Wien. Dass eine Ausstellung mit dem proklamatischen Titel arm & reich keine Zweideutigkeiten über ihre inhaltliche Ausrichtung aufkommen lassen möchte, davon kann nur ausgegangen werden. Wählte Johanna Schwanberg, die Kuratorin ebenjener Gruppenausstellung im Dom Museum Wien diese als krasse Gegensätze gemeinten Begriffe zur Betitelung, so greift sie auf medial weitverbreitete Vorstellungen der „Kluft“ und „Schere“ zwischen Armut und Reichtum zurück. Ob es einer Ausstellung mit begrifflicher Kurzführung, in der Art, wie es „arm“ und „reich“ suggerieren, dennoch gelingt, komplexe ökonomische Verhältnisse und soziale Dissonanzen der Gegenwart in den Blick zu nehmen – das augenscheinliche Ziel des Projekts –, ist zweifellos eine Frage der gekonnten Auswahl und differenzierten Zusammenstellung der gezeigten Arbeiten.
Im Vordergrund stand dabei der Versuch einer gewagten kuratorischen Setzung, die zeitgenössische Praktiken nicht nur mit historischen Arbeiten zusammenführte, sondern zugleich dem Ausstellungsort Rechenschaft zu tragen versuchte, indem auch christlich-sakrale Gemälde und Objekte in der Schau zu sehen waren. Dabei wurde zwar eine durchwegs gelungene Auswahl von Werken großer Namen der Kunstgeschichte – von Rembrandt und Dürer über George Grosz und Käthe Kollwitz bis Joseph Beuys und Michelangelo Pistoletto – mit Arbeiten sozialkritischer Gegenwartskünstler*innen wie Lisl Ponger oder Alice Creischer und Andreas Siekmann zusammengebracht. Wenig deutlich blieb jedoch, welcher Schluss für aktuelle Lebensbedingungen aus diesen Konstellationen gezogen werden konnte. So befand sich gleich im ersten Raum neben fotodokumentarischen Arbeiten – Lamia Maria Abillamas Aufnahmen wohlhabender Brasilianerinnen aus der Serie Ladies of Rio (2006–07) und Jim Goldbergs Porträts von Bewohner*innen San Franciscos aus seinem erstmals 1985 erschienenen Fotobuch Rich and Poor – unter anderem das Tafelbild eines spätmittelalterlichen Flügelaltars mit der Darstellung des Heiligen Martin. Im Begleittext zwar kritisch kommentiert lieferte die wohltätige Mantelteilung des Heiligen in Gegenüberstellung mit den Darstellungen struktureller Ungleichheiten, die zudem geografischer und zeitlicher Differenzierung bedurften, dennoch einen nicht ganz unproblematischen Einstieg in die Ausstellung. So wurde dadurch eine Perspektive suggeriert, die „Solidarität“ – ein weiteres, in den aktuellen Medien wiederkehrendes Schlagwort, das auch als ein Leitbegriff der Ausstellung diente – im Sinne der Geste christlicher Wohlfahrt als Verantwortung des Einzelnen zum materiellen „Geben“ interpretiert, statt die Möglichkeiten solidarischen Handelns als offene Frage an künstlerische Praktiken in den Raum (der Schau) zu stellen.
Bei der in sechs Themenblöcke – von „Die große Schere“ über „Symbole, Materialien und Werte“ bis zu „Teilen und Teilhabe“ – gegliederten Ausstellung dominierte dann auch vordergründig ein illustrativer Zugang zum Thema. Besonders deutlich wurde dies etwa im Bereich „Gesichter und Geschichten“, wo an gegenüberliegenden Wänden Porträts wohlhabender und mittelloser Menschen zu sehen waren. So wurden etwa neuzeitliche Herrscherporträts in Prunkkleidung mit Arbeiten aus der Fotoserie Generation Wealth (1982–2017) von Lauren Greenfield, die sich dem Zurschaustellen protziger Interieurs und deren neureicher Bewohner*innen widmete, zusammengestellt. Demgegenüber standen unter anderem Ferdinand Georg Waldmüllers Bautagelöhner im beschönigenden Biedermeierstil neben Sigmar Polkes Fotografien der Kölner Bettler (1972). Im Kontext des dezidiert überblicksartig gehaltenen Bereichs „Kritik, Widerstand und Protest“ war auch die Dokumentation von David Hammons, Bliz-aard Ball Sale (1983), vertreten, bei dem er Schneebälle in den Straßen Manhattans zum Kauf angeboten hatte. Hammons’ herausragende Arbeit mit dem Potenzial, Fragen zu prekären Lebensbedingungen und deren Verknüpfung zu alltäglichen Rassismen aufzugreifen und historisch herzuleiten, verlor sich in einer Fülle aus historischem und zeitgenössischem Material von Rembrandt über Kollwitz bis Oliver Ressler.
Ein im Rahmen der Themenbereiche immer wieder auftauchender, durchaus gelungener Subtext der Ausstellung zeigte sich jedoch im Verhältnis zeitgenössischer künstlerischer Praktiken – als kommentierende Beobachter*innen, intervenierende Aktivist*innen, kritische Polemiker*innen usw. – zu Fragen sozialer Ungleichheiten. Arbeiten wie Resslers Video The Visible and the Invisible (2014) zum globalen Rohstoffhandel oder Creischers und Siekmanns Wandarbeit Eine Einstellung zur Arbeit (2012–15), die Einkommen und Arbeitsbedingungen internationaler Städte mittels Piktogramme gegenüberstellt, fokussierten auf die künstlerische Aufarbeitung und Vermittlung komplexer Zusammenhänge zwischen ökonomischen und gesellschaftlichen Systemen. Isa Rosenbergers in Kooperation mit drei obdachlosen Frauen entstandene Video- und Fotoarbeit Got it rough ’cause I’m a She (2021) oder auch Krzysztof Wodiczkos Homeless Vehicle (1988/89), eine mobile Architektur für Obdachlose, standen hingegen für einen aktivistischen Zugang und direktes Eingreifen in prekäre Lebensrealitäten.
Bedenkt man das vermutlich extrem divergente Publikum des Dom Museums, allen voran tendenziell eher konservative, christlich-karitativ ausgerichtete und an den kunsthistorischen und religiösen Werken der Sammlung interessierte Besucher*innen, so gelang es sicherlich, einige dieser mittels der Bandbreite gezeigter Arbeiten zu einem „Weiterdenken“ über das Thema Armut zu animieren, wie es die Kuratorin im Katalog als Ziel ihrer Ausstellung formulierte.