Wien. Mitte November 2021 eröffnete im Kunstverein Kevin Space die erste österreichische Einzelausstellung der Berliner Videokünstlerin, Musikproduzentin und Autorin Vika Kirchenbauer, kuratiert von Fanny Hauser und Viktor Neumann. Im Zentrum steht Kirchenbauers künstlerische Auseinandersetzung mit (un-)sichtbaren Formen von symbolischer Gewalt und gesellschaftlichen Machtverhältnissen. In Kirchenbauers künstlerischer Praxis werden diese im Kontext von persönlich prägenden Erfahrungen der Scham oder kollektivem Erinnern und Verdrängen verhandelt. Besonders die Machtstrukturen von Blickbeziehungen sind aktiv in die Werke einbezogen.
Präsentiert werden zwei Videoessays und drei Videoclips von Kirchenbauers Musikprojekt COOL FOR YOU sowie eine ortsspezifische Lichtinstallation, die schon beim Blick von außen den Ausstellungsraum transformiert. In der Ausstellung liegt zudem Kirchenbauers Essay „Infrared Dreams in Times of Transparency“ aus, dessen Lektüre die profunde medienreflexive Recherchearbeit der Künstlerin zu ihren Themenfeldern nachvollziehbar macht.
Der Kunstverein Kevin Space am Wiener Volkertplatz ist von der Straße aus direkt einsehbar. Für die Ausstellung Kirchenbauers wurde die Schaufensterfront mit blauer Folie beklebt, was sie für Blicke undurchlässiger macht. Beim Eintreten taucht man in eine Atmosphäre aus blau gefiltertem Licht ein. Weiße Oberflächen schimmern violett. Dieser irritierende Effekt beruht auf einer Synthese aus der blauen Glasbeschichtung und eigens montierten UV-Lichtröhren. Die Installation SPECTRAL SENSITIVITY (2021) verunklärt die Wahrnehmung. Ultraviolettes Licht ist unsichtbar für das menschliche Auge, aber seine Reflexion und Brechung auf weißen Flächen kann in den sichtbaren Bereich übergehen. UV-Strahlung stelle sie sich „violet, but more radical“ vor, so die Künstlerin im Videoessay UNTITLED SEQUENCE OF GAPS (2020), ein Werktitel der durch die sequenzielle Verweigerung, Leerstellen namentlich zu benennen, die Vermutung nahelegt, Kirchenbauer habe sich auf Facetten von Zwischenzuständen spezialisiert. Zugleich vermittelt sich im Wahrnehmungsspiel aus blau gefiltertem (Tages-)Licht und der fluoreszierenden Wirkung des UV-Wellenbereichs ein Spannungsverhältnis von Transparenz und Opazität, das eine zentrale Rolle in Kirchenbauers künstlerischer Praxis einnimmt. Als Maß für die (Un-)Durchlässigkeit von Licht bezeichnet das Gegensatzpaar transparent/opak ein optisches Phänomen. Zugleich ist Transparenz ein ideologischer Kampfbegriff. In seiner positiven Bezugnahme meint er Zugänglichkeit, Offenheit, Lesbarkeit und wird als Signum der Aufklärung verstanden. Die Kehrseite der Transparenz ist allerdings verbunden mit Macht und Kontrolle. In Transparenz drücke sich das Begehren von Subjekten und Institutionen aus, andere und Fremde zu „durchleuchten“, um sie zu bewerten, zu normieren und einzuordnen, so Édouard Glissant. In seinen postkolonialen Schriften, auf die Kirchenbauer sich bezieht, steht oktroyierte Transparenz für die Unterdrückung von minoritären Positionen. Im Kontrast dazu formuliert Glissant als zentrale Forderung ein „Recht auf Opazität“, das heißt ein Recht auf die eigene Geschichte und die eigene Identitätskonstruktion ohne den hegemonialen Blick der anderen. Glissants Idee liest sich als ein Plädoyer für Gemeinschaftsformen, in denen die Komplexität von Identitäten aufrechterhalten wird.
Das Spannungsverhältnis von Transparenz und Opazität scheint – formal und inhaltlich – in allen ausgestellten Arbeiten Kirchenbauers auf. Die drei Videoclips von Kirchenbauers Musikprojekt COOL FOR YOU führen vieldeutige körperliche Handlungen als lustvolle und zugleich irritierend-abjekte Loops vor Augen. Die Aufnahme- bzw. Blickperspektive mittels Infrarottechnik transformiert körperliche Wärme von einem fühlbaren zu einem sichtbaren Phänomen. Im Dunkeln können die Protagonist*innen nur angesehen werden, aber den Blick nicht erwidern. Infrarotkameras, die Körper farblosen Silhouetten vor dunklem Hintergrund machen, haben einen militärischen Ursprung. Die elektronische Musik basiert auf rhythmisierten Samples von Sacred-Harp-Chören. Diese Gesangstradition ist verstrickt in Kolonialisierungs- und Christianisierungsbewegungen, wobei Sacred-Harp-Chöre nur Mitsinger*innen kennen, keine Zuhörer*innen. In Kirchenbauers kritischer Aneignung ist diese strenge Auffassung von In- und Exklusion untrennbar mit dem historischen Audiomaterial verbunden, das sie in seiner ganzen Ambiguität weiterverarbeitet.
Die Videoessays UNTITLED SEQUENCE OF GAPS (2020) und THE CAPACITY FOR ADEQUATE ANGER (2021) bilden die zentralen Werke in der Ausstellung. Sie zeichnen sich aus durch das Hinterfragen, Bebildern und Verweben der eigenen (Herkunfts-)Geschichte und den damit verbundenen subjektiven Erfahrungen von Klassen-, Sexualitäts- und Geschlechtszugehörigkeit(en) sowie den Bedingungen künstlerischer Kritik. Sie werden getragen vom ruhigen Voiceover der Künstlerin. Die besondere Poetik dieser Arbeiten lässt sich als Verflechtung von autosoziobiografischen und autodiskursiven Situierungen beschreiben. In der Überwindung subjektiver Schamerfahrungen durchlaufen Kirchenbauers Videoessays die „Odyssee der Wiederaneignung“ der eigenen Lebensgeschichte, wie sie bereits von Pierre Bourdieu beschrieben wurde. In ihrer konsequenten Beobachterinnenposition, die sich selbst zum eigenen Untersuchungsgegenstand macht, legt sich Kirchenbauer auf komplexe Weise offen. Dadurch wird sie opak im Sinne Glissants. Für die Besucher*innen eröffnen sich in der Ausstellung vielfältige Ebenen der Teilhabe, in denen Ambiguitäten und Momente des gegenseitigen Un/Verständnisses als Möglichkeit eröffnet werden.