Berlin. Von 1986 bis 1990 entstanden fünf fast halbstündige Super-8-Filme der Künstlerinnengruppe Erfurt, die der Ausstellung in der ngbk Berlin eine Art Rückgrat bieten. Die Künstlerinnen agierten ab 1984 abseits der politisch opportunen Pfade im damaligen Ostdeutschland und verbanden den künstlerischen Prozess mit deutlich feministischen Positionen von Selbstbehauptung und Bestärkung. In chronologischer Folge sind Frauenträume (1986), Die Geister berühren (1987) und Komik-Komisch (1988) in Sichtweite voneinander installiert. Der Sound schwappt im Ausstellungsraum von einem Film zum nächsten über, wobei es möglich ist, alle drei parallel zu sehen. Die Ausstellungsarchitektur setzt nach dem dritten Film eine räumliche Zäsur und macht danach mit den Filmen Signale (1989) und Die Überfahrt (1990) weiter, die auch jeweils in Sichtweite voneinander zu sehen sind, bevor im abschließenden Raumsegment mit der Vier-Kanal-Arbeit ExTerra XX eine Art Abschlusszusammenfassung projiziert wird. Die Zäsuren sind kleine separate Räume an spezifischen Stellen in der Ausstellungschronologie und akzentuieren so die Bedeutsamkeit der darin präsentierten Inhalte. Dazwischen hängen Gemälde, Fotoarbeiten und großflächige Papier- und Textilinstallationen, umgeben von den vielen selbstgeschneiderten, selbstgebastelten Kostümen, zusätzlichen Videos von selbstinitiierten Aktionen und Vitrinen mit weiteren Materialien. Der politisch-historische Kontext wird zusätzlich über weitere Videos eingefügt. Daraus ergibt sich ein engmaschiges Bild der ästhetischen Mittel der Gruppe, des künstlerischen Widerstands und der gesellschaftlichen Gegenseite (die ostdeutsche Staatssicherheit, genannt Stasi).
Für den Film Frauenträume entwarfen Monika Andres, Monique Förster, Gabriele Göbel, Verena Kyselka und Ingrid Plöttner ihre jeweils szenischen, dialogfreien Deutungen persönlicher Träume. Die jeweiligen Szenarien mit Konfrontationen, dem Wachsen einer dritten Brust, Flugversuchen oder sisyphoshaften Kletterversuchen evozieren den Loslösungswunsch vom gesellschaftlichen Status quo. Immer wieder tauchen einfache Materialien auf, die als verbindende Bildelemente den gedanklichen Zusammenhalt der Sequenzen stiften. Diese Form der szenischen Abfolgen setzt sich in den weiteren Filmen fort, allerdings werden die Szenen in Geister berühren albtraumhafter und slapstikhaft in Komik-Komisch. Kostüme, Masken und Körperbemalungen sind zunehmend komplexer. Die Künstlerinnen griffen das Format von „Modenschauen“ mit grotesken Bekleidungen auf, was sich dann in den Filmen niederschlug. Als 1989 Signale entstand, lag die DDR schon in den letzten Zügen und die Überfahrt markiert 1990 den Einstieg in die sogenannte Wende zur deutschen Einstaatlichkeit.
Die Künstlerinnengruppe wurde von Gabriele Stötzer gegründet. Ihr gehörten neben den schon genannten Protagonistinnen noch weitere Künstlerinnen an. Der Stasi überwachte diese ungeordnete Zusammenkunft Kreativer dauerhaft. Details dazu werden in der Ausstellung in einer der Zäsurkabinen präsentiert: Fotokopien der Berichte von sogenannten Informellen Mitarbeiter*innen, den IMs, in denen die privaten Zusammenkünfte und Performances beschrieben und deklassierend eingeordnet wurden. In einer ebenfalls in der Ausstellung in Auszügen zu sehenden Doku werden die Stasiberichte über den Kunsthof von Erika Stürmer-Alex vorgelesen, in der die vermeintliche Nacktheit von Männern und Frauen, die es so offenbar gar nicht gegeben hatte, kommentiert wurden. Das daraus entstehende Bild der staatlichen Überwachung, flankiert von Ausschnitten aus dem Schwarzen Kanal, einer DDR-TV-Sendung, die das westdeutsche Treiben in den Medien ablehnend kommentierte, erscheint zum einen stumpf moralisierend und zum anderen erschütternd.
Gabriele Stötzer, die schon zu Beginn der 1980er-Jahre in Haft verbringen musste, weil sie mit ihrer Unterschrift Wolfgang Biermann unterstützt hatte, stand weiterhin unter Beobachtung. In den in der Ausstellung zu lesenden Stasiberichten wurde darauf hingewiesen, Stötzer habe versucht, Anschluss an die „richtigen“ Schriftsteller*innen zu finden: Sie selbst agiere „nicht organisiert“. Die regimeablehnende Haltung, die sich in den Aktionen und Filmen der Gruppe zeigte, wurde von der Stasi argwöhnisch beobachtet: offenbar zu viel „private“ Eigeninitiative. Dass so viel Information über die Bespitzelung vorliegt, liegt auch daran, dass zwei Monate nach dem Fall der Mauer, am 4. Dezember 1989, eine Gruppe Frauen, darunter Stötzer und andere der Künstlerinnengruppe, die Erfurter Stasizentrale besetzten. Den Frauen folgen bald viele andere Bürger*innen. Stötzer kannte den Ort durch Verhöre nach einer Verhaftung zwölf Jahre zuvor – die künstlerische Aktion war direkt mit der politischen verknüpft. Es war die erste dieser Besetzungen, die darauf abzielte, der Vernichtung von Akten zuvorzukommen.
Die Ausstellung fängt die kreative Dynamik der Gruppe ein. Im Zuge des Films Die Geister berühren gründeten Ina Heyer, Verena Kyselka und Gabriele Stötzer die Band EOG (Erweiterter OrGasmus), die fortan die Musik zu Aktionen und Filmen lieferte. Ein Zäsurkubus liefert Audio zusammen mit Fotografien und einer Scherbeninstallation, die auf den genannten Film Bezug nimmt. Es entsteht das Bild einer Gruppe, die sich auf keinen anderen Rückhalt verlässt als auf sich selbst, auf das Verhältnis der einzelnen Künstlerinnen zum Gesamten der Gruppe. Nur so konnte gegen die allgemeine politische und gesellschaftlich akzeptierte Ordnung rebelliert werden.
Mit dem Ende der DDR mutiert die Künstlerinnengruppe Erfurt in andere Formationen mit verschiedenen Namen wie Avant Femme, ExTerra XX oder Atlantis. Die gesellschaftliche Kritik bleibt bestehen, die künstlerischen Formen auch. Kostüme und Kleider aus Cola-Dosen oder Joghurtbechern, Performances mit eigener Musik und tänzerischen Elementen. In Erfurt wird das Kunsthaus Erfurt gegründet, das immer noch besteht und von Monique Förster geleitet wird.
Die Ausstellung zieht eine künstlerische Bilanz, die eigentlich eine politische ist. Punkästhetik geht eine Symbiose mit Surreal-Traumhaftem ein; der weibliche Körper, nackt oder in eigenkreierte Kostüme gekleidet, ordnet sich quasi dem Punk unter. Die Ausschließlichkeit weiblicher Positionen schuldet niemandem Rechenschaft außer sich selbst.