Heft 2/2021 - Netzteil
Seit 2009 untersucht das von Anab Jain und Jon Ardern gegründete Studio Superflux komplexe Ökologien, Ökonomien und Funktionsweisen globaler infrastruktureller Netzwerke. Während frühere Arbeiten von Superflux wie The Future Starts Here (2018) von der Infrastruktur digitaler Netzwerke, bestehend aus Unterseekabeln, Servern, Bitcoins, und 4G-Türmen erzählten, befasst sich ihre neueste Arbeit mit organischen Netzwerken, mit denen wir Menschen unabdingbar verwoben sind.1 Im Rahmen der diesjährigen Vienna Biennale for Change zeigen Superflux mit INVOCATION FOR HOPE eine Vision einer post-anthropozentrischen Gegenwart, die nicht mehr vom Menschen allein bestimmt wird.2 „Wie funktioniert das ‚Weltenmachen‘ in unserer abgewrackten Gegenwart?“ „Wie erschafft sich die Welt selbst?“ Diese Fragen könnten am Anfang des Gestaltungsprozesses von Anab Jain und Jon Ardern und ihrem Team gestanden sein. In ihren Gestaltungsprozessen nimmt das anglo-indische Duo oftmals eine kulturübergreifende Perspektive ein, die es ihnen erlaubt, mögliche Zukünfte durchzuspielen, die nicht ausschließlich dem weißen Tech-affinen Silicon Valley entstammen. „Verschiedene Kulturen denken unterschiedlich über das menschliche Dasein in dieser Welt nach“3, sagt Anab Jain und erinnert sich an Erzählungen aus ihrer Kindheit aus der Indischen Mythologie: „Es gab diese Art des Geschichtenerzählens, die artenübergreifend war.“4 In der neuesten Arbeit der Designer*innen trifft mythisch-poetische Erzählung auf die Rekonstruktion einer realen Umgebung.
Mit INVOCATION FOR HOPE inszenieren Superflux einen verbrannten, monokulturell bepflanzten Wirtschaftswald, der uns einerseits mit unseren Ängsten konfrontiert – der Zerstörung der Umwelt –, andererseits aber auch konkrete Wege aufzeigt, wie der Schock des Klimawandels abgemildert werden kann. In der MAK-Ausstellungshalle wurden mehr als 400 verbrannte Bäume aus der Region Neunkirchen in Niederösterreich in einem Raster neu angelegt. Unter künstlicher Beleuchtung findet sich eine lebendige Ökologie aus Jungbäumen, Moosen und Farnen. Im Inneren der Installation können sich Besucher*innen in einem künstlichen „Teich“ in einer mehr-als-menschlichen Welt spiegeln. Die Installation wird von einer Klangkulisse des Musikers Cosmo Sheldrake5 begleitet; Aufnahmen von Pflanzenwurzeln, die unter Wasser Photosynthese betreiben, das Zischen von Teichbewohner*innen, die Laute eines Waldkauzes und anderen Lebewesen erzählen von der Artenvielfalt heimischer Wälder.
Superflux beschäftigten sich mit den Auswirkungen einer sich schnell verändernden Welt. Die Folgen steigender Meeresspiegel, Waldbrände, Dürre und Wüstenbildung haben spürbare Ausmaße angenommen. Die Verheißungen möglicher Zukünfte scheinen durch gesellschaftliches Verhalten, das auf Individualismus, Egoismus und Kapitalismus basiert, verdunkelt zu werden, damit ist die Dringlichkeit gegeben, sich auf andere Arten, Wesen und Welten zu konzentrieren.6 Aktuell spüren wir mehr denn je, dass wir als Menschen immer in Beziehungen zu anderen stehen, zu sämtlichen Lebensformen, die diesen Planeten bevölkern. Wir erkennen, dass es neben unserem menschlichen Wissen auch andere Wissenssysteme gibt, etwa jene von Tieren, Pflanzen oder Viren. Fürsorge zirkuliert in der natürlichen Welt und wird ebenso von nicht-menschlichen Gemeinschaften kultiviert. Das Buch Matters of Care: Speculative Ethics in More than Human Worlds von María Puig de la Bellacasa – eine zentrale Inspirationsquelle der diesjährigen Vienna Biennale for Change – widerspricht der Ansicht, dass Fürsorge etwas ist, das nur Menschen tun.7 Die Autorin beschreibt darin, wie Fürsorge in der natürlichen Welt zirkuliert und von nicht-menschlichen Gemeinschaften kultiviert wird. Wir wissen, dass Bäume sich gegenseitig wahrnehmen. Ihre Wurzelsysteme sind dank eines Netzes von Mykorrhiza-Pilzen8 miteinander verbunden. Das „wood wide web“ ermöglicht den auch für uns lebensnotwendigen Austausch von Wasser, Kohlenstoff, Stickstoff, Mineralien und anderen Nährstoffen. An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, was Anna Lowenhaupt Tsing in ihrem Buch The Mushroom at the End of the World sagt: „dass Überleben – für jede Spezies – lebenswerte Kollaborationen erfordert. Kollaboration bedeutet, über Unterschiede hinweg zu arbeiten. Ohne Kollaborationen sterben wir alle.“9 Wir müssen uns eingestehen, dass wir unter Bedingungen leben, auf die die meisten von uns völlig unvorbereitet sind. Auch wenn Kollaboration mit anderen Lebewesen – gerade in pandemischen Zeiten – ein Unbehagen hervorrufen kann, ist INVOCATION FOR HOPE kein dystopisches Szenario. Vielmehr ist es ein Raum, der die Hoffnung und den Wunsch nach transformativem Handeln nährt, mit Bewusstsein und Verantwortung für den Planeten. Mit INVOCATION FOR HOPE laden Superflux und die Kuratorin Marlies Wirth dazu ein, sinnlich eine Gegenwart zu erleben, in der trotz Zerstörung durchaus Chancen bestehen, sich auf der Basis von Regeneration, Umverteilung und der Wertschätzung anderer Spezies eine wiederauflebende Welt vorzustellen.10
[1] María Puig de la Bellacasa, Matters of Care: Speculative Ethics in More than Human Worlds- Minnesota/London 2017.
[2] INVOCATION OF HOPE ist Teil des Projekts CreaTures (Creative Practices for Transformational Futures) und aus Forschungsgeldern der Europäischen Union im Rahmen von Horizon finanziert.
[3] Anab Jain im Gespräch mit Aleks Krotoski, Standing on the Shoulders, Podcast, Season 01, 2020, https://standingontheshoulders.net/anab-jain/
[4] Ibid.
[5] Cosmo Shedrake ist der Bruder des Biologen Merlin Shedrake, Autor des Buches How Fungi Make Our Worlds, Change Our Minds & Shape Our Futures. London 2020.
[6] Siehe Fußnote 3.
[7] Siehe Fußnote 1.
[8] Als Mykorrhiza wird eine Form der Symbiose von Pilzen und Pflanzen bezeichnet, bei der ein Pilz mit dem Feinwurzelsystem einer Pflanze in Kontakt ist.
[9] Anna Lowenhaupt Tsing, The Mushroom at the End of the World. On the Possibility of Life in Capitalist Ruins. Princeton 2017.
[10] INVOCATION FOR HOPE, kuratiert von Marlies Wirth ist Teil der Hauptausstellung der Vienna Biennale of Change 2021, MAK, CLIMATE CARE: Reimagining Shared Planetry Futures.