Schwaz. Es „entsteht viel zu selten Unsicherheit über die Frage, was denn nun eigentlich erläutert werden solle: das reale Ding oder das Konvolut der begleitenden Texte“, gab der Kunsthistoriker Christian Bracht in seinen Ausführungen zu einer Theorie des Kunstkommentars zu bedenken.1 Einige Seiten später kommt er zu dem Schluss, dass die „Chronologie der Kunstgeschichte […] eine bestimmte Weise der Verkettung von Texten“ beschreibt, „die selten genug von einer Verkettung der Werke und ihrer sichtbaren Formen unterschieden wird.“2 Was Bracht als methodische Vorüberlegung zur aus seiner Sicht notwendigen Differenzierung von diskursiven und präsentativen Akten einführt, liegt der Arbeitsweise von Christian Egger als Prinzip und ins Produktive gewendete Unschärfe zugrunde.
Der den Leser*innen dieser Zeitschrift auch als Autor, Kurator, Musiker und DJ bekannte Egger stellte 2020 in der bei Ve.Sch in Wien gezeigten Ausstellung Display Was A Cat Sneaking Toward An Echo Chamber mit der Arbeit untitled (C) (2020) seinerseits die Frage, wie sich abstraktes Denken und konkrete Erfahrung zueinander verhalten: „Does concrete experience supersede abstract reflection as a means of knowing the truth?“ Dieser Satz materialisierte sich als ein Drittes, in der flüchtigen Form eines via Parabol-Lautsprecher abgespielten Texts über ebendiese Ausstellung – in voller Anerkennung des Umstands, dass dem Kommentar als abstrakte Reflexion in diesem Fall selbst der Charakter eines konkreten Werks eigen ist, der wiederum die im Raum ausgestellten „Werke“ als Exemplifikationen des Kommentars auf die Probe stellte. Anordnungen dieser Art artikulieren sich bei Egger in Zitaten, Verweisen und Verfahren der Wiederholung als permanente Vermittlung von im Hintergrund mitlaufenden Systemen und Scores.
Unter anderem war es die lapidar hingeworfene Materialität und die einen nur vorgeblich nachgeordneten Eindruck erweckende Ästhetik zwischen Baumarkt, Readymade und Displayelement, die Fwd: Disparate Threads! False Endings! (Schere & Kette) in der Stadtgalerie Schwaz mit vorhergehenden Ausstellungen Eggers verbindet. Ferner erstellte die Wiederkehr von einzelnen Arbeiten und Varianten bereits in der Vergangenheit ausgestellter Elemente – spezifisch als Serie markierte Bilderrahmen, eine seifenblasenartige Form oder die bereits erwähnten Parabol-Lautsprecher – Bezüge zu Eggers Ausstellungen der letzten Jahre. Der aus einer Reihe von im Kreis am Boden liegenden Fotografien bestehende Typus einer ortsspezifisch adaptierten Arbeit beispielsweise war zuvor Teil von Eggers Ausstellungen bei Ve.Sch und Gallery AAAA (2021) in Wien. In Schwaz allerdings wurde diese als Installation aus Fotoprints deklariert und nicht wie jene bei Ve.Sch als neunteilige Serie von C-Prints. Sie zeigt jeweils nicht ganz deckungsgleich den Fußboden, auf dem die Fotos ausgestellt werden, dokumentiert dabei allerdings einen vorhergehenden Zeitpunkt, zu dem dort ein aus Materialien wie Sand, Kohle oder Kalk geschütteter Kreis inklusive einer mutmaßlich bei der Herstellung verwendeten Erdnussschütte auslag.
Obgleich nicht dezidiert als solcher ausgewiesen, bot die Ausstellung in Schwaz den Besucher*innen dennoch einen Pfad zunehmender Abstraktion vom Objekt an. Die aus einem Betonklotz, einer leeren Obstkiste und einem unverpackten Geheimratskäse bestehende Arbeit DTFE (S&K) b (2021) im Eingangsbereich des Foyers deklinierte klassische Bestandteile des Ausstellungen strukturierenden Mobiliars wie Sockel, Rahmen und Objekt herunter. DTFE (S&K) k (2017) wenige Meter daneben verschob das Register und führte mit der im Raumplan gelisteten Materialangabe „Sockel, Spiegel, Skulptur“ die Unterscheidung von Funktion, Material und Medium ad absurdum. Die ebenfalls im Foyer als gerahmte Zeichnung auf A4-Papier gezeigte „Seifenblasenform“ wiederholte sich beim Betreten des Hauptraums vergrößert auf einem Boden und Wand miteinander verbindenden Spiegel (DTFE (S&K) g (2021)), der den Blick als Objekt und Zeichenträger zwar fing, doch diesen seinerseits auf ein instabil anmutendes Bogenspalier mit auf links gekrempelten T-Shirts lenkte (DTFE (S&K) c (2021)). Zusammen genommen gaben die Aufdrucke der T-Shirts auf etwas buchstäbliche, da kaum lesbare Weise den als Teil eines Buchtitels von Jacques Rancière bekannten Begriff „Unvernehmen“ wieder. Auf die weiteren im Hauptraum montierten Objekte, darunter Gläser zur Blindverkostung, ein mit CDs bestückter Klorollenhalter sowie Schuhe mit Steckdosen, lässt sich als zeichenhafte Informationsträger zwischen vermeintlicher Leere und nicht auslesbarem Überschuss referieren.
Der letzte Raum, das Studio, blieb bis auf eine Garnitur aus vier verspiegelten Hockern und Tisch mit darüber installiertem Parabol-Lautsprecher leer.3 Wie bei allen in Schwaz gezeigten Arbeiten verwies der Titel DTFE (S&K) f (2021) auf die Ausstellung als Gesamtzusammenhang. Der abgespielte Text bezog sich auf den Ausstellungstitel, dessen die Rezeption lenkende Funktion und auf Beschreibungen des beim Gang durch die vorhergehenden Räume Gesehenen. Er wiederholte dabei eine Präsentation und Repräsentation verkettende Doppelbewegung, die in dieser Ausstellung unter anderem auch beim Einsatz von Fotografie als installativ arrangiertes, opakes Objekt einerseits und transparenter Index andererseits sichtbar wurde.
Indem Egger Text als Explanans und Explanandum hervorhob und sprachliche Artikulation als Form und Medium ausstellte, redete er gerade nicht einer übergeordneten Rolle sprachlicher Veranstaltungen das Wort. Vielmehr spannte er damit die materielle Eigenlogik unterschiedlicher symbolischer Formen und das konstitutive Scheitern ihrer (un-)unterbrochenen Vermittlung in ihrer Differenz auf. Auf die potenzielle Zirkularität eines solchen Unterfangens antwortete Egger in Schwaz (erneut) mit der omnipräsenten Figur differenter Wiederholungen, die diskursive und ausstellungsförmige Praxis wechselseitig aussetzten. An die Stelle der gegenwärtig oft übermäßigen Beanspruchung einer verzweckten Kunst trat so eine fast analytisch zu nennende Fortsetzung der Beschäftigung damit, wie sich ihre diskursiven und präsentativen Akte überhaupt beanspruchen lassen.
[1] Christian Bracht, Kunstkommentare der 1960er Jahre, VDG, Weimar 2002, S. 70.
[2] Ebd., S. 94.
[3] Tisch und Stühle (unverspiegelt) stammen aus dem Besitz des 2021 verstorbenen Musikers Peter Rehberg. E-Mail von Christian Egger an den Autor vom 17. Januar 2022. In einem gewissen Sinne veranschaulicht diese Information den Rand des Zeigbaren.