Heft 1/2022 - Netzteil


Toxisches Erbe

Die transmediale 2021–22: For Refusal schließt ihr einjähriges Programm ab

Sabine Weier


Auf dem Gemälde Landing the Shore End of the Atlantic Cable1 Diese, so macht das Bild anschaulich, war von Anfang an eng mit ihren technologischen und später digitalen Strukturen verquickt, die sich radikal materiell in den Planeten einschreiben.>
Diese Materialität ist Thema der meterhohen Medienskulptur Entanglement (2021) des irischen Kollektivs Annex, die es für die Architekturbiennale Venedig entwickelt und dort vergangenes Jahr im irischen Pavillon gezeigt hat. Auf der Website des Projekts ist auch Dudleys Gemälde zu sehen.2 Der Turm aus Serverschränken, Kabeln und Flachbildschirmen zeigte Live-Wärmebilder von Rechenzentren und machte die Materialität von Clouddiensten durch von Ventilatoren erzeugte Windstöße und wummernde Sounds zum geradezu körperlichen Erlebnis. Hier und da waren kohleartige Holzstückchen in die Skulptur eingelassen, Reste des nahezu ausgerotteten Guttaperchabaums, dessen Milchsaft zur Isolation der ersten Telegrafenkabel verwendet wurde.
Von Venedig reiste die Skulptur direkt nach Berlin, wo sie in der Ausstellung abandon all hope ye who enter here eine Auseinandersetzung mit der anthropozänischen Ära eröffnete, die längst auch als „Kapitalozän“ oder „Digitalozän“ bezeichnet wird. Der Ausstellungstitel setzte den Ton mit einem Zitat aus dem ersten Teil von Dantes Göttlicher Komödie (1321), das darin den Eingang zur Hölle markiert. Mit der Schau in der Akademie der Künste am Hanseatenweg und einem zweitägigen, aus dem Haus der Kulturen der Welt gestreamten „Binge-Watch-Symposium“ schloss das Medienkunstfestival transmediale im Januar 2022 sein pandemiebedingt über ein Jahr laufendes Programm ab.3 Unter dem Überthema For Refusal hatten Medienkünstler*innen und Wissenschaftler*innen mögliche widerständige Praxen und Wege aus der Gemengelage von Kolonialismus, digitalem Kapitalismus und Klimakatastrophe diskutiert.
Gemeinsam mit dem kongolesischen Historiker Joe-Yves Salankang Sa-Ngol nahm das südafrikanische Kollektiv Lo-Def Film Factory (Francois Knoetze, Amy Louise Wilson) die Besucher*innen in ihrer Arbeit The Subterranean Imprint Archive (2021) mit in den Kongo, zur Shinkolobwe-Mine, wo zwischen 1915 und 1960 unter belgischer Kolonialherrschaft hochprozentiges Uran abgebaut und unter anderem in die USA verschifft wurde. Dort verwendete man es für jene Atombomben, die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Auf der Grundlage von Interviews und mit in afrikanischen Archiven gefundenem Bild- und Audiomaterial zeichnet die Arbeit die im Hintergrund aktiven kolonialen Verstrickungen nach und thematisiertet auch Spuren der Vertuschung, die in den Archiven sichtbar sind. Dafür präsentiert sie auf großen Leinwänden animierte Mindmaps, setzt dazwischen eine Skulptur aus Elektroschrott, von der Kopfhörer baumeln, mit denen man in Interviewfragmenten etwa mehr über die billigend in Kauf genommenen gesundheitlichen Folgen für die kongolesischen Minenarbeiter*innen erfährt, und verfrachtet die Besucher*innen schließlich per VR-Environment direkt in die kongolesische Giftmülllandschaft.4
Wie als Begleittext dazu las sich der Beitrag von Olúfẹ́mi O. Táíwò zum Symposium. Táíwò forscht an der Georgetown University in Washington DC zu toxischen Ökologien im racial capitalism (Cedric J. Robinson), den Folgen eines radikalen Extraktivimus für Menschen im globalen Süden, aber zum Beispiel auch in Schwarzen Communitys der USA. Es sei wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie Akteur*innen des globalen Nordens diese Menschen noch immer wissentlich zu vulnerablen Gruppen machen, so Táíwò. Er brachte zudem das oft unter den Tisch gekehrte Thema der Reparationen auf – bis heute geschieht im Kongo nichts, um die angerichteten Umweltschäden zu beseitigen oder die Opfer zu entschädigen. Noch immer wird dort unter dem Einsatz von Kinderarbeit und bei tödlichen Unfällen etwa Kobalt abgebaut, um westliche Industrien zu speisen.
Ibiye Camp, die zwischen London und Freetown in Sierra Leone lebt, machte „Injiri“-Textilien, die in Nigeria traditionell von Frauen in Handarbeit gewebt wurden, nun aber in China maschinell hergestellt werden, zum Thema ihrer raumgreifenden Installation Remaining Threads (2021). Zwischen Skulpturen und im Raum hängenden Originaltextilien setzte sie mehrere Leinwände, auf denen sie in Videobildern und Social-Media-Feeds das Leben in den Communitys zeigt, dazu Landschaften, Close-ups der Handarbeit, gerenderte Bilder der automatisierten Webstühle und ins Abstrakte tendierende 3D-Animationen. So erzeugt sie ein kluges Referenzfeld, nicht nur von der traditionellen Fertigung hin zur algorithmisch gesteuerten Produktion, sondern auch von Fotografie und Video hin zum algorithmischen Bild.
Auch die libanesische Künstlerin Alaa Mansour interessiert sich für die Evolution von Bildmedien und beleuchtet in ihrem Film The Mad Man’s Laughter (2021) die Genese rassistischer Stereotype und dafür eingesetzte Bildpolitiken. Basierend auf Archivmaterial aus US-Militärfilmen und im Netz gefundenen Porträts arabischer Männer, die sie in Animationen ineinanderfließen lässt, analysiert sie die Migration entsprechender (Bild-)Daten und das gefährliche Eigenleben, das diese dabei entwickeln. So kritisiert sie die kolonial-militaristische Bildproduktion im Dienst einer weltumspannenden Überwachung, die der „Krieg gegen den Terror“ hervorgebracht hat – eine andere Spielart von toxischem Erbe im Digitalozän.
Die derzeit in Wien lebende, chinesisch-amerikanische Künstlerin Mary Maggic stellte beim Symposium ihr Projekt Genital(*)Panic als Reaktion auf die Überwachung nicht-normativer Körper inmitten zunehmender Umwelttoxizität vor. Ausgehend von den Auswirkungen der chemischen Umweltverschmutzung auf das menschliche Hormonsystem fordert Maggic zur Neubetrachtung von Körpernormen und „ungehorsamen“ Körpern auf. Dafür entwarf sie das Szenario einer queer-feministischen Bevölkerungsstudie, die Geschlechtsidentität über ein 3D-Scan-Tool feststellt und in einer „Alien Genital Database“ archiviert. Das Sci-Fi-Kunstwerk bezieht sich nicht nur im Titel auf VALIE EXPORTs Aktionshose: Genitalpanik (1969), sondern auch visuell: Als eine Art Key Visual dient das 3D-Scanbild einer Vagina. Bei ihrem Vortrag verwies Maggic auf die Analogie des queeren Körpers zum Glitch – jener sichtbaren technischen Fehlfunktion, die ihrerseits das Binäre als Norm zurückweist – als eine Form von refusal.5
In einem cyberfeministischen Sinn sucht Maggic, digitale Technologien umzufunktionieren. Überhaupt arbeiten sich die von der transmediale initiierten Diskurse und eingeladenen Künstler*innen traditionell nicht nur an dystopischen Fallstudien ab, sondern auch daran, wie sich digitale Technologien in einem ermächtigenden oder ökologischen Sinn fruchtbar machen lassen. Vielleicht wird das aber erst im von James Lovelock vorausgesagten „Novozän“ eintreten, in dem eine Hyperintelligenz die Erde vor dem Klimakollaps bewahrt, im Zuge dessen aber den Menschen als zentrale handelnde Macht auf der Erde ablösen wird.6 Das wäre dann eine Form von refusal, die nicht vom Menschen, sondern von der (von ihm geschaffenen) neuen Intelligenz ausginge – eine radikale Absage an das Anthropozän mitsamt seinem toxischen Erbe.

 

 

[1] Vgl. Elmar Altvater, Wachstum, Globalisierung, Anthropozän (2013); http://www.emanzipation.org/articles/em_3-1/e_3-1_altvater.pdf.
[2] https://entanglement.annex.ie/Pavilion
[3] Vgl. Sabine Weier, Die Zukunft wird im Jetzt geschrieben. Über die transmediale 2021 – For Refusal, in: springerin 2/2021.
[4] Die Arbeit ist Teil eines fortlaufenden Projekts und entstand im Rahmen des Programms What Stays – Archiving Care Residency in Zusammenarbeit mit der transmediale und der Akademie der Künste; dabei ist auch eine Website entstanden: https://lodef.co.za/
[5] https://maggic.ooo/Genital-Panic
[6] Christian Höller, Gaia, Cyborgs und das Novozän. Versuch der Annäherung an eine digitale Ökologie mit James Lovelock, in: springerin 3/2021.