Susch. In einem abgelegenen, jedoch gut erschlossenen Bergdorf im Engadin widmet sich das Muzeum Susch seit 2019 wenig bekannten Pionierinnen der jüngeren Kunstgeschichte. Das Muzeum ist eine Gründung der polnischen Unternehmerin Grażyna Kulczyk für deren Sammlung einerseits und für ein ambitioniertes zeitgenössisches Ausstellungsprogramm andererseits. Das ist per se keine leichte Vorgabe, und in einem abseits der üblichen Kunstrouten gelegenen Ort in der Schweiz noch viel weniger, doch im Engadin hat sich in den letzten Jahren neben existierenden etablierten Museen auch ein zeitgenössischer Kunstcluster gebildet, der vom Tourismus der Region profitiert und – selbsterklärend in diesem Teil der Welt – sehr wohlhabend ist.
Im Halbjahresrhythmus werden hier in einer umsichtig umgebauten Brauerei vorwiegend Personalen von Künstlerinnen gezeigt, deren nonkonformes Werk schwierigen Rezeptionsbedingungen ausgesetzt war, oder vielmehr: die zu Lebzeiten oft ignoriert wurden. Dazu gehören Emma Kunz oder Evelyne Axell, eine Vertreterin der Pop Art, aber auch Laura Grisi (1939–2017), die dieses Jahr auch auf der Venedig Biennale in der Hauptausstellung von Cecilia Alemani gezeigt wird. Die aktuelle Ausstellung zeigt die außerhalb ihres Herkunftslands Kolumbien nie in diesem Umfang präsentierte Bildhauerin Feliza Bursztyn (1933–82). Ihre aus Polen stammenden Eltern befanden sich 1933 bei Hitlers Machtübernahme in Lateinamerika und beschlossen zu bleiben. So wuchs Feliza mit polnischem Namen als Kind jüdischer Einwanderer*innen in einem katholischen Land auf. Eine crosssektionale Einstimmung auf ihre Laufbahn, in der sie sich aufgrund ihres gesellschaftlichen und politischen Engagements und ihres Feminismus immer wieder massiven Anfeindungen ausgesetzt sah. Der Background der Familie erlaubte es der Tochter jedoch, in Bogotà, New York und in Paris Kunst zu studieren und viel zu reisen. 1981 wurde sie wegen ihres politischen Aktivismus inhaftiert und floh zunächst nach Mexiko und später nach Paris, wo sie ein Jahr später überraschend starb.
Diese kurze Karriere beleuchtet die Ausstellung Welding Madness mit Werken aus den verschiedenen Arbeitsphasen der Künstlerin, die einen Weg von der Skulptur zur Installationskunst beschreiben. Die Chatarras genannten „Schrottskulpturen“ vom Beginn der 1960er-Jahre lassen eine eigene Praxis in Bezug auf Materialbehandlung und -umwandlung erkennen. Bursztyn schweißte Metallabfälle zu plastischen abstrakten Gebilden und verlieh so dem demontierten Ausgangsmaterial neue nobilitierte Formen. Chatarras sind sowohl poetische nicht-figürliche Miniskulpturen wie auch körperhafte Objekte aus den abgewrackten Karosserien von Unfallautos in den bunten Farben einer konsumfreudigen Epoche – die nun zum Symbol einer gecrashten Utopie werden. Eine weitere Serie sind die „Betten“, Camas: Bettgestelle aus Metall, überzogen mit einem bunten glänzenden Stoff. Ein eingebauter Motor setzt die Skulpturen in leichte Vibration und erzeugt eine etwas unheimliche Stimmung, die indessen eine erotische Aufladung verraten sollte. Dieser Anspruch ist hier im Hauptraum, wo vier solcher Camas zu sehen sind, allerdings nicht nachvollziehbar: Zu domestiziert, zu steril installiert oder schlicht zu wenig aktiv erscheinen sie, da sie auch nur äußerst selten in Bewegung stehen. So gleicht dieser Raum einem Mausoleum, anstatt den Eindruck überbordender Aktivität zu erwecken. Dies wird noch durch die Projektion eines Videostills an der Wand mit dem Bild einer Installation der Camas – schwarz-weiß und statisch – verstärkt. Das sind kuratorische Entscheidungen, durch die weder die politische Dimension dieser „ver-rückten“ Skulpturen als Repräsentanten staatlicher Organe noch die kritische Anspielung auf die Tabus der katholischen Kirche erkennbar wird. Generell wird die Ausstellung der offenbar radikalen Rolle, die Bursztyn in der kolumbianischen Gesellschaft eingenommen hat – so ging sie offensiv mit dem ihr zugeschriebenen Attribut La Loca – die „Verrückte“ um –, nicht gerecht.
Der Titel Welding Madness spielt auf Bursztyns Praxis der Metallbearbeitung und der von ihr verwendeten Schweißtechnik an. Ihr transgressives Werk oszilliert zwischen installativen, teilweise mit Textil behandelten Arbeiten und kinetischen Objekten, wird jedoch vom Skulpturalen dominiert. Das ist insofern bemerkenswert, als dass sie für ihren dezidiert politischen Zugang – zumindest anfangs – ein traditionelles Medium suchte und hier durch die Integration von „unwerten“ und „kunstfernen“ Materialien auch eine ökonomische Systemkritik einbrachte. Die Künstlerin konnte ab 1971 in Kolumbien auch repräsentative Aufträge im öffentlichen Raum realisieren – großartige Werke, deren optische Leichtigkeit von der physischen Schwere des Materials konterkariert wird. Bewegung, Statik und Prozess sind hier in einer prekären, jedoch ausbalancierten Symbiose zusammengehalten. Der schönste Raum im Muzeum Susch gilt Bursztyns kleinformatigen Chatarras, von denen eine größere Anzahl auf weißen Podesten verteilt sind. Die wiederverwendeten mechanischen Maschinenteile laden zur meditativen Teilnahme und zeigen eine Offenheit zum Dialog. Die Ausstellung wird ergänzt durch Dokumentationsvideos sowie durch Material aus ihrem Atelier in Bogotá: Fotos, Zeitschriften, Zeichnungen, Notizen. Die Erschließung des Werks von Feliza Bursztyn und dessen Kontextualisierung erweist sich als Schlüsselmoment für das Verständnis dieser hoffentlich noch weiter zu entdeckenden Künstlerin.