Heft 1/2022 - Netzteil


Vom Gameplay zum Artplay

Über partizipative Nutzeraktivierung anhand des Videospiels Triggerhappy

Lorenz Ecker


Videospiele verändern die Art der Besucherbeteiligung in Museumsräumen. Neben den Herausforderungen, die andere digitale Medien und Kunstformen an das Museum und die Kurator*innen stellen, basieren Qualität und Charakter von Videospielen auf Partizipation und Interaktion der Besucher*innen. Partizipative Kunst wird seit den 1960er-Jahren im Museumsraum ausgestellt und hat die Wahrnehmung zeitgenössischer Kunst und des Museums selbst verändert. Die traditionelle Auffassung von der Autorität des einzelnen Objekts und der Autor*innen scheint sich langsam in Richtung einer selbstverständlichen Berücksichtigung der Handlungsfähigkeit der Betrachter*innen zu verlagern. Damit werden sie zu Teilnehmer*innen am künstlerischen Prozess. Das aktive und engagierte Publikum verwandelt die Institution selbst und macht sie zu einem offenen Raum für die aktive Auseinandersetzung mit Kunst.
Die Künstler*innen Jon Thomson und Alison Craighead beschäftigen sich seit Mitte der 1990er-Jahre mit dem Medium Videospiel.1 Ihre Arbeit Triggerhappy (1998) ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie die Autorität des Museumsraums in den künstlerischen Prozess einfließen kann, wie Besucher*innen ihr Verhalten bei der Interaktion mit Spielen ändern und wie wiederum das Kunstwerk das Museum verändern kann.
Im Gegensatz zum massenproduzierten, konsumorientierten Videospiel konzentrieren sich „Art Games“ darauf, wie Benutzer*innen mit ihrer Umgebung, dem Medium und seiner Präsentation interagieren. Beiden gemeinsam ist ihr räumlicher Charakter, der sich auf geschaffene Welten und deren Animation stützt.2 Innerhalb dieser Welten können die Spieler*innen Bewegungsfreiheit nur eingeschränkt erfahren. Selbst Werke, die offene Welten imitieren, können nur eine bestimmte Anzahl von Interaktionen und Bewegungen zulassen. Performances, die sich aus der Interaktion mit Kunstspielen ergeben, befassen sich häufig mit den in die Spiele einprogrammierten Grenzen. Dabei hängt die Maschinenleistung nicht allein von den Reaktionen des externen Publikums ab, wiewohl sie von externen (vorprogrammierten) Parametern gesteuert wird.3 Beispiele wie Triggerhappy beruhen zudem auf dem Setting des Galerieraums und der Beziehung zwischen programmierter Performance, aktiven Spieler*innen und untätigen Zuschauer*innen.
Die Arbeit des Künstlerduos Thomson und Craighead basiert auf dem Gameplay des Spieleklassikers Space Invaders. Die Spieler*innen müssen auf heranfliegende Textauszüge schießen, die aus Roland Barthes’ Der Tod des Autors zu stammen scheinen, aber tatsächlich einem Vortrag von Michel Foucault entnommen sind, den er über das Buch seines Kollegen hielt. Im Spiel mit Elementen westlicher Philosophie und Kunsttheorie unterwandern die Künstler*innen den üblichen Diskurs und das Setting des Galerieraums. Mit feiner Ironie machen sie sich dabei nicht über das philosophische Denken lustig, sondern vielmehr über die institutionellen Stimmen, die es replizieren. Anstatt das Medium Videospiel als Instrument der Massenunterhaltung zu verspotten, nehmen sie sich des Mediums aktiv an und nutzen seine Präsentation im Ausstellungsraum, um die Wirkung der Arbeit auf die Besucher*innen genauer zu untersuchen.4
Generell hängt das Potenzial für partizipatives Engagement davon ab, wie ein Videospiel präsentiert wird und inwieweit es seine partizipative Kraft durch die spezifische Art seiner Präsentation entfalten kann. Die Rezeption des künstlerischen Werts eines Videospiels, abgesehen von seiner visuellen Darstellung auf dem Bildschirm, erfolgt in der Interaktion mit dem Controller, den Bewegungsformen innerhalb der programmierten Welt, der Positionierung der Spieler*innen vor der Installation (die jede Präsentation eines Videospiels in einem Museumsraum mit sich bringt) und der performativen Vorstellung des spielenden Publikums in Bezug auf die es umgebenden Zuschauer*innen. Die Teilnahme an der Präsentation verwandelt die Spieler*innen in Performer*innen, die das Kunstwerk erst zum Leben erweckt. Als eine Form der delegierten Darbietung beruhen Videospiele, wenn sie ausgestellt werden, darauf, dass sie aufgeführt und wiederholt werden können.5
Kunstspiele und die Performances, die sich aus der Interaktion der Besucher*innen mit ihnen ergeben, sind abhängig von dem Kontext, in dem sie gezeigt werden, und können sich abhängig von ihrem Präsentationsort fortwährend verändern. Triggerhappy spielt genau mit dieser Dynamik der Autorität des Raums. Die Spieler*innen stecken in zwei Modi der Auseinandersetzung mit der Arbeit, indem sie einerseits von den Textpassagen und dem philosophischen Hintergrund abstrahieren müssen, um Fortschritte beim Spielen zu erzielen, während sie gleichzeitig versuchen, sich mit der Figur zu identifizieren, um sich in die Spielwelt einzuarbeiten.6 Im Fall von Triggerhappy lässt sich die Dualität von Engagement und passivem Erleben auf eine Dualität im Spieldesign zurückführen. Ausgehend von der Frage der Aufmerksamkeitsspanne haben Thomson und Craighead bei der Erstellung der Arbeit zwei Standpunkte bzw. Aufmerksamkeitsmodi kreiert. Dies spiegelt sich in den möglichen Interaktionen mit dem Werk wider. Die*der aktive Spieler*in, die*der die Kontrolle über das Spiel übernimmt, interagiert hauptsächlich mit dem Gameplay. Sie*er konzentriert sich primär darauf, das Spiel zu überleben, was dazu führt, dass sie*er die Texte gar nicht liest. Dahinter stehen die passiven Zuschauer*innen, die ihre Aufmerksamkeit sowohl auf die Texte, das Gameplay und die körperliche Leistung der Spieler*innen lenken können. Eine solche duale Qualität des Publikums ist Videospielen im weiteren Sinne inhärent. Ein System, das für die Spieler*innen zu verlockend ist, lenkt möglicherweise von dem ab, was die Künstler*innen kommunizieren möchten. Andererseits neigen Kunstspiele bisweilen auch dazu, Spieler*innen vom eigentlichen Spiel abzulenken und sich stattdessen mit den intendierten Erfahrungen des Kunstwerks zu beschäftigen.7 Thomson und Craighead arbeiten gezielt mit dieser Dualität, um das Thema ihrer Arbeit zu vertiefen.8
Je nach Charakteristik des Spiels verändert sich durch das Setting im Museumsraum auch die institutionelle Autorität, die auf die partizipative Performance und ihren Umgebungsraum ausgeübt wird. Videospiele, die primär zu Unterhaltungszwecken erstellt, aber in einer Galerie ausgestellt werden, um ihre Kunst, ihr Design und ihr Gameplay als eine Form der künstlerischen Produktion hervorzuheben, sind daher von Spielen zu unterscheiden, die von vorneherein im Bereich der bildenden Kunst agieren. Über das bloße Amüsement hinaus nutzen diese Werke das Medium, um durch das kulturelle Phänomen des digitalen Gameplays mit der Gesellschaft zu kommunizieren. Auf solche Weise imitiert die Kunst das Leben in seiner aktuellsten Form.

 

 

[1] Alison Craighead, geboren 1971, Jon Thomson, geboren 1969; beide leben und arbeiten in London.
[2] Vgl. Henry Jenkins/Kurt Squire, The Art of Contested Spaces, in: Lucien King, Game On. London 2002, S. 65.
[3] Vgl. Andreas Broeckmann, Image, Process, Performance, Machine: Aspects of an Aesthetics of the Machinic, in: Oliver Grau (Hg.), Media Art Histories. Cambridge 2007, S. 200.
[4] Vgl. Auriea Harvey/Michaël Samyn, The Realtime Art Manifesto, in: Marie Foulston/Kristian Volsing, Videogames: Design/Play/Disrupt. London 2018, S. 94.
[5] Vgl. Claire Bishop, Artificial Hells. London 2012, S. 230f.
[6] Vgl. Eric Zimmerman, Games as Exchange: Module 4 of RE:PLAY: Game Design + Game Culture, in: E-Learning, Vol. 2, Nr. 2, 2005, S 134f.
[7] Vgl. Harvey/Samyn, S. 95.
[8] Interview mit Jon Thomson und Alison Craighead von Lorenz Ecker, 28. Juli 2021.