Wien. Seitdem What, How & for Whom/WHW die Kunsthalle, Wien übernommen hat, bekommt Wien regelmäßig einen Crashkurs in antikapitalistischer und nachhaltiger Care-, Kultur- und Identitätspolitik. Zwei großartige Künstler*innen, lebend und arbeitend in Wien: Belinda Kazeem-Kaminski und Ana Hoffner ex-Prvulovic* mit unterschiedlichen Herangehensweisen, werden als Einzelausstellung ausgestellt, müssen sich aber den Raum teilen. Über zwei Eingänge betritt die Besucher*in die jeweilige Schau der Ideen, Konflikte und Kontexte. Das ist einerseits innovativ und solidarisch, andererseits könnte jede dieser Kulturschaffenden den Raum alleine füllen.
In ihrer Soloausstellung entwirft Belinda Kazeem-Kaminski, die aktuelle Camera-Austria-Preisträgerin, in Fotoserien, Installationen, Video- und Textilarbeiten neue, eigene künstlerische und wissenschaftliche Methodologien, um mit den traumatischen, gewaltvollen Bildersprachen der Kolonialgeschichte und deren eingeschriebenen Gespenstern der Gegenwart umzugehen. Diese künstlerischen Aktionen drücken sich über eine eigene Wissensproduktion und codierte Formensprachen aus. Sie üben Widerstand gegen bestehende Strukturen aus.
Die Aktivistin und Poetin Audre Lorde sagte in ihrem Gedicht, „Eine Litanei fürs Überleben“: Es ist besser zu sprechen als zu schweigen. Kazeem-Kaminski Arbeiten sprechen. Die Ästhetik und Materialität sind pointiert. Mit einer wissenschaftlichen Poesie setzt sie Momente des Zuhörens, genauen Schauens und neuen Lesens. Obwohl die Themen, die sie verhandelt, vielschichtig und oft sehr schmerzhaft sind, sind sie mit einer Zärtlichkeit und Stärke durchwachsen. Die Geister und Gestalten, denen sie Bühne und Plattform gibt, verlangen eine bessere Zukunft, die sie selber festschreiben.
Farbcodierung ist ein emanzipatorisches Werkzeug in ihrer Arbeit. Beim Betreten der Ausstellung arbeitet die Porträtserie In Search of Red, Black, and Green (2021) mit roten, schwarzen, grünen Hintergründen. Abgebildet ist die Silhouette der Künstlerin. Sie blickt nachdenklich nach oben, wendet ihren Rücken den Betrachtenden zu. Die kraftvolle Körperspannung gibt nichts preis. Zusammengelesen muten die Hintergrundfarben wie die Flaggen der Black-Pan-African-American Diaspora an. Der Bewegungsverlauf erzählt von Schwarzen, sozialen Gerechtigkeits- und Freiheitskämpfen. Aus diesen Widerständen ist so viel zu lernen, Kraft zu schöpfen und es bleibt noch so viel zu tun.
Ebenso werden Farbschemen in der Videoarbeit Unearthing. In Conversation (2017) angewandt. In dieser Arbeit blickt die Künstlerin herausfordernd in die Kamera. Als Wissenschaftlerin erzählt Kazeem-Kaminski von ihrer Herangehensweise. Wie wirkt das koloniale Bildmaterial auf sie und welche Untersuchungen unternimmt sie, um das Material behutsam anders zu lesen, am Fallbeispiel Paul Schebesta, dem kolonialen, tschechisch-österreichischen Ethnologen, posierend mit Menschen aus dem damals belgischen Kongo. Die Bilder stellen Regime des Sehens dar. Sorgfältig hebt die Künstlerin Fotografie für Fotografie die Zustände hervor. Über Farben und Formen setzt sie vorsichtige Eingriffe, um die Subjekte, die von weißer Kolonialmacht unterdrückt werden, zu befreien und emanzipieren. Der Blick wird auf die anmaßende Körperhaltung des Kolonialisten gelenkt. Diese Methode greift sie ebenfalls in STRIKE A POSE (2017–21) auf. Einerseits wird die koloniale Körperhaltung dargestellt, wie die Machtverhältnisse illustriert durch eine Pose, zum Beispiel als der Kolonialist den Arm über einen Menschen ausstreckt. Doch dann sprengt sie dieses Bilderregime mit der Körperhaltung von Ella Williams aka Mme Abomah, der größten Frau der Welt aus dem 18. Jahrhundert in South Carolina. Ihre ausgeschnittene Silhouette streckt den Arm über einen kleinen, weißen Mann aus.
„Dabei mag ich nicht einmal Flaggen“, sagt die Künstlerin in die Kamera und zugleich ist es wichtig, die Banner zu schwingen der Stimmen, die immer noch mit der weißen Dominanzgesellschaft weltweit zu kämpfen haben. Asafo-Flaggen sind Symbole für Gemeinschaft und Kampf. Das Projekt Voids besteht aus mehreren Elementen, darunter drei gedenkende und zelebrierende Asafo-Flaggen von Kazeem-Kaminski und dem ghanaischen Flaggenkünstler Baba Issaka. Die Serie heißt To Let Them Know What We Think About Them (2021). Die Flaggen erzählen die Geschichte von Yaarborley Domeï, einer westafrikanischen Performerin (1896–97). Jedes eingestickte Symbol von der goldenen Erdnuss in der Handfläche bis zu dem Riesenrad ist aufgeladen. Die Performerin wurde damals öffentlich dem Voyeurismus und der Exotifizierung ausgesetzt und schrieb einen Brief in den Wiener Carikaturen. Die Banner sind mit einem Rahmen von Augen umringt, sie schauen die Besucher*innen an.
Domeïs Geschichte wird mehrfach aufgegriffen, in der Videoarbeit The Letter (2019) erkundet Kazeem-Kaminski mehrperspektivisch die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, indem eine empathische Suchgruppe im Archiv – ein Ort der historischen Machtverhältnisse – nach den Spuren der westafrikanischen Performerin geht. Die forschenden Körper entschlüsseln den Ort, treten in Dialog mit Vorfahren, Mitmenschen und Verbündeten, nehmen sich Raum, schreiben sich ein. Die Soloausstellung ist eigentlich eine Gruppenausstellung. Die Werke beziehen sich aufeinander, intervenieren, sind im Gespräch mit vielen Akteur*innen. Das Ganze ein Gesamtkunstwerk von Begegnungen.
Die Art, wie die Körper Schwarzer Menschen ausgestellt und objektifiziert werden, ist ein sich wiederholender Gewaltakt in der Geschichte und Gegenwart Österreichs und weltweit, umso wirkungsvoller ist Kazeem-Kaminskis künstlerischer Akt der Aufarbeitung von Geschichten einzelner Schicksale. Der Nachlass eines Menschen bekommt einen Namen. In Remembrance to the Man Who Became Known as Angelo Soleman (2021) beschreibt sie die Geschichte eines Mannes, der am Hof der k.u.k.-Monarchie in Wien als afroösterreichischer Sklave dem Erbprinzen Alois I. von Liechtenstein als Kammerdiener und Erzieher diente. In zwei musealen Vitrinen mit Samtaushebung zeigt sie eine Kollektion von Objekten, die dem Körper von Angelo Solemann Präsenz und Subjektivität zuschreiben. Es wird auf die Geschichte einer Kindesentführung vom afrikanischen Kontinent nach Österreich aufmerksam gemacht. In Remembrance to The Man Who Became Etched into History as „Der Aschanti an der Akademie“ (2021) gedenkt sie einem Aktmodel, das an der Akademie der bildenden Künste von weißen, angehenden Künstlerinnen gezeichnet wurde. Ein Holzpodest, auf dem das Model stand, eine Lithografie, das die weißen, männlichen Studierenden karikiert, und Kaurimuscheln auf blutrotem Samt stellen die Szene mit unsichtbarem Hauptdarsteller dar. Neutrale Objekte gibt es nicht in Kazeem-Kaminski Review.
Die Atmosphäre in der Ausstellung ist melancholisch, aber stets würdigend seiner Held*innen. Zwischenräume ergeben sich in einer ständigen Verhandlung von wissenschaftlichen Apparaten durch die Kunst. Doch eine treibende Kraft, die in Belinda Kazeem-Kaminskis Kunst Form annimmt, ist: Liebe. Eine Schwarze, feministische Liebe, die laut bell hooks oder Cornell West eine Liebe ist, die trotzdem, trotz der Gewalt, trotz der Ungerechtigkeit liebt, kämpft, überwindet.