Heft 1/2022 - Free Speech


Das Mantra der White Supremacy

Ibram X. Kendi


„Anti-White Mania“ ‒ diese Bildunterschrift prangte unter einer Fox-News-Grafik mit einem Esel, dem Wappentier der Demokratischen Partei.1 Sie nahm mehr Raum ein als das Gesicht des Fox-News-Moderators Tucker Carlson und war somit nicht zu übersehen. Und genau darum ging es.
Carlsons Show wurde am 24. Juni 2021 ausgestrahlt. Sie war eine seiner hetzerischsten Sendungen in dem Jahr2 und fiel zusammen mit dem Höhepunkt der blindwütigen Attacken gegen die Critical Race Theory (CRT) und des Bestrebens, diese umzudeuten. Von Carlson war sie wiederholt als „antiweiß“ verunglimpft worden.3 „Die Frage, über die wir jeden Tag nachdenken sollten, lautet: ‚Wie entkommen wir diesem Sog, dieser Abwärtsspirale, bevor es zu spät ist?“, so Carlson. „Wie retten wir dieses Land, bevor es uns ergeht wie Ruanda?“4
Bei einigen weißen Amerikaner*innen wurde so die Angst geschürt, sie könnten Opfer eines Massakers werden, so wie die Tutsi in Ruanda. „Critical Race Theory = Marxismus, Marxismus  Jedes Mal Genozid“5 hieß es auf einem Pappschild anlässlich einer Demonstration der Proud Boys am 23. Juni in Miami. Andere weiße Amerikaner*innen wurden zu der Befürchtung veranlasst, dass die zu 79 Prozent weiße Lehrerschaft in den USA ihren Kindern beibringe, „die eigene Identität an rassischen Kategorien festzumachen“. So behauptete es jedenfalls der republikanische Senatskandidat Blake Masters im Mai. „Ob man gut oder schlecht ist, hängt davon ab, wie man aussieht. Das ist ausgemachter, antiweißer Rassismus. Ich glaube zwar nicht, dass wir das sagen dürfen, aber lassen Sie uns die Dinge doch beim Namen nennen.“
Politiker*innen und Mitarbeiter*innen der Grand Old Party [der Republikaner, Anm.] mögen die Dinge zwar nicht immer „beim Namen nennen“, doch letztlich stoßen Masters’ Äußerungen bei ihnen auf Resonanz, wenn sie hinter vorgehaltener Hand das äußern, was der Dokumentarfilmer und führende Kritiker der CRT, Christopher F. Rufo, offen ausspricht: „Die Critical Race Theory ist eindeutig antiweiß.“ Und bei einer Wahlveranstaltung in Loudoun County, Virginia, sagte der später zum Gouverneur gewählte Glenn Youngkin: „Wir werden unseren Kindern nicht beibringen, alles durch eine rassische Brille zu sehen. Wir werden sie nicht in Gruppen, in Unterdrücker und Opfer einteilen. Wir werden sie nicht gegeneinander ausspielen und ihnen ihre Träume zerstören.“
Die Republikaner*innen provozierten einen Backlash gegen die CRT, die für sie gleichbedeutend ist mit Antirassismus oder „Wokeismus“.6 Ihr Gegenschlag hat ihnen 2021 unter anderem den Sieg bei den Gouverneurswahlen in Virginia eingebracht. „Es war aber kein Backlash der Eltern“, wie der Politkommentator William Saletan nach einer sorgfältigen Analyse von Wahlumfragen feststellte, ,,es war ein Backlash der Weißen.“7
Wie viele Amerikaner*innen wissen, dass die Behauptung, Antirassismus schade den Weißen, eines der grundlegenden Mantras der Ideologie der weißen Überlegenheit ist? Amerikaner*innen sind vertraut mit Bewegungen, die auf der Ideologie der White Supremacy gründen, wie dem Ku-Klux-Klan, Skinheads, Neonazis oder den Proud Boys. Aber die Ideologie der White Supremacy selbst, die toxischste Ausprägung rassistischer Ideologien, scheinen sie nicht zu erkennen. Ich vermute, dass vielen einfach nicht bewusst ist, in welchem Maße diese Weltanschauung ihr politisches Denken und den politischen Diskurs in Amerika prägt und es beispielsweise Geschworenen gestattet, Rassismus zu rechtfertigen und Antirassismus zu verurteilen.
Mit seiner „Anti-White Mania“-Grafik präsentierte Tucker Carlson einmal mehr das gefährlichste Mantra der amerikanischen Politik: Der Kampf gegen den Rassismus sei in Wahrheit ein Angriff auf weiße Amerikaner*innen und führe dazu, dass Weiße zu Schaden kommen. „Antirassismus ist antiweiß“ ist die alte, brandgefährliche Losung der erklärten Verfechter*innen der White Supremacy.8 Sie ist ihr Mobilisierungsmittel, sie befeuert ihre Wut, sie befeuert ihre Gegenschläge, sie befeuert ihren Irrglauben.9
Das ganze Jahr über hat dieses Mantra der White Supremacy den von Martin Luther King Jr. einst so bezeichneten „weißen Backlash“ geschürt, der das im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste laut gewordene „racial reckoning“ untergräbt. Der weiße Backlash provoziert Programme zum Ausschluss von Wähler*innen und Aufstände zur Verteidigung der politischen Vorherrschaft der Weißen. Er befeuert unzählige Lügen, Beleidigungen, Drohungen und Mordfantasien10 in Bezug auf antirassistische Amerikaner*innen, die als antiweiß gebrandmarkt werden. Er nährt die falsche Behauptung, antirassistische Bücher und Erziehung schadeten weißen Kindern, und hetzt dazu auf, diese Bücher und Unterrichtsinhalte zu verbieten. Eine Rechtfertigung dieser Verbote kommt einem neuerlichen Mord an Martin Luther King gleich.11
Einige Demokrat*innen haben daraus erwartungsgemäß eine überparteiliche Angelegenheit gemacht. Wie die Journalsitin Nikole Hannah-Jones, die Initiatorin von The 1619 Project [einem kritischen Projekt zur Aufarbeitung der Sklavengeschichte, Anm.], gegenüber der Los Angeles Times kürzlich äußerte, „war der Gedanke, dass das ‚racial reckoning‘ zu weit gegangen sei und nun Weiße die Leidtragenden seien, absolut vorhersehbar, wenn man die Geschichte Amerikas kennt“.12
So warfen Zentrist*innen den Gegner*innen der Sklaverei einst vor, zu weit gegangen zu sein, einen Backlash und infolgedessen die Abspaltung der Südstaaten provoziert zu haben. Zentrist*innen warfen Martin Luther King und weiteren Bürgerrechtsaktivist*innen vor, zu weit gegangen zu sein, einen Backlash13 und infolgedessen erhebliche Stimmenverluste der Demokraten bei den Kongresswahlen 1966 und 1968 provoziert zu haben. Einige zentristische Demokrat*innen meinen heute, die „Woke“-Politik sei zu weit gegangen und habe einen „Wokelash“14 bewirkt, weswegen die Demokraten 2021 mehrere Wahlen verloren hätten. „Einige dieser Leute sollten einmal einen ‚Woke‘-Entzug oder etwas Ähnliches machen“, so der politische Stratege der Demokraten, James Carville, nach den 2021er-Wahlen.15 „Sie benutzen eine Sprache, die die Menschen nun einmal nicht sprechen. Wenn es dann zum Backlash kommt, ist der Frust darüber groß.“ In Wirklichkeit aber sind es zum überwiegenden Teil die Vertreter*innen der Grand Old Party, die von einer antiweißen Sprache reden (bzw. raunen), welch Antirassist*innen gar nicht sprechen. Erst dadurch kommt es zum Backlash, und der Frust darüber ist groß.
„Antirassismus ist antiweiß“, lautet das Mantra, das die Demokratische Partei spaltet, vor allem seit den Wahlen 2021. Es ist aber auch das, was die Republikaner vereint, vor allem seit den Wahlen 2021. Es gibt viele Spielarten davon: „Wokeismus“ oder Antirassismus oder Critical Race Theory oder The 1619 Project oder Cancel Culture oder Black Lives Matter oder die Diffamierung von Kritiker*innen rassistischer Ungleichheit als antiweiß oder rassistisch. Die Variationen dieses Mantras sind im politischen Diskurs der USA mittlerweile so allgegenwärtig, dass sich ihr genauer Ursprung im Weltbild der White Supremacy ohne Weiteres auch leugnen lässt.

The Mantra
Als Robert Whitaker im Juni 2021 im Alter von 76 starb, diskutierten Anhänger*innen der White Supremacy im Netz über sein Vermächtnis. „Sein wichtigstes und bleibendes Vermächtnis ist womöglich, dass er den Begriff ,antiweiß‘ unermüdlich verbreitet hat, sodass er langsam aber sicher im Mainstream ankommt“, schreibt jemand namens Bellatrix auf Stormfront, einer bekannten Website der White-Supremacy-Bewegung.16 „Das ist ein entscheidender Durchbruch, denn er ermöglicht es, Rassismusvorwürfe zu entkräften.“
Whitaker, ein ehemaliger Wirtschaftsprofessor und von Ronald Reagan in das Amt für Personalverwaltung der Vereinigten Staaten berufen, hatte sich in jungen Jahren als Gegner der Bürgerrechtsbewegung radikalisiert und über 50 Jahre lang gegen sie agitiert. Bekannt wurde er unter den radikalen Verfechter*innen der White Supremacy allerdings erst gegen Ende seines Lebens durch ein Pamphlet mit dem Titel The Mantra.
„Alle sagen, dass es ein Rassenproblem gibt. Alle sagen, das Rassenproblem wird gelöst, wenn die Dritte Welt in die weißen Länder und ausschließlich in weiße Länder strömt“,17 so Whitaker in The Mantra, das er 2006 erstmals auf seinem Blog und den Websites einer Neonaziorganisation veröffentlichte. „Aber wenn ich die offensichtliche Wahrheit über den fortschreitenden, programmierten Genozid an meiner Rasse, der weißen Rasse, ausspreche, sind sich Liberale und wohlanständige Konservative einig, dass ich ein Nazi bin, der sechs Millionen Juden töten will.“ The Mantra endet mit dem, was zur neuen Losung der amerikanischen Politik geworden ist: „Sie behaupten, Antirassisten zu sein. Aber in Wahrheit sind sie antiweiß. Antirassistisch ist ein Code für antiweiß.“18
Im Laufe der folgenden zehn Jahre und insbesondere nach der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten postete eine Gruppe Onlinetrolle, die sich selbst der „Schwarm“ nennt,19 immer wieder Auszüge aus dem Mantra, legte es neu auf und brandmarkte Antirasisst*innen als „rassistisch“, wann immer möglich.
Whitakers Pamphlet steht in Verbindung mit einigen der mörderischsten Terroranschläge, die im vergangenen Jahrzehnt von weißen Rassist*innen verübt wurden. 2011 ermordete Anders Breivik in Norwegen 77 Menschen. Am Tag des Anschlags gehörte der Anführer des Trollschwarms, der vom Southern Poverty Law Center als der in Michigan ansässige Antisemit Timothy Gallaher Murdock identifiziert wurde,20 zu den etwa 1.000 Personen, denen Breivik sein 1.500 Seiten langes Manifest zuschickte. In dem Manifest ereifert er sich über „antirassistische Hexenjagden“ und dass „ständig nach geringsten Vorwänden gesucht wird, um Weiße als ‚rassistisch‘ zu brandmarken“. Er wütet gegen die „fast schon religiöse Unterströmung der antirassistischen Bewegung“ und hetzt gegen „das lächerliche Streben nach Gleichheit“. Und immer wieder zählt Breivik sich selbst zu den wahren Opfern. „Ich betrachte mich als Antirassisten, Antifaschisten und Antinazi“, schreibt er. „Das ist der Hauptgrund, aus dem ich den kulturellen Kommunismus/europäischen Multikulturalismus ablehne. SIE sind die Nazis, sie sind die Faschisten, sie sind die Rassisten! Ich habe in meiner Zeit viel Rassismus erlebt, aber zu 90 Prozent richtete er sich gegen Europäer.“
2015 ermordete Dylann Roof in Charleston, South Carolina, neun Afroamerikaner*innen während einer Bibelstunde und postete sein Manifest auf einer Website mit dem Titel The Last Rhodesian. Er fügt Fotos von sich hinzu,21 die ihn in einer Jacke zeigen, auf der ein Aufnäher mit der Flagge Rhodesiens prangt, einer ehemaligen Kolonie im Süden Afrikas. Whitaker wohnte in Roofs Heimstadt Columbia in South Carolina. Es gibt jedoch keine Beweise dafür, dass Roof und Whitaker in Kontakt standen. Roof könnte allerdings mit dessen Ideen in Berührung gekommen sein.22
Viele Amerikaner*innen sind mit Whitakers Idee in Berührung gekommen, wahrscheinlich ohne es zu wissen. In den Tagen nach Roofs Massaker haben Morris Dees und J. Richard Cohen, Gründer und Vorsitzender des Southern Poverty Law Center, darauf hingewiesen: „In den letzten Jahren haben Extremisten die Vorstellung vom weißen Genozid auf das ‚Mantra‘ heruntergebrochen, das in Auszügen auf Plakattafeln überall im Süden und in Internetchaträumen zu lesen ist“, schreiben sie im Juni 2015.23 „Es besagt ‚Diversität = Weißer Genozid‘ und ‚Diversität bedeutet die Verfolgung der Weißen bis zur letzten Person‘ und bezichtigt den Multikulturalismus, die ‚weiße Rasse‘ zu zersetzen.“
Anhänger*innen der White Supremacy haben im Stillen Donald Trumps gegenwärtige Wählerbasis rekrutiert. Schon zu Beginn von Trumps Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2015 fand sich das Gros seiner Unterstützer*nnen24 unter jenen weißen Amerikaner*innen, die glauben, „Antiweißsein“ sei auf dem Vormarsch. Trump-Wähler*innen halten Rassismus gegen Weiße in der Regel für ein größeres Problem als Rassismus gegen People of Color.25 Unter weißen Amerikaner*innen, die nicht der Ansicht sind, dass es viel antiweißen Rassismus gibt, ist die Unterstützung für republikanische Präsidentschaftskandidat*innen in den vergangenen zehn Jahren eher rückläufig gewesen.

Umgekehrte Diskriminierung
Whitaker war allerdings nicht der Urheber des Mantras. Er hat es lediglich reproduziert. Seit dem ersten Civil Rights Act stellen weiße Rassist*innen Gesetze gegen Rassismus als rassistisch gegenüber Weißen dar. Der Civil Rights Act von 1866 definiert die US-Staatsbürgerschaft, gewährt sie den Afroamerikaner*innen und versichert, dass alle Bürger*innen gleichermaßen gesetzlich geschützt sind. Präsident Andrew Johnson legte jedoch ein Veto dagegen ein mit dem Argument, „die Differenzierung nach Rasse und Hautfarbe durch das Gesetz erfolgt zugunsten der farbigen und zu Ungunsten der weißen Rasse“.26 In einer Rede vor dem Kongress im Jahr 1867 widersetzte er sich dem Wahlrecht für Schwarze Männer, aus Furcht vor „der drohenden Vorherrschaft der N***“27 und der „Unterwerfung“ der „weißen Menschen des Südens“. Der Journalist James S. Pike schreibt in seinem Bestseller The Prostrate State 1874 über South Carolinas rassenübergreifende Gesetzgebung, sie verweigere „weißen Gemeinschaften die Ausübung ihrer Rechte, nur weil sie weiß sind“.28 Als dem Senat 1938 ein Gesetzentwurf gegen Lynchmorde vorgelegt wurde, meinte der Senator und lebenslange Klansmann Theodore Bilbo aus Mississippi, dessen Verabschiedung werde „im Süden die Pforten der Hölle öffnen“.29
Als das Parteiprogramm der Demokraten 1948 um einen neuen bürgerrechtlichen Schwerpunkt ergänzt wurde, verließen die Segregationist*innen aus dem Süden den Parteitag. Sie gründeten die States’ Rights Democratic Party, deren Mitglieder auch als „Dixiecrats“ bekannt waren, und machten Senator Strom Thurmond aus South Carolina zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. „Wir sind davon überzeugt, dass die praktische Umsetzung eines solchen [Bürgerrechte-]Programms das soziale, wirtschaftliche und politische Leben der Menschen im Süden komplett zerstören würde“, hieß es in ihrem Programm.30
Thomas Abernethy, ein Befürworter der Jim-Crow-Gesetze [bis Mitte des 20. Jahrhunderts geltende Rassentrennungsgesetze in den US-Südstaaten, Anm.] und Abgeordneter des Bundesstaats Mississippi im Kongress, befürchtete, dass der Civil Rights Act von 1957 „nichts weiter als eine Ansammlung mächtiger und übergriffiger Bundesbeamter und -spione hervorbringen würde, geschaffen zu dem alleinigen Zweck, die Weißen im Süden zu quälen, zu schmähen und in Bedrängnis zu bringen“.31 Senator Thurmond zitierte während einer mehr als 24-stündigen Dauerrede gegen den Civil Rights Acts von 1957 einen Zeitungsartikel, der vor der „Verfolgung“ warnte, der weiße Menschen infolge dieses Gesetzes ausgesetzt sein würden.
Als der Civil Rights Act von 1964 verabschiedet wurde, sahen die Verfechter*innen der Rassentrennung weitestgehend von Äußerungen darüber ab, dass antirassistische Maßnahmen Weißen schadeten. Stattdessen behaupteten sie, bei den antirassistischen Bestrebungen zur Überwindung rassistischer Ungleichheit handle es sich um „umgekehrte Diskriminierung“ oder „umgekehrten Rassismus“ gegen Weiße. Sie nutzten das Bürgerrechtsgesetz, das sie so lange bekämpft hatten, nun als Waffe gegen Maßnahmen und Programme, die der Integration, Teilhabe, Rassengleichheit und Rassengerechtigkeit dienen sollten. Wenn das Heilmittel zur Krankheit umgedeutet wird, wird die Krankheit unweigerlich fortbestehen – und das tut sie.
Allen J. Ellender, ebenfalls ein Befürworter der Rassentrennung und Senator aus Louisiana, deutete das Wahlrechtsgesetz von 1965 als „Diskriminierung, die zur Abschaffung der Diskriminierung praktiziert wird“. In einer 1976 im Fernsehen übertragenen Wahlkampfrede erklärte Ronald Reagan: „Wenn Sie zufällig einer ethnischen Gruppe angehören, der von der Bundesregierung kein Anspruch auf eine Sonderbehandlung zugestanden wird, sind Sie ein Opfer umgekehrter Diskriminierung.“ 1995 sagte Senator Phil Gramm aus Texas: „Man kann jemanden nicht jemand anderem vorziehen, ohne die Person zu diskriminieren, die nicht bevorteilt wird.“ Oder wie der Oberste Richter John Roberts 2009 schrieb: „Diskriminierung aufgrund von Rasse lässt sich nur beenden, wenn die Unterscheidung nach Rassen beendet wird.“
In den 50 Jahren seit der Bürgerrechtsbewegung beten Republikaner*innen (und viele Nicht-Republikaner*innen) zwei widersprüchliche Mantras herunter: 1. Rassismus existiert nicht mehr, und 2. Rassismus weitet sich auf Weiße aus. Seit der Wahl von Joe Biden hat das zweite Mantra das erste überholt.
Die Ideologie der White Supremacy lebt laut der Politkommentatorin Heather McGhee vom „Nullsummenmythos“, das heißt von der Annahme, Fortschritte für People of Color gingen unweigerlich auf Kosten von Weißen. Der Nullsummenmythos negiert die Vergangenheit und Gegenwart abolitionistischer und antirassistischer Bewegungen, die auch gewöhnlichen Weißen geholfen haben. Stattdessen schürt er Zukunftsängste: Wenn Weiße in Bildungseinrichtungen nicht verherrlicht werden, werden sie dämonisiert. Wenn Weiße nicht vorherrschen, werden sie unterdrückt. Wenn Weiße weder Ressourcen horten, noch jede sich bietende Gelegenheit beim Schopf packen dürfen, werden sie verhungern. Wenn Weiße nicht willkürlich töten dürfen, werden sie willkürlich getötet. Weiße Gewalt gilt als Selbstverteidigung. Die Verteidigung gegen weiße Rassist*innen gilt als Straftat.
Vielleicht führt extreme Angst zu noch mehr extremer Angst. Weiße Rassist*innen fürchten wahrscheinlich Rache, Vergeltung und dass sich der Spieß umdreht, während sie das Blut der Demokratie, der Gleichheit, der Sterbenden und Toten von ihren Händen waschen. Wie die einstigen Sklavenhalter*innen schlafen sie mit einer Waffe unter ihren Kopfkissen. Sie wissen um das Ausmaß der Gewalt, die sie People of Color und ihren weißen Verbündeten angetan haben. Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass indigene Antirassist*innen nur ihr Land zurückhaben wollen und keinen Genozid planen,32 dass schwarze Antirassist*innen nur Reparationen verlangen und niemanden versklaven wollen,33 dass asiatische Antirassist*innen nur sichtbar sein und Weiße nicht unsichtbar machen möchten, dass antirassistische Hispanics und Antirassist*innen aus dem Nahen Osten lediglich der Gewalt entkommen und nicht in vorwiegend weiße Staaten einfallen wollen. Weiße Rassist*innen mobilisieren gegen eine antiweiße Armee, die nicht mobilisiert, die nicht vorrückt, weil sie nicht existiert. Wenn es aber eine Armee gibt, die mobilisiert, die vorrückt, die existiert, dann besteht sie aus ebendiesen weißen Rassist*innen. Ihre Massaker sind real.34 Ihre Ideologie ist es ebenfalls.
1956 veröffentlichten 19 Senatoren und 77 Abgeordnete ein Manifest. „Eltern sollten von der Regierung nicht des Rechts beraubt werden, über das Leben und die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen“, meinten sie.35 Außerdem bedauerten sie die „Zerstörung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Rassen“ und das Säen von „Hass und Misstrauen, wo es bisher nur Freundschaft und Verständnis gab“. Sie fürchteten, „wenn dies geschieht, wird das öffentliche Erziehungs- und Bildungswesen in einigen Bundesstaaten mit Sicherheit zerstört“.
Die überzeugten Segregationist*innen im Kongress bekundeten „äußerste Besorgnis“ über diesen „gefährlichen Zustand“. Sie stellten ihresgleichen als „Opfer“ dar und würdigten alle, die „die Absicht bekundeten“, sich der Abschaffung der Segregation im Schulwesen „zu widersetzen“. Vor 65 Jahren taten sie ihr Bestes, die Abschaffung der Rassentrennung und das Streben nach Rassengleichheit als antiweiße Manie umzudeuten.
Die Geschichte wiederholt sich. Aber wenn die Menschen sie nicht kennen – oder daran gehindert werden, sie zu lernen –, wie sollen sie diese Wiederholung dann jemals erkennen?

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Übersetzt von Gülçin Erentok

 

[1] Justin Baragnona, Tucker Fermongers About „Anti-White Mania“ and America Becoming „Rwanda“, in: The Daily Beast, 24. Juni 2021; https://www.thedailybeast.com/tucker-carlson-fearmongers-about-anti-white-mania-and-america-becoming-rwanda.
[2] Madeline Peltz, Tucker Carslon’s descent into white supremacy: A timeline, in: Media Matters, 28. Oktober 2018; https://www.mediamatters.org/tucker-carlson/tucker-carlsons-descent-white-supremacy-timeline.
[3] Ebd.
[4] Siehe Fußnote 1.
[5] Extremists See Critical Race Theory as Evidence of „White Genocide“, 30. Juni 2021; https://www.adl.org/blog/extremists-see-critical-race-theory-as-evidence-of-white-genocide.
[6] Benjamin Wallace-Wells, How a conservative activist invented the conflict over critical race theory, in: The New Yorker, 18. Juni 2021; https://www.newyorker.com/news/annals-of-inquiry/how-a-conservative-activist-invented-the-conflict-over-critical-race-theory.
[7] William Saletan, What the Polls Really Tell Us About How Critical Race Theory Affected the Virginia Election, in: Slate, 5. November, 2021; https://slate.com/news-and-politics/2021/11/polls-critical-race-theory-virginia-election.html?via=rss_socialflow_twitter.
[8] Anti-Racist Is a Code for Anti-White; https://www.adl.org/education/references/hate-symbols/anti-racist-is-a-code-for-anti-white.
[9] Bret Stephens, The New Racisms Won’t Solve the Old Racism, in: The New York Times, 28. Juni 2021; https://www.nytimes.com/2021/06/28/opinion/racism-antiracism-discrimination.html.
[10] Felicia Sonmez, Rep. Paul Gosar tweets altered anime video showing him killing Rep. Ocasio-Cortez and attacking President Biden, in: The Washington Post, 8. November 2021; https://www.washingtonpost.com/politics/republicans-gosar-trump-ocasio-cortez/2021/11/08/ead37b36-40ca-11ec-9ea7-3eb2406a2e24_story.html.
[11] Ibram X. Kendi, The Second Assassination of Martin King Jr., in: The Atlantic, 14. Oktober, 2021; https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2021/10/martin-luther-king-critical-race-theory/620367/.
[12] Lz Granderson, Nikole Hannah-Jones became a political target. What she’s learned from the „hurtful“ attacks, in: Los Angeles Times, 14. November 2021; https://www.latimes.com/entertainment-arts/books/story/2021-11-14/nikole-hannah-jones-the-1619-project-book.
[13] Lawrence Glickman, How White Backlash Controls American Progress, in: The Atlantic, 21. Mai 2020; https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2020/05/white-backlash-nothing-new/611914/.
[14] Eric Mack, Matt Schlapp to Newsmax: Youngkin Win Was a „Woke-lash“, in: Newsmax, November 2021; https://www.newsmax.com/newsmax-tv/glenn-youngkin-virginia-governor-matt-schlapp/2021/11/02/id/1043053/.
[15] Lee Moran, James Carville Rips Democrats Over Election Losses: Some Need „Woke Detox Center“, in: Yahoo News, 4. November 2021; https://news.yahoo.com/james-carville-rips-democrats-over-081535774.html.
[16] Ryan Lenz, Bob Whitaker, Author of the Racist „Mantra“ on White Genocide, Has Died, in: SPLCenter.org, 7. Juni 2017; https://www.splcenter.org/hatewatch/2017/06/07/bob-whitaker-author-racist-mantra-white-genocide-has-died/.
[17] Ryan Lenz, Following the White Rabbit, in: SPLCenter.org, 21. August 2013; https://www.splcenter.org/fighting-hate/intelligence-report/2013/following-white-rabbit.
[18] Ebd.
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] John Ismay, Rhodesia’s Dead – but White Supremacists Have Given It New Life Online, in: The New York Times, 10. April 2018; https://www.nytimes.com/2018/04/10/magazine/rhodesia-zimbabwe-white-supremacists.html.
[22] George Joseph, Creator of White Supremacist „Mantra“ Lives in Dylann Roof’s Hometown, in: The Intercept, 22. Juni 2015; https://theintercept.com/2015/06/22/creator-of-white-supremacist-mantra-lives-dylann-roots-hometown/.
[23] Morris Dees/J. Richard Cohen, White Supremacists Without Borders, in: The New York Times, 22. Juni 2015; https://www.nytimes.com/2015/06/22/opinion/white-supremacists-without-borders.html.
[24] Michael Tesler/John Sides, How political science helps explain the rise of Trump: the role of white identity and grievances, in: The Washington Post, 3. März 2016; https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2016/03/03/how-political-science-helps-explain-the-rise-of-trump-the-role-of-white-identity-and-grievances/.
[25] Michael Tesler, How The Rise Of White Identity Politics Explains The Fight Over Critical Race Theory, in: FiveThirtyEight, 10. August 2021; https://fivethirtyeight.com/features/how-the-rise-of-white-identity-politics-explains-the-fight-over-critical-race-theory/.
[26] Andrew Johnson, March 27, 1866: Veto Message on Civil Rights Legislation; https://millercenter.org/the-presidency/presidential-speeches/march-27-1866-veto-message-civil-rights-legislation.
[27] Andrew Johnson, December 3, 1867: Third Annual Message to Congress; https://millercenter.org/the-presidency/presidential-speeches/december-3-1867-third-annual-message-congress.
[28] James S. Pike, The Prostrate State (1874); https://books.google.de/books?id=1xR2B7zJdI4C&newbks=0&printsec=frontcover&pg=PA1&hl=en&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false.
[29] Richard Stockton, The Invisible Empire: Famous KKK Members in American Politics, in: all that’s interesting, 5. November 2015; https://allthatsinteresting.com/famous-kkk-members/2.
[30] https://www.presidency.ucsb.edu/documents/platform-the-states-rights-democratic-party
[31] https://www.govinfo.gov/content/pkg/GPO-CRECB-1957-pt7/pdf/GPO-CRECB-1957-pt7-1.pdf
[32] David Treuer, Return the National Parks to the Tribes, in: The Atlantic, 12. April 2021; https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2021/05/return-the-national-parks-to-the-tribes/618395/.
[33] Ta-Nehisi Coates, The Case for Reparations, in: The Atlantic, 15. Juni 2014; https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2014/06/the-case-for-reparations/361631/.
[34] Eileen Sullivan/Katie Benner, Top law enforcement officials say the biggest domestic terror threat comes from white supremacists, in: The New York Times, 12. Mai 2021; https://www.nytimes.com/2021/05/12/us/politics/domestic-terror-white-supremacists.html.
[35] Southern Manifesto on Integration (March 12, 1956); https://www.thirteen.org/wnet/supremecourt/rights/sources_document2.html.