Heft 2/2021 - Artscribe


Sharif Baruwa – Hallo Austria, hallo Vienna

3. März 2021 bis 27. April 2021
Neuer Kunstverein Wien / Wien

Text: Franz Thalmair


Wien. Wie die Elemente eines gerade zur Aufführung gebrachten Bühnenstücks liegen, stehen und hängen Sharif Baruwas Werke in den ehemaligen Büroräumen des Wiener Gewerbehauses: Skulpturen, Zeichnungen und Malereien. Sie verhalten sich wie Bühnenrequisiten zum Raum, stehen scheinbar willkürlich darin herum, sind lose miteinander verbunden – vor allem verhalten sie sich aber zueinander. Als wäre ihre Funktion im eindeutigen Handlungsablauf einer Erzählung bereits erfüllt, lassen die Elemente offen, wie sie jetzt – nachdem die Hauptdarsteller*innen abgegangen sind und das Publikum das Theater verlassen hat – im Jetzt miteinander in Beziehung stehen. Verhältnisse, Zusammenhänge, Liaisonen: Formen der wechselseitigen Bezugnahme und die immer neuen Kontexte, die dieses Mit-, Zu- und Gegeneinander hervorbringt, sind die eigentlichen Protagonist*innen von Sharif Baruwas Ausstellung im Neuen Kunstverein Wien. Kostüm und Maske befinden sich an einem anderen Ort.
Über eine Reihe aufeinander folgender Büroräume hinweg, alle ausgestattet mit einer partiellen Wandvertäfelung aus Teakholz, einem weißen Kassettenplafond mit Neonlicht und einem Boden aus graubeige meliertem Linoleum stellt der Künstler einen Parcours zusammen. Nicht nur durch die in den temporär genutzten Ausstellungsräumen wiederkehrenden architektonischen Gestaltungsmittel, sondern auch durch die Wiederkehr von Formen, Farben, Materialien und Techniken innerhalb der Kunstwerke Baruwas ergibt sich eine zusammenhängende, in sich gleichermaßen geschlossene wie offene Installation. Die jeweiligen Elemente der Ausstellung, die Werke, die die Räume erst zu einem Parcours verbinden, bleiben dabei stets autonom: Auf gelblichen Papierrollen gezeichnete Bilder etwa, die den Blick aus einem ehemaligen Atelier des Künstlers zeigen, geben die Farbtemperatur der Ausstellungssituationen vor. Sie machen Stimmung. Ganz egal, ob die temporären Ausblicke über die Dächer Wiens zur Gänze zu sehen sind oder ob der Künstler weitere Bilder darauf montiert und damit die Zeichnungen zur Tapete, zum Bühnenprospekt, zum Hintergrund degradiert.
Die Skulpturen sind aus Gefundenem, Übriggelassenem, Obsoletem gefertigt. Es handelt sich um armes Material wie Holz, Metall, Karton, Papier oder um Möbelteile und Gegenstände, die der Künstler auf der Straße findet und zu dreidimensionalen, teils recht fragilen Assemblagen bricoliert. Es handelt sich aber auch um Elemente, die von Sharif Baruwas Alltag, etwa als Mitarbeiter im Aufbauteam eines Ausstellungshauses wie der Wiener Secession zeugen. Elemente, die bereits von anderen Künstler*innen benutzt wurden. Elemente, die auf „Arbeit“ im doppelten Wortsinn referieren: einmal auf das Kunstwerk derjenigen, die in der Secession ausgestellt haben, einmal auf die Geldarbeit, die Baruwa in der Secession für andere Künstler*innen erledigen muss, um seine eigene Kunst produzieren zu können.
Ein Stück Rohr verbindet sich mit dem ramponierten Gestell eines Kofferrollers, darauf ein Drahtgewebe mit pastellfarbenem Papiermaschee bedeckt. Die Pastelltöne – das Gelb, Rosa, Grün und Braun – finden sich auf dem Netz einer Sonnenblende für das Auto wieder. Das trotz des Farbauftrags transparent wirkende Objekt steckt in einem Zeitungsständer aus Messing direkt neben weiteren, luftig im Raum positionierten Skulpturen. Die meisten dieser Materialanhäufungen sind nicht nur bildhauerische Arbeiten, sondern Haltevorrichtungen für Bilder von Sharif Baruwa, dessen Werk auf überaus angenehme Weise unentschieden bleibt. Zu Bildträgern werden auch immer wieder Bettdecken, deren mit Daunen oder sonstigem Material gefüllte Körperlichkeit ihren Status als Leinwand befragen, wenn sie wie Bildtafeln von der Decke hängen und einmal mehr, wenn sie sich wie ein Mantel um den Torso einer Schaufensterpuppe schmiegen und auf diese Weise in buchstäbliche Körper übersetzt werden.
Etwas versteckt, in einem der Gänge des ehemaligen Büros, ist das Gemälde a closer look (2020) zu sehen, das als programmatisch für die gesamte Schau zu verstehen ist. Zum einen zeigt die Leinwand nicht nur den Künstler beim Akt des Malens eines dreidimensionalen Gegenstands, sondern fordert die Besucher*innen der Ausstellung auch auf, den Blick auf Details zu richten. Im Bild bleibt unklar, ob der Künstler auf einer Leinwand malt, ob es sich um eine Projektionsfläche handelt oder ob er mit seiner Hand durch eine Art Fenster reicht und seine malerischen Spuren auf dem Gegenstand selbst – auf dem in seinem Werk wiederkehrenden Motiv des Turnschuhs – hinterlässt. Das Flackern des Sujets zwischen Zwei- und Dreidimensionalität kann schließlich als Konstante in Sharif Baruwas Auseinandersetzung mit seinem eigenen künstlerischen Prozess gelesen werden.
Der Künstler taucht im gesamten Verlauf der Ausstellung immer wieder als Sujet auf, einmal als malendes, sich selbst reflektierendes Subjekt wie im Fall von a closer look, ein anderes Mal in Form einer fotografierten Hand, die gerade eine Geste ausführt, darüber hinaus in weiteren Malereien, Fotografien und Collagen. Dass der biografische Hintergrund des in London als Kind eines nigerianischen Vaters und einer Italienerin geborenen Sharif Baruwa zentral in seinem Werk ist und alle Elemente miteinander in Verbindung setzt, erfährt man im Gespräch mit ihm. Wie die Elemente eines gerade zur Aufführung gebrachten Bühnenstücks liegen, stehen und hängen Sharif Baruwas Skulpturen, Zeichnungen und Malereien dann vor einem – ein Bühnenstück, das das Leben schreibt.