelys Aktion fast wie ein Vorbeben der 1972 veröffentlichten Studie des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums. Sie warnte in mehrmals aktualisierten Modellberechnungen vor dem globalen Systemzusammenbruch: spätestens 2100, bei weiterem „business as usual“ sogar schon ab 2030. Wie reagiert nun die gegenwärtige Kunst auf solch apokalyptische Szenarien? Was hat sie zur evidenten Zerstörung der Umwelt, der ungebremsten Ausbeutung der Energieressourcen, der Veränderung des Klimas zu sagen? Ist sie überhaupt in der Lage, mit ihren Mitteln, wenn schon nicht einzuwirken, so doch erkenntnisstiftend zu kommentieren?
Jüngere KünstlerInnen reflektieren etwa Branchenstandards wie die hohe Mobilität und deren CO2-Bilanz. Der Berliner Andreas Greiner, 2019 mit dem Nachwuchspreis des Kaiserring-Stipendiums der Stadt Goslar ausgezeichnet, hat seit 2018 kein Flugzeug mehr bestiegen, seine Ernährung umgestellt und sich dem Umweltaktivismus zugewandt. Aber: Der 1979 Geborene gesteht, bis dato wohl so viele Flugkilometer zurückgelegt zu haben wie seine Eltern im Laufe ihres gesamten Lebens.
Als Gegenpart eines verschwenderischen Lebensstils interessiert Greiner der Wald, denn bereits in der kursächsischen Forstordnung von 1560 wurde das Nachhaltigkeitsprinzip angelegt. Fotografien – aus dem umkämpften Forst im Braunkohletagebaugebiet Hambach oder dem gefährdeten polnisch-weißrussischen Białowieża-Urwald – lässt Greiner mittels künstlicher Intelligenz zu phänotypischen Waldbildnissen verschmelzen: Videobewegtbilder, statische Ausdrucke, konzentriert kleinformatig oder in eindrucksvoller Dimension. Seine Ausstellung im Goslarer Mönchehaus Museum wollte bis Anfang 2020 so die Funktion des Walds als physisch-chemisches wie gleichermaßen emotionales Reservoir anklingen lassen. Ein Haken bei der Sache: Die Rechner- und Speicherkapazitäten zur Generierung der Bilder verschlangen wohl ebenso viel Strom wie ein deutscher Durchschnittsmensch während eines gesamten Jahres benötigt.
Technologie, Ökologie und künstlerische Praxis zusammendenken – das wollten der Kunstverein Wolfsburg unter der Direktive von Justin Hoffmann und acht TeilnehmerInnen im Herbst 2020 in ihrer Ausstellung Erneuerbare Medien. Das Spektrum umfasste Joaquin Fargas’ Don-Quixote-artige Solarroboter, die einer Polschmelze mit künstlichen Eiskristallen oder der Wüstenbildung mit Wasserkondensat begegnen möchten, metaphorisch aufgeladenen Berliner Sperrmüll von Aram Bartholl oder das tatsächlich realisierte, pedalbetriebene Fahrradkraftwerk Lohberg bei Dinslaken. Martin Kaltwasser lässt damit ein Freilichtkino im Kulturpark eines aufgelassenen Steinkohlebergwerks versorgen.
Die Nutzung „erneuerbarer Medien“, etwa der Sonnenenergie, ist allerdings nicht neu. So nahm 1913 das wohl weltweit erste Parabolrinnen-Solarkraftwerk seinen Betrieb auf, konstruiert vom US-amerikanischen Erfinder Frank Shuman (1862–1918). Rund 25 Kilometer südlich von Kairo gelegen betrieb es ein Pumpwerk zur Versorgung entfernter Baumwollfelder mit Nilwasser. 2008 machte das Schweizer Kunstduo Christina Hemauer und Roman Keller zur Kairo Biennale auf diese vergessene, technikgeschichtliche Pioniertat aufmerksam, baute einen Teil der Stahlkonstruktion als No. 1 Sun Engine nach und platzierte am historischen Standort einen Informationskiosk. Seit 2007 tüfteln Hemauer und Keller zudem an ihrer solargetriebenen Rakete, die immerhin eine Flughöhe von 300 Metern erreicht. Und bereits 2005 gelang es ihnen, die metaphorische Capri-Batterie von Joseph Beuys – eine Zitrone mit angefügter, wie leuchtend erscheinender Glühlampe – tatsächlich in eine funktionsfähige Lichtapparatur zu überführen: Come on Beuys, shine! -Dokumentationen waren in Wolfsburg zu sehen.
Beuys, Übervater einer Kunst, die beständig humane und ökologische Fragen thematisierte, bezog reale wie symbolische Energieträger ein: Fett, Filz, Honig. Als kunsthistorische Referenz diente in der Wolfsburger Ausstellung sein Multiple Phosphor-Kreuzschlitten von 1972, worin er der vielschichtigen Kraft dieses chemischen Elements nachging. Der wichtige Mineralstoff im menschlichen Stoffwechsel ist auch Rohstoff für Düngemittel, hat als selbst entzündliche Substanz aber auch eine destruktive Geschichte als Brandmunition oder Phosphorbombe im Zweiten Weltkrieg.
Dem friedlicheren Thema der Früchte als Energiequelle, nicht nur im physischen Verzehr, widmet sich Ingo Schulz, der in seinem Ausstellungsbeitrag Fallobst über Drähte zu galvanischen Elementen verband. Ihre Fruchtsäure ist Elektrolyt und dient der spontanen Umwandlung von chemischer in elektrische Energie. Schulz, Jahrgang 1962 und seit 2002 künstlerisch-wissenschaftlicher Leiter des Labors für Klangkunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, plant neue und erweiterte Varianten seiner Obst-Power, etwa das Erste niedersächsische Fallobstorchester.
Im Landschaftsgarten des Schlosses Wolfsburg, Standort des Kunstvereins, reinszenierte der Münchner Emanuel Mooner die wohl erste, mit Fotovoltaik betriebene Soloschau Deutschlands. 1972 als Emanuel Günther geboren, hat Mooner lange Erfahrung als Musiker, DJ und Installationskünstler. Vor eine stattliche alte Rotbuche platzierte er eine leuchtendorange Schutzhütte. Bequem auf einer Bank sitzend ließ sich dort dem Sphärengesang lauschen, den dieser Singing Garden kraft Fotosynthese produzierte. Zwei Ästen und ihrem Laub waren Informationsströme abgenommen, ein Frequenzwandler transformierte sie zu Synthesizerklängen: bei bedecktem Himmel ein lichtes Tonwerk, bei Sonnenstrahlung eine chaotische Kakofonie.
Ingo Schulz arrangierte dazu im „Pleasure Ground“ noch seine Trockenübung: Eine Gruppe Kreisregner, wie sie in der Landwirtschaft verwendet werden, die nun, ihrer Primärfunktion beraubt, ein solarbetriebenes polyrhythmisches und mehrstimmiges Klangwerk aufführte. Eine feine TecArt, die mit minimalistischem Auftritt und zarter Ironie durchaus grundsätzliche Fragen nach der Existenz des Menschen in einer durch ihn überformten, besser: deformierten Natur anreißt.