Heft 4/2021 - Netzteil
Über 300 Titel in 15 Jahren. Dazu sechs Sublabels, die bis zuletzt ebenfalls noch hochaktiv waren. Das Output von Editions Mego, die Peter Rehberg 2006 aus der Asche des „historischen“ Mego-Labels erstehen hat lassen, kann sich wahrlich sehen (und hören) lassen. Als Rehberg letzten Sommer im Alter von 53 Jahren überraschend einem Herzinfarkt erlag, war sein kleines – von unzähligen Protagonist*innen weltweit mitbestücktes – Electronic-Imperium immer noch im Wachsen begriffen. Oder weniger verfänglich formuliert: Die stete, kompromisslose Suche nach fortwährend neuen, zugleich in vielfältigste Stilrichtungen ausdifferenzierten Soundsignaturen war immer noch am Laufen – auf vielerlei Ebenen, die von hochabstrakten Noise-Attacken über theatrale Drone-Symphonik bis hin zu Rückgriffen auf frühe Elektroakustik-Experimente reichten.
All das und noch mehr wird nun einen neuen Veröffentlichungs-Hub finden müssen, da Editions Mego, wie die Website verkündet, mit Rehbergs Tod den Betrieb einstellt. Get On (2019) hieß Rehbergs letzte, unter dem Künstlernamen Pita herausgebrachte Platte – „getting on“ (Weiterkommen) ist nun wahrlich zum (nicht leicht zu schulternden) Vermächtnis dieses Ausnahmemusikers und Impresarios geworden.
Begonnen hatte alles mit einem Kühlschrank. 1995, als ein neuer Experimentier- und Vernetzungsgeist Einzug in den (nicht nur Wiener) Off-Kultur-Bereich hielt, hoben vier angehende Electronic-Modernist*innen das Label Mego1 aus der Taufe: Ramon Bauer und Andreas Pieper, beide unter dem Duonamen General Magic aktiv, Peter Meininger und die Grafikdesignerin Tina Frank bildeten die Urzelle des bald Furore machenden Labors für Extremklänge. Fridge Trax, auf der Basis von Kühlschrankgeräuschen widerborstig gedimmte Techno-Travestien, hieß die erste Veröffentlichung, die von besagten General Magic zusammen mit Pita (wie sich Rehberg damals schon nannte) herausgebracht wurde. Rehberg stieg im gleichen Jahr bei Mego als Mitbetreiber ein und begann, neben ersten eigenen Releases zugleich an mehreren Kollaborationsfronten mitzuwirken – etwas, das sich bis zu seinem Tod mit unverminderter Verve fortsetzen sollte.
Das Interessante an Mego war, dass es binnen kürzester Zeit in viele Richtungen zugleich förmlich explodierte. Zwar war es milieumäßig zunächst rund um die Wiener Klangextremistenszene gebaut, doch bald schon deuteten Releases etwa des späteren Electronic-Weltstars Fennesz oder des HipHop-DJs DSL an, dass hier nicht in Schubladen gedacht wurde. Gegen Ende des 2005 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten eingestellten Betriebs waren dann sogar Gitarrenbands wie Bulbul oder (zuvor schon) Fuckhead mit an Bord – etwas, das in der puristischen Gründungszeit Mitte der 1990er-Jahre wohl noch einem Sakrileg gleichgekommen wäre. Doch die Expansion ging nicht nur stilistisch, sondern auch geografisch vonstatten, und so fanden sich im Mego-Hafen alsbald auch globale Electronica-Ableger, angefangen bei Ilpo Väisänen über Jim O’Rourke bis hin zu Merzbow und Tujiko Noriko.2 Das Spannende dieser ersten zehn Jahre, in denen Mego über 70 Releases herausbrachte, lag nicht zuletzt darin, dass sich aufgrund derartiger Label-Umtriebigkeiten auch völlig neue Musikgeografien abzuzeichnen begannen. Neue Kartierungen, in denen das alte Metropolenmodell (New York, London etc.) keine Geltung mehr besaß.
Derlei Dezentralisierung musste alsbald auch an Grenzen stoßen. Die Markanteste war die um 2000 einsetzende Krise des Tonträgermarkts aufgrund zunehmender digitaler Distribution – eine Entwicklung, die schlussendlich auch Mego mit in den Abgrund zog. Doch Rehberg wollte sich mit diesem Endspiel nicht abfinden. „He was a worker, a drone, an artisan: he got up, got out, got in and got on with the job“3, wie Rob Young in seinem Nachruf in The Wire mit Bezugnahme auf diverse Pita-Veröffentlichungen, deren Titel fast alle mit dem Verb „get“ begannen, anmerkte. Und so hob Rehberg 2006 das Nachfolgeprojekt Editions Mego aus der Asche, teils mit Wiederveröffentlichungen vergriffener Mego-Klassiker (Endless Summer von Fennesz etwa), teils mit unermüdlich vorangetriebener Klangforschung, egal, ob mit neuen Verbündeten wie Marcus Schmickler oder alten Mitstreitern wie Florian Hecker.
Das Namedropping ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Doch was Editions Mego im Kern ausmachte, war nicht das Sammeln von großen und manchmal auch kleineren Namen. Vielmehr hatte jede – auch nominelle – Verästelung stets Hand und Fuß, und kaum einer der vor allem rund um das Jahr 2011 proliferierenden Veröffentlichungen mangelte es an einer distinktiven, so davor kaum je wahrgenommenen Note. Entscheidend dabei war auch der sukzessive Aufbau mehrerer Sublabels, teils von prominenten Mego-Größen betreut (etwa Spectrum Spools des Emeralds-Mitglieds John Elliott, oder Ideologic Organ, kuratiert vom Sunn 0)))-Gitarristen Stephen O’Malley). Dass man 2012 zudem begann, alte Aufnahmen aus dem Umfeld von Pierre Schaeffers legendärer Groupe de recherches musicales (GRM) wiederaufzulegen, bekundet den historiografischen Tiefgang der sich immer mehr verzweigenden Unternehmung. Jedenfalls führte dies zu immensen Outputs, deren rhizomatische, sich über Länden, Zeiten, Stile, Idiome etc. ausbreitende Natur sich erst im Nachhinein richtig erschließen lässt.
2015 meinte Rehberg anlässlich des 20-jährigen Bestehens von Mego: „Ich war ein bisschen verrückt vor zwei, drei Jahren. Aber es gibt einfach so viel Musik, die darauf wartet, veröffentlicht zu werden. Momentan versuche ich mich auf vier bis maximal sechs Platten im Monat zu beschränken.“4 Dieser Rhythmus sollte fortan beibehalten werden, wobei das Label weiter die Balance hielt zwischen renommierten Namen (Oren Ambarchi, Bruce Gilbert, Bill Orcutt), historischen Schätzen (Luc Ferrari, Beatriz Ferreyra, Bernard Parmegiani) und unbekannten Newcomern (Klara Lewis, Jung An Tagen, KMRU). Rehbergs Credo, Hörer*innen aus ihrer „little shoebox“, wie er einmal sagte, herauslocken zu wollen und sie dem noch Unbekannten auszusetzen, ging insofern auf, als um die Ecke vieler der ohnehin schon abgefahrenen Veröffentlichungen häufig das noch Abstrusere, Gewagtere, weniger Uneinordenbare lauerte.
Dabei spielten auch seine eigenen, fortwährend praktizierten Kollaborationen eine gewichtige Rolle. Fächerübergreifendes auch hier: 2004 hatte Rehberg begonnen, zusammen mit dem Drone-Metaller Stephen O’Malley Musik für die Choreografin Gisèle Vienne zu produzieren. Daraus sollte eine langjährige Zusammenarbeit unter dem Duonamen KTL resultieren, die bis 2013 anhielt und in ihrer Laptop-gefütterten Tiefton- und Feedbackdramatik mit zu den Höhenpunkten in Rehbergs Werk zählt. Daneben gab es noch viele weitere nennenswerte Kooperationen, ob in Bandformaten wie Peterlicker oder Shampoo Boy, oder in den immer wieder von ihm angeworfenen, meist sperrig-verzahnten Duoformationen (zuletzt etwa mit Nikki Void von der Gruppe Factory Floor), die jede für sich ein kleines Landmark auf der weitverzweigten Mego-Weltkarte bilden.
Dass diese Karte, dieses Kartierungsunternehmen, nun geschlossen wird, ist nicht nur für den Labelstandort Wien ein bitterer Verlust. Vielmehr dürfte das „Getting On“ für die gesamte Electronic-Kultur ein nunmehr noch schwieriger zu erfüllender Auftrag sein.
[1] Abkürzung für „My Eyes Glaze Over“ (wörtlich „glasige Augen bekommen“), wie die Labelbetreiber einmal erklärten.
[2] Vgl. https://www.springerin.at/2002/4/japan-japan/.
[3] https://www.thewire.co.uk/in-writing/essays/walking-on-the-ground-you-broke-rob-young-remembers-peter-rehberg
[4] https://skug.at/viel-mehr-als-singende-kuehlschraenke-editions-mego/