Heft 2/2021 - Dinge, die uns trennen


Undertow

Bildbeitrag

Aleksei Taruts und Serhiy Klymko


Plitsch platsch. Nipp. Stipp. Halt den Atem an und spring in die Fluten des Πόντος Ἄξενος.1 Sein Sog zieht dich an Land und weiter, durch geologische Formationen hindurch, in die Erdkruste. Könnte diese verborgene Strömung die politischen Strömungen Europas verändern?
Die von der Rolle abgewickelten Schlauchstücke im Ausstellungsraum durchdringen die Abtrennungen zwischen den einzelnen Räumen. Sie enthalten ein verhextes geopolitisches Fluidum: Meerwasser aus der Meerenge von Kertsch, das die Halbinsel Krim umspült und nun via die Ukraine und Polen in den Badischen Kunstverein transferiert wurde. Als Ressource ist es erneuerbar, solange die Meerenge von Kertsch mit dem Rhein verbunden bleibt. Das Werk ist sowohl Teil des Kunst- als auch des Wasserkreislaufs. Historische Ereignisse gehören zu einer Ökologie, die aus den globalen Industrialisierungsprozessen resultiert – Meerengen wurden häufig zu militärischen Nahtstellen, Flüsse zu Autobahnen, Meeresböden zu transkontinentalen Streaming-Plattformen. Nur Fossilien sind tot. Gespenster sind wie Gas. Gab es je schönere Gespenster?
Anders als eine normale Expresslieferung, die erst durch die von ihr erregte Fantasie existiert und auch online „insinuiert“ werden kann, wissen wir, dass sich Undertow aus geopolitischen Albträumen speist. Die europäischen Grenzen wurden von einer Strömung hinweggeschwemmt, die ein Leck in den thalassokratischen [vom Meer beherrschten] Frieden schlug. Kann man mit einem Spielzeugdrachen die alten, technologisch immer explosiveren Kräfte der Vergangenheit erschrecken?
Im Zuge russischer Militärmanöver in der Schwarzmeerregion dringen Berichte über Deserteure, die vom Geheimdienst gefasst wurden, in die Medien. Das ungute Gefühl bei der Schaffung unseres Kunstwerks kommt vom Wissen um die Möglichkeit, es könnte verboten werden, weil man die 2014 von Russland annektierte Krim nur besucht hat, um Kunst in die EU zu schmuggeln. Nach der Ausstellung wird das Meerwasser in einen der großen europäischen Ströme geleitet – den Rhein. So wird eine internationale Blase aus Meeresmineralien entstehen, die den Blick für politische Unsicherheiten schärft. War Wasser jemals neutral?

Undertow wurde von Aleksei Taruts (Russland) und Serge Klymko (Ukraine) im Rahmen der Ausstellung Dinge, die wir voneinander ahnen im Badischen Kunstverein in Karlsruhe konzipiert und realisiert.

 

Übersetzt von Thomas Raab

 

1 Pontos axenos (griech.), das unwirtliche Meer. Veralteter Name für das Schwarze Meer.