Erstaunlich, dass Kunst zu einer Funktion globaler Wissensindustrien wurde – verblüffend auch angesichts einer weitverbreiteten Vorstellung von Kunst als kapitalismuskritisch informierter Praxis, und das Buch sei geschrieben, um diese Entwicklung zu verstehen, so Tom Holert in der Einleitung zu Knowledge Beside Itself. In den 250 Jahren der Geschichte des modernen Begriffs bzw. der bürgerlichen Institution war Kunst vor allem für das Schöne zuständig, auch als Motor gesellschaftlicher Prozesse für das Neue, für Erziehung und Unterhaltung – Künstler*innen als Wissensarbeiter*innen hingegen sind eine historisch junge Figur. Mit Peter Osborne weist Tom Holert aber auch darauf hin, dass die Verschweißung von Kunst mit Schönheit geschichtlich vor allem einen nationenbauenden Zusammenhang hat, und also die Verschiebung von Kunst Richtung Wissen auch eine Reaktion war gegen die nationalistisch basierte ästhetizistische Vorstellung, Kunst sei das ganz andere, kategorial getrennt von Wissen. Und selbstredend sei Kunst eine Form von Wissensproduktion, sagt der zitierte Osborne, doch vor allem sei Kunst auch eine spezifische Form der Produktion.
An dieser Form der Produktion sind freilich verschiedenste Akteur*innen beteiligt, und sie ist mit spezifischen Institutionen der Distribution und Konsumption verbunden. Alle haben eigene und je spezifische taktische oder strategische Interessen an einem Reden vom Wissen der Künste, und lohnend wäre, dem spezifischen Investment vor allem der Institutionen in den Kunst/Wissenskomplex noch mehr analytische Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die deutlichsten Formulierungen hierzu finden sich wohl in dem gerade aufgrund seiner historischen Ausrichtung besonders wertvollen Kapitel, das der Karriere des Begriffs „künstlerischer Forschung“ gewidmet ist, mit bibliografischem Anhang zu Literatur der letzten 20 Jahre. Besonders aber macht das Buch vor, wie sich Handlungen von Künstler*innen in dieser neoliberalen Falte der „Epistemisierung der Kunst“ diskutieren lassen als schmale Gradwanderungen zwischen Kritik und Komplizenschaft.
Die historisch fundierte Rekonstruktion zahlreicher Stränge theoretischer und diskursiver Bezugnahmen auf Wissen und Forschung im Feld der Kunst, die das Buch bietet, sind vor allem künstlerischen, institutionellen und parainstitutionellen Handlungsformen gewidmet, die, immer eingeschlossen in die Wissensökonomien des kognitiven Kapitalismus, den Kunst/Wissenskomplex nützen, um sich gegen „Regime der Bewertung und des Vermessens“ zu richten, gegen „die diesen eingebauten Ausschlussmechanismen, die oft genug mit (neo-)kolonialer Herrschaft verbunden sind“. Dabei ist die rekonstruktive Arbeit des Buchs immer hegemoniekritisch, politisch präzise wegorientiert von essenzialistischen Bestimmungen von Kunst und ausgerichtet an queerfeministischen und dekolonialen Wissensbeständen. Liam Gillick wird zitiert, mit dem Gedanken, dass Künstler*innen in eine Falle tappten, ausgelegt in einem Regime, das auf ungezügelte Kapitalisierung des Denkens aus ist (der Gedanke trifft ebenso auf uns Institutionsarbeiter*innen in Kunstausbildungskontexten zu), und umso emphatischer ist die Entscheidung des Buchs lesbar: „eine Linie zu ziehen zwischen den opportunistischen und entpolitisierenden Arten, Kunst mit Wissen zu assoziieren, wie sie sich in etablierten institutionellen Umgebungen finden lassen, und der Suche nach oppositionellen Weisen des Wissens und des Denkens entlang von Gegenarchiven, alternativen Netzwerken und (Para-)Institutionen innerhalb zeitgenössischer Kunst, und an ihren Rändern“.
Auf Vimeo steht eine Aufzeichnung der bisher einzigen Buchpräsentation1, zu der das im selben Jahr gegründete Berliner Förderprogramm Künstlerische Forschung2 Tom Holert im Oktober 2020 einlud. Es war der Beginn der zweiten Welle der Pandemie in Deutschland, und heute, während des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite („Corona-Notbremse“) wirkt die Vorstellung, Leute hätten sich während einer Pandemie zu einer Veranstaltung im selben Raum getroffen, wie aus der Zeit gefallen.3 Holert beginnt damit, den fünf Kolleg*innen zu danken, die die verlegerische Arbeit für das Buch bei Sternberg Press verrichteten und dann besonders Daniela Burger für die Gestaltung: akkurat elegant ist diese, an Lesbarkeit orientiert, mit breit laufender Schrift, Elementen, die die Kapitelnavigation durch das Buch erleichtern, großzügigem Weißraum der Seitenanordnung, leicht rauem Romanpapier, die Abbildungen schwarz-weiß gesetzt und eher Verweise denn leckere Eye-Catcher, die schwarzen Linien der Buchstaben und des Tortendiagramms auf dem Cover noch mal extra lackiert – subtiler Gloss. (Dank an Gabriele Franziska Götz für Lesehilfe dazu)
Ich erwähne das, weil sich Genauigkeit als technisch-handwerkliches Element, als Ethik, als Thema und als Ästhetik durch das Buch darstellt (Kapitel vier nennt das „seriousness“, Ernsthaftigkeit). Das ist eine andere Ästhetik/Ethik als die gegenwärtig im Zusammenhang des Genres künstlerischer Forschung so beliebten critical fabulations und Fiktionalisierungen. Denn diese sind im Zusammenhang dekolonialer und Indigener Kritik grundlegend, können aber dem Niederwalzen wissenschaftlicher Protokolle gemeinsamer Wahrheitsproduktion, apropos Nachvollziehbarkeit, Belegbarkeit und Methodenreflexion, das Trumpist*innen und Corona-Leugner*innen gegenwärtig betreiben, nur schwer entgegnen. Dies ist, anders gesagt, der Hinweis darauf, was das Buch methodisch, ethisch, ästhetisch zu bieten hat.
1 https://vimeo.com/481843189
2 https://kuenstlerischeforschung.berlin/
3 https://www.berlin.de/corona/lagebericht/