Heft 1/2022 - Netzteil
Technoschamanismus – verheißungsvoll lockt der Titel mit Triggerqualitäten all jene in den Hartware Medienkunstverein, die sich vom Spannungsfeld vermeintlicher Gegensätze – rationale Technologie versus spekulative Spiritualität – Impulse versprechen; mithin Einsichten, wie die Krisen der Gegenwart sich, sozusagen per „Cyberwitchcraft“, wenn nicht wegzaubern, so doch zukunftsfähig transformieren lassen.
Bereits in den ausgehenden 1990er-Jahren lagen „Mystik, Magie und Mythologie im Informationszeitalter“ in der Luft, als etwa der Kulturkritiker Erik Davis jenen Komplex in seinem Buch Techgnosis essayistisch beforschte – nun aber steht ein Comeback auf der Agenda: Zahlreiche Künstler*innen(-kollektive), in der von Direktorin Inke Arns eingerichteten Schau sind es zwölf, interessieren sich für technologisch inspirierte Zugänge zu übernatürlichen (Heil-)Kräften, um das kapitalistisch vergiftete, soziale und ökologische Klima zu kurieren. Desillusioniert von einer hyperkapitalisierten Gegenwart und ausgelaugt von ihren extraktivistischen Agenten – so vermeldet der eigene Deutungsreflex schon vor dem Ausstellungsbesuch – muss sich die Hoffnung fast zwangsläufig nach „oben“ richten: „Höhere Wesen befahlen: Schluss mit jenen Qualen!“ – so oder so ähnlich könnte das Credo lauten.
Und tatsächlich geht es im begleitenden Magazin mit „higher powers“ zur Sache, gleichsam zu den Dingen – den nicht-menschlichen Akteuren und ihrer Handlungsmacht etwa gilt das Augenmerk. Jene Idee des „(Re-)Animismus“ ist eine wesentliche Imaginationsfigur der Ausstellung, die den Dialog mit der Umwelt neu perspektiviert: Selbst Steine könnten beseelt sein, Objekte gar „flackern“; die Oberfläche von Materialien sich ablösen, um – Erik Davis lässt Foucault anklingen – „als zweidimensionale Spuren der Dinge über den Schauplatz der Gedanken zu gleiten“. „Re-animistisch“ will der Planet Erde nicht als bloß auszubeutende Ressource aufgefasst werden, sondern als „ein Gewebe aus reziproken Beziehungen […] zwischen Individuen, von denen nur manche Menschen sind“. Denn das „narzisstische und instrumentelle Erleben der Ich-Es-Welt“ werde, so Davis im Rekurs auf die Philosophie Martin Bubers, „durch Anlernen und Anmut in ein Netzwerk aus Begegnungen mit ‚Dus‘ verwandelt werden, das […] möglicherweise auch Bäume, Katzen, Symbole, sogar ‚Geister‘ umfassen könnte“. Raum solle gelassen werden „für animistische Begegnungen, Träume und Bündnisse oder die schimmernden Ontologien, die am Rande unseres Vorstellungsvermögens aufflackern, im teils unverständlichen Gemurmel und in halb verschütteten Erinnerungen“. Schließlich erörtert die Kunstwissenschaftlerin Verena Kuni, wie das Ausstellungsthema dem „toxischen Machtradius global agierender Konzerne des Techno-Kapitalozäns“ begegne: „Technoschamanismus setzt sich mit den Systemen, die uns kontrollieren, auseinander und legt sich mit ihnen an“, in der Haltung „technofeministischer Trickster“ sei kritische Handlungsmacht zurückzuerobern und werde „Widerstand von innen heraus“ möglich. Kunis für das Selbstverständnis der Cyberaktivist*innen wesentliche Conclusio leitet gleichsam in die Ausstellung über: „Kommt es nicht immer weniger auf die Werkzeuge an als darauf, wie wir sie verwenden?“
Tja, das Werk und seine Zeug*innen: Der Ausflug in die begleitenden Essays erzählt nicht nur von der Komplexität der Dortmunder „Anderswelt“, sondern auch von einer zeitgenössischen Kunst, die für ihre zukunftsimaginativen und ökophilosophischen Anrufungen im White Cube immer umfangreichere Publikationen und kollaterale Events auffährt. Jene Symptomatik findet ihre visuelle Entsprechung im Videoessay, das bisweilen gar zur Videolecture gerät, da stets diffizilere Phänomene verhandelt werden wollen, immer mehr Welt ins Werk muss. Man hat sich an Helvetica-Untertiteln und CGI-Renderings inzwischen sattgesehen; und stets gibt es einen weiteren Raum, wo noch mehr Content vor sich hin loopt; an alle kapitalistischen Verwerfungen ist gedacht, bloß an ihre Rezipierbarkeit bisweilen nicht.
Dass Lectures allerdings auch aufregend sein können, zeigt Mariechen Danz: Wenn sie auf Alicja Kwades „Pars pro Toto“-Planeten mit groovigem Gesang ein „Pluriversum des Verlernens“ ausruft, ja ausbrütet – „how to know, how to let go?“ –, dann will man sich gerne mitreißen lassen ins abgespacte Anderswo. Zusätzlichen Drift ins Kosmische verleiht dem Auftritt die Kostümierung im Allover-Print aus Kerstin Brätschs Unstable Talismanic Renderings – auch wenn dem psychedelischen Formenspiel nur ein Cameo-Auftritt vergönnt ist, passt es hervorragend sowohl zur Performance als auch zur Schau im HMKV.
„Viva alternatives Wissen, viva!“ will man also in Gedenken an die 57. Venedig Biennale von 2017 ausrufen, wo die stimmgewaltige Zeremonienmeisterin ein weiteres Stück aufführte, das ebenfalls als Videosample zu sehen ist: „Für alle Dinge, die nicht gesagt werden oder nicht gesagt werden können, haben wir das e-t-c – das et cetera“, führt Danz darin aus, bevor ihr Sprachfluss versiegt, ein weiterer Performer in gutturale Lautmalerei ausbricht, die sich als Dialog der Zischlaute fortsetzt und in ein Mantra der Verweigerung – „No-no-no“ – mündet.
Als subversive Absage, in diesem Fall an den heteronormativen Familiensamstag beim Möbelriesen Ikea, versteht sich auch JP Raethers Ikeae Shrine – ein Papiermaschee-Zelt, das Raethers künstlerischem Alter Ego Transformella als Augmented-Reality-Umgebung dient und über ein VR-Headset mit digitalen Inserts bespielt wird. Darauf ist dann zu verfolgen, wie der Künstlerschamane mit Entourage beim schwedischen Lifestyle-Discounter aufkreuzt und Transformella ihrem Namen alle Ehre macht, nämlich das „Fast Furniture“-Haus zu ihrer „Ikealität“ erklärt, um dort Alternativen zum lebensgemeinschaftlichen Mainstream zu eruieren.
Mit Transformella cinis ruft JP Raether eine weitere Fantasiegestalt auf den Plan, deren „Inkubatoren“ in Keramik gefasst sind und sich auf so abgefahrene Unternehmungen wie die Züchtung von synthetischem Kulturfleisch beziehen – Steaks aus dem 3D-Drucker! – oder der Pressung von Diamanten aus der Asche Verstorbener – manchmal kann die Kunst dem Realweltwahnsinn nur staunend hinterhergestalten.
Schließlich fasst Lucile Olympe Hautes Cyberwitches’ Manifesto den magisch-technophilen Spirit der Schau in einem kämpferischen Postulat zusammen und schwört auf eine Zukunft jenseits des „big daddy mainframe“ ein. Alles hänge mit allem zusammen, unser Bewusstsein sei mindestens so sehr für die Realität verantwortlich wie umgekehrt, und überhaupt verteidigten wir nicht die Natur, sondern – als Teil von ihr – vielmehr uns selbst.
Wann kommt eigentlich Melanie Bonajo zum Konzert im HMVK vorbei? Mit ihr ließe sich in den Chor der Cyberwitches hoffnungsvoll einstimmen: „Why we turn to non-believers? Waoo-waoo-waa – the trees are people, waoo-waoo-waa – the people are trees; waoo-waoo-waa – let’s fall in love!“
Technoschamanismus, Hartware MedienKunstVerein, Dortmunder U, Ebene 3, 9. Oktober 2021 bis 6. März 2022; https://www.hmkv.de/ausstellungen/ausstellungen-detail/technoschamanismus.html