Berlin. Die Ausstellungsarchitektur von Anne Imhof, die den großen Saal mit martialischen Eisenrosten in gefängnisartige Kanäle unterteilt, könnte eine spektakuläre Kulisse sein, vor der dann einzelne Werke umso anziehender erscheinen. Aber im Käfig setzt sich die düstere Atmosphäre fort. Wie der Titel schon sagt, wird der Freiraum der Kunst als Sphäre der Unfreiheit interpretiert und performiert.
Dabei fehlt es nicht an Fantasie, die etwa bei Stephan Dillemuth in boshaften Sinnbildern das neoliberale Subjekt als löchrige Maske mechanischer Räderwerke entlarvt. Oder wenn Mikolaj Sobczaks Darstellung einer Transgenderperson unter Anklage in albtraumhafter Übertreibung die Perversität herrschender Normen gekonnt ins Bild setzt. Auf mehr improvisiertem Niveau gelingt es dem Karrabing Film Collective, eine Videofabel zu inszenieren, deren exotische Schauplätze zusammen mit der gewagt lockeren technischen Umsetzung nicht nur das reale Elend der Aboriginals märchenhaft verklären, sondern sogar die dicken Rauchwolken der realen Buschbrände als surreale Kulisse erscheinen lassen. Pauline Curnier Jardin lädt in abtrennbaren Videokabinen zur medialen Begegnung mit römischen Sexarbeiter*innen in nächtlichen Vorstadtbrachen ein und evoziert damit einerseits eine erotische Kultur, die den Namen Pier Paolo Pasolini ins Bewusstsein ruft, lenkt aber nicht von zunehmend prekären Lebensbedingungen ab.
Ein formulierter Anspruch des Ausstellungsprojekts besteht in der Verschiebung der Perspektive vom Kunstwerk zur alternativen Lebensform der Künstler*innen. Philip Wiegard produziert etwa Tapeten in Zusammenarbeit mit Kindern, denen er Maltechniken beibringt, die sie dann befähigen, Elemente jener Muster auszuführen, die als Wandgestaltung stille kollektive Manifeste sind. Von maschineller auf manuelle Herstellung überzugehen wäre vielleicht nur eine snobistische Geste, wenn es nicht Integration und das Teilen von Wissen implizierte. Ähnlich verhält es sich bei Melanie Gilligans Videointerviews: Sie zielen darauf ab, Erfahrungen mit dem Wegfall von Unterstützung im Moment auftretender Krankheit zu teilen, anstatt sich davon in die Isolation zwingen zu lassen. Negativ gewendet dekonstruiert die Gruppe Cut away with effects den schönen Schein des musealen Freiraums, indem sie Auszüge aus den Vertragsbedingungen einer Softwareanwendung präsentiert, die hier vor Ort benutzt wird, um die Arbeitskräfte zu kontrollieren.
Wie Frank Engster in einem zentralen Katalogessay ausführt, ist die tiefer gelegte Frage schließlich, inwieweit Kunst heute insgesamt als Avantgarde kapitalistischer Akkumulation von immer neuen Lebensbereichen aufgefasst werden muss. Aus der Sicht der Künstler*innen ginge es dann weniger um ein Experimentieren mit Materien und Medien als vielmehr mit der eigenen Rolle, mit dem Gebrauch, den sie von sich und ihren zwiespältigen Privilegien machen, um dem Sog der kreativen Mehrwertschöpfung zu trotzen.
Im Medium der Malerei, die hier schon wegen der Gitterwände wenig kontemplative Entspannung gewährt, lassen sich Ansätze dazu erkennen. Thomas Eggerers Tableaus führen offensive Lethargie als Merkmal einer fiktiven Generation vor, die sich genau dieses Nichts auf die Fahnen schreibt. Dani Leders Figuren legen den Finger in die Wunden moderner Subjektivität, wobei das Leiden daran, lustvoll ausgestaltet, schon das Ziel zu sein scheint. Kandis Williams nimmt mit Collagetechniken und Malerei eine alternative Version der Nachmoderne in Angriff, die aber explizit von Schwarzen Körpern ausgeht, und ihnen abstrakte Elemente der westlichen Kunst wie das schwarze Quadrat quasi restituiert. Jota Mombaça manifestiert entschieden und emotional ihre Unzufriedenheit mit einer Ordnung, die nach wie vor Biopolitik nach kolonialistischen Parametern betreibt und so etwas wie globale Solidarität unmöglich macht. Die vielen kräftigen Strichzeichnungen und Wortfetzen auf Papier hängen rasterförmig angeordnet wie ein Dach über einem der Gänge – als weitere Geste der Verweigerung. Bei Anja Kirschner sind es komplexe ornamentale Strukturen, die durch Integration von Partialobjekten auf subtile Weise ein richtiges Leben modellieren, das es im falschen nicht geben kann.
Eine offensive Ästhetik des Ekligen zeichnet die großen lüsternen Zungen aus, die auf der Dachterrasse authentische Sockelfragmente ehemaliger imperialer Skulpturen belecken (Natascha Sadr Haghighian), in weiterer Steigerung zu einer Ästhetik des Untoten schließen hier die exkrementalen Keramiken der Gruppe Orakel an oder das virtuelle Abjekt GLUT von Johanna Hedva (glut.website).
Der Zweifel am Paradigma der Freiheit und ihrem autonomen Subjekt, der Verdacht, dass ästhetisch manifestierte Überlegenheitsfantasien die Ausbeutung der Anderen legitimieren und zelebrieren, führt zur Entscheidung für eine schwache Subjektivität, zum Wunsch nach Selbstauflösung – ohne die Grenzen besitzorientierter Egos. In den Telenovelas von Tamar Guimarães, die das gemeinsame Nachdenken einer zerstreuten Gruppe von linken Brasilianer*innen nach dem Sieg Bolsonaros als Sitcom inszeniert, kommt nagende Ungewissheit in Bezug auf eigene demokratische Positionen auf, die womöglich immer noch unterschwellig die Perpetuierung von Privilegien einer weißen Elite betreiben und nicht zuletzt deshalb der rechten Bewegung unterlegen waren. Ho Rui An richtet in einer multimedialen Lecture einen ähnlich desillusionierten Blick nach China und zeichnet in analytischer Schärfe die Transformation kommunistischer Räte zu einer technokratischen Elite Schritt für Schritt nach.
Die Verschränkung globaler Perspektiven mit den Untiefen psychischer Verfasstheit konkretisiert ein krisenhaftes Zukunftsszenario anhand triftiger Phänomene und verleiht ihm deutliche Konturen. Anstelle von befreienden Lösungen werden wir in Situationen versetzt, denen gegenüber sich Kunst und Kritik neu erfinden müssten, um nicht in perfektionierten Ritualen zu erstarren. Und es dürfte diese Herausforderung ohne alle Vorabzusicherungen sein, die angenommen werden muss, wenn es noch einmal starke Utopien geben soll.