In den 1950er-Jahren begann man in der Sowjetunion mit der Errichtung normierter Plattenbauten, den sogenannten Chruschtschowkas. Der Bautyp verbreitete sich in der Folge in alle Länder des Warschauer Pakts. Am häufigsten war er in der DDR, wo allein in Ostberlin Plattenbauten mit mehr als 250.000 Wohnungen errichtet wurden. Nach dem Fall der Berliner Mauer initiierten zahlreiche ehemalige Ostblockländer Regierungsprogramme zur Renovierung und Modernisierung des sozialistischen Plattenbauerbes. Eine ähnliche Neubelebung, bloß in einem Kunstraum, versucht nun die ZIP Group zusammen mit Misha Kurilov, Katya Muromtseva und Ira Afanasyeva.
Der Raum wurde ursprünglich von Katya Muromtseva auf dem Balkon ihrer Wohnung in einem Zagreber Plattenbau gegründet, wo sie während des Lockdowns isoliert lebte. Für das Projekt tat sie sich mit der Plattform Enthusiast zusammen, die von der ZIP Group konzipiert wurde. Die Idee der Balkongalerie entstand nach einem Telefonat der Künstlerin mit einer italienischen Freundin, die in Turin bereits längere Zeit im Lockdown lebte und erzählte, ihre Kinder hängten Zeichnungen in die Fenster, um so ihren Möglichkeiten gemäß die Stimmung der von der plötzlichen Corona-Gefahr Gestressten zu heben. Diese Vorstellung gefiel der Künstlerin, sodass sie dachte: Warum nicht etwas Ähnliches probieren? Allerdings war der einzige Ort, der für sie als Ausstellungsraum infrage kam, ihre Wohnung und der Balkon. Zuerst veranstaltete Muromtseva auf Letzterem Ausstellungen ihrer eigenen Kunst, um damit die Kommunikation mit der Außenwelt aufrechtzuerhalten. Porträts jener Hunde, die in ihrer Nachbarschaft Gassi geführt wurden, stellten zudem Sympathie mit den Nachbarn her. Sie machte auch Ausstellungen für die Vögel, die die Balkongalerie oft besuchten. Dann begann sie, andere Künstler*innen einzuladen, wenngleich in absentia auszustellen. Anfänglich hatte ihre Galerie weder ein Konzept noch Regeln. Katya wollte sie spontan und unvorhersehbar gestalten. Immerhin entstand das Projekt unter dem Einfluss eines ganz spezifischen historischen Moments und entwickelt sich bis heute weiter, aktuell in Form des Pavilion Enthusiast.
Für Dinge, die wir voneinander ahnen entwarf die ZIP Group, die für einen Teil der Ausstellung als Kurator*in fungierte, ein Plattenbauteilmodell auf Grundlage der Maße einer Chruschtschowka mit Balkonen. Der Pavilion Enthusiast ist eine Konstruktion, um Demonstrationen auf einem Balkon abzuhalten. Seine Vorlage ist eine Steckplatine, auf der wie beim Programmieren Bauteile modular gruppiert werden können. Das Konzept setzt also auf die Offenheit einer adaptiven Architektur. Die Idee eines Balkons mit Treppe kann auch als Umdeutung der Skizze für eine Redetribüne Lenins von El Lissitzky aus dem Jahr 1924 gelesen werden, bloß dass das Plakat für die Parolen des Proletariats nach unten auf das zerrissene alte Baunetz gerückt wurde – und außerdem nicht mehr die Revolutionsführer das Rederecht haben, sondern die Insekten und das Publikum der Ausstellung.
Der Pavillon ist so wie viele Plattenbauten an unterschiedlichen Zeitpunkten sowohl in Russland als auch in Ostdeutschland von einem Baunetz umhüllt. Dieses Netz steht nicht nur für die Renovierung, sondern ist auch ein Biotop für zahlreiche animalische Wesen – für Insekten, mit denen die Künstlerin Ira Afanasyeva arbeitet. Insekten und ihre Mimikry sind Themen, mit denen sie sich seit den Serien Cockroach (2016) und Mimicry (Grafiken, Abschlussausstellung an der KICA, Typographie CCA, 2019) befasst. Bei Ersterer verfangen sich eine Heuschrecke, eine Fliege und eine Biene (und offenbar noch weitere Insekten) nicht wie sonst im Baunetz, sondern nützen dieses als Habitat. Die Manipulation des Maßstabs – riesige Insekten, die sich anders als sonst zum Netz verhalten – bewirkt, dass der Mensch die herrschaftliche Rolle des ausschließlich Wohnungs- und Balkonbesitzers aufgeben muss.
Die Stockwerkidee war für die Gestaltung entscheidend. Im ersten Stock leben Insekten, im zweiten, auf dem Balkon, lebt der Klang. Die Klanginstallation von Misha Kurilov besteht aus Samples, die mittels Insektengeräusche simulierender Pulsar-Synthese erzeugt wurden. Eines der typischen Merkmale der Insekten, nämlich ihre drei Beinpaare, inspiriert auch die Anzahl der Teile der Klanginstallation, namentlich sechs. So politisiert Pavilion Enthusiast die Balkongalerie mit einem Klangmanifest, das vom Balkon ertönt. Jeder Schritt des Publikums entlang des Balkons wird seinerseits zu einem Teil dieses Manifests, denn bei jedem Schritt werden Sensoren ausgelöst, die die Klanginstallationsbeine einschalten und so die „Rede“ der Insekten auslösen. Die Überzeichnung der Insektengeräusche erhöht die Aufmerksamkeit für diese zoologische Klasse.
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Übersetzt von Thomas Raab