„Sobald du in Rumänien bist, bist du tot. So spricht ein Migrant über die Demütigungen, die ihm rumänische Polizisten zufügten.“ (Tageszeitung Libertatea, 30. April 2021)
Iulia Toma beschäftigt sich mit den Themen Flucht und Migration seit dem Höhepunkt dessen, was man 2015 die „Flüchtlingskrise“ nannte, als mehr als eine Million Menschen die Grenzen nach Europa überschritten. Auf dem Weg nach Westen bildeten viele von ihnen lange Marschkolonnen, die über die Äcker Osteuropas und des Balkans zogen.
Seit damals schuf Toma Stickereien, Textilinstallationen und ein Dokumentarvideo, die von den Identitäten und Verschleierungen arabischer Frauen, den Erlebnissen der in Rumänien lebenden Flüchtlinge und den Klischees des „Orients“ handeln, der einst als exotisches Paradies mit üppigem Pflanzenwuchs, wilden Tieren, leicht erregbaren Menschen und bunten Mustern galt. Diese Stereotype waren nicht nur die Arbeitshypothese westlicher Orientalisten im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Sie waren auch Teil des Alltags im sozialistischen Rumänien der Nachkriegszeit. Da die orientalistische Kunstgeschichte dort niemals infrage gestellt wurde, sondern vielmehr als Vorwand diente, die Zeitgemäßheit der Künstler*innen des Landes, was die romantischen Vorstellungen ihrer Zeit betraf, zu untermauern, erschienen die aus dem Nahen Osten stammenden Motive, die Musik, das Essen, die Artefakte und die diversen orientalischen Sitten als etwas Natürliches. Gleichwohl standen sie nicht selten im Widerspruch zu den christlich-orthodoxen Ritualen und Regeln, die das tägliche Leben der Menschen bestimmten, und die weit von der modernistischen Ästhetik des Sozialismus entfernt waren.
Orientalisch gestaltete Teppiche mit malerischen Landschaften, majestätischen Tieren aus drei Kontinenten und Geschichten aus der arabischen Literatur schmückten jahrzehntelang das Innere rumänischer Häuser. Sie mögen von einer Art Eskapismus herrühren, der sich von den asketischen Figuren der orthodoxen Ikonen und von der Geradlinigkeit und den Moralansprüchen des sozialistischen Dogmas gleichermaßen lossagen wollte. Orientalische Bildwelten galten als warm und gemütlich, boten sie doch auf dem Land als Wandbedeckung oft tatsächlich Schutz vor Kälte. Aber auch in den immer kleineren Neubauwohnungen in den Städten, wo Heizen bisweilen ein Luxus war, waren sie beliebt.
Diese Teppiche lieferten Iulia Toma sowohl den Hintergrund als auch genügend Material, um die Heuchelei ihrer Landsleute gegenüber Migrant*innen infrage zu stellen. Und sie tut dies, ohne zu moralisieren, mit feiner Ironie und schönen Wendungen. Indem sie einzig die Tiere aus den Teppichen abstrahiert, präsentiert sie diese als zeitlos. Damit schlägt sie eine Brücke zwischen ihrer häuslichen Umgebung als Kind und den heutigen Geografien der Angst vor Migrant*innen. So macht sie sichtbar, dass das Orientalische bereits in uns ist.
Übersetzt von Thomas Raab