Heft 1/2022 - Netzteil


Was NFTs sind, wo sie herkommen und wozu sie fähig sind

Eine Prognose

Teresa Retzer


Bestimmte auf einer Blockchain, einer dezentralen und erweiterbaren Datenbank, gespeicherte Daten, die einen digitalen Vermögenswert aufweisen, der einzigartig und nicht austauschbar ist, bilden einen sogenannten Non-Fungible Token (NFT). Verschiedene Arten von digitalen Objekten können mit einem NFT verknüpft werden, etwa Fotos, Videos oder Audiodateien. Allerdings können NFTs auch den Besitz physischer Objekte oder die Teilnahme an Events anzeigen. Zudem gibt ein NFT die Herkunft des zugehörigen digitalen Objekts in Bezug auf die Produktion, die Provenienz und gegebenenfalls den Speicherort des verknüpften Assets an. Da Blockchains wie Ethereum, Tezos oder Solana, auf denen NFTs basieren, öffentlich und unabänderlich sind, lässt sich leicht feststellen, ob der Token tatsächlich das ist, was er zu sein vorgibt. Denn jeder einzelne NFT auf der Blockchain kann über jede Adresse, von der aus er jemals besucht wurde, bis hin zum genauen Zeitpunkt seiner Erstellung zurückverfolgt werden. NFTs werden inzwischen zur Vermarktung digitaler Objekte in verschiedenen Bereichen wie Kunst, Gaming und Sammelkarten (Collectibles) im Sport oder anderen Feldern verwendet.
NFTs sind häufig mit sogenannten Smart Contracts verbunden, und diese können festlegen, dass Künstler*innen stärker in den Verkauf und das Forstbestehen ihrer NFTS, wozu auch alle weiteren Verkäufe gehören, einbezogen werden. Auf den meisten Plattformen können Künstler*innen selbst festlegen, wie viel ihnen bei Weiterverkäufen zusteht, oder sie erhalten automatisch zehn Prozent pro Weiterverkauf.1 NFTs sind ein neues Medium, das es möglich macht, neue Formen von Kunst unter Anwendung neuer Technologien zu entwickeln. Seit einigen prominenten Versteigerungen werden sie inzwischen auch von einem breiteren Publikum beachtet.
Während die NFT-, Krypto- oder Blockchain-Kunst erst 2017 richtig begonnen hat, existierte zuvor schon eine Tradition von generativer Kunst, Computerkunst oder Creative Coding, die jedoch lange Zeit vernachlässigt wurde. Galerien mieden es jahrzehntelang, generative Arbeiten wie Softwarekunst oder Videospiele zu verkaufen. NFTs bzw. die „Tokenisierung“ (digitaler) Kunst könnte diesbezüglich eine Lösung darstellen, da Sammler*innen nun nicht mehr die Software oder das System kaufen, sondern einen Token, der die Arbeit repräsentiert. Insofern stellt die Ökonomisierung von Computerkunst ein großes Versprechen dar, wonach Computer- und Softwarekünstler*innen bzw. Creative Coding endlich einen Markt gefunden haben. Allerdings gibt es auch die gegenteilige Behauptung, dass die Kryptokunst eher in einer Parallelwelt als der konventionellen Kunstwelt angesiedelt sei.2

Eine kurze (Kunst-)Geschichte der NFTs
2014 entwickelten Kevin McCoy und Anil Dash auf der Seven on Seven Conference im New Yorker New Museum innerhalb eines Tages die Plattform Monegraph. Monegraph war die erste Plattform, die die Blockchain-Technologie nutzte, um digitale Objekte zu authentifizieren. Sie stellten den ersten „digitalen Kunst-Token“ bzw. den ersten NFT auf der Bitcoin-Blockchain her und verkauften ihn an das New Museum. Im selben Jahr wurde die dezentrale Open-Source-Blockchain Ethereum von Vitalik Buterin ins Leben gerufen, und ab 2015 nutzten die ersten Produzent*innen die Ethereum-Blockchain für NFTs.
Zumeist werden CryptoPunks, die 2017 von John Watkinson und Matt Hall, den Gründern von Larva Labs entwickelt wurden, als die ersten NFTs betrachtet. Es handelt sich dabei um generative Bilder von menschlichen Gesichtern auf der Basis von 24 x 24 Pixeln. Von den Entwicklern wird jeder der inzwischen über 10.000 CryptoPunks als einzelnes generatives Kunstwerk gesehen, wobei auch das Gesamtprojekt ein größeres konzeptionelles Werk darstellt. Da es über einen eigenständigen Mechanismus zur Aufzeichnung und Abwicklung der Eigentumsverhältnisse verfügt, handelt es sich wahrscheinlich um die erste serielle Kunst, die einen Smart Contract verwendet.
Mit den CryptoKitties von DapperLabs wurden NFTs 2017 zu einem Mainstreamphänomen, und mehr und mehr Menschen begannen, NFTs zu generieren – oder umgangssprachlich ausgedrückt: zu schürfen (minting) –, zu sammeln und mit ihnen zu handeln. Im Juli 2020 begann der NFT-Markt, rapide zu wachsen und zog schließlich im März 2021 große Aufmerksamkeit auf sich, als der Künstler Beeple einen seiner NFTs für 69,3 Millionen US-Dollar im Auktionshaus Christie’s verkaufte. Der Preis entsprach dem dritthöchsten Auktionspreis, der jemals für einen lebenden Künstler erzielt wurde. In der Folge gab es einige weitere Rekordverkäufe, darunter einige CryptoPunks, der erste Tweet in der Geschichte von Kunstauktionen, NFTs verschiedener Stars sowie Collectibles von NBA- und Footballspielern.3
Kunstgeschichtlich betrachtet gibt es einige Verbindungen zwischen der Pop Art und der Kryptokunst. Die Pop Art, die sich Mitte der 1950er-Jahre in Großbritannien und Ende der 1950er-Jahre in den Vereinigten Staaten zu etablieren begann, war eine Antwort auf den Konsumboom der Nachkriegszeit. Die Entwicklung der Popmusik hin zu einem globalen Phänomen einschließlich des begleitenden Starkults fand parallel zur Entwicklung der Pop Art statt und war Ausgangspunkt für zahlreiche jugendkulturelle Bewegungen. In der Kryptoszene ist dieser Konsumtrend auffallend präsent und wirkt sich etwa darin aus, dass die Marktkapitalisierung von NFTs im Kunstmarkt innerhalb seiner fünfjährigen Geschichte bereits mehr als zehn Prozent beträgt. Andererseits ist auch der Einfluss des Starkults stark präsent, ersichtlich daran, wie Künstler*innen und Sammler*innen sich mit ihren NFTs identifizieren, indem sie sogenannte Profilbilder-NFTs in den sozialen Medien verwenden und häufig posten, was sie gekauft haben. Während der ursprüngliche Ansatz der Pop Art darauf abzielte, Konsumobjekte in erster Linie zu reproduzieren, möchte ein Teil der Kryptokunst selbst Konsumobjekte schaffen, deren Besitz Sammler*innen zu mehr Anerkennung in der Krypto-Community verhelfen soll. Ähnlich wie viele kritische Pop-Art-Künstler*innen nutzen Kryptokünstler*innen das neue Medium jedoch nicht primär, um Marktmechanismen zu reproduzieren, sondern vielmehr um sozioökonomische Strukturen sichtbar zu machen. Das Argument, Kryptokunst existiere in einer Parallelwelt, ist insofern nicht ganz richtig, als diese Kunstrichtung Möglichkeiten bietet, aktuelle politische Herausforderungen, etwa spekulative Märkte und die damit verbundenen Unsicherheiten oder neueste technische Entwicklungen, zu thematisieren.
Daneben liegt eines der zentralen Versprechen von NFTs darin, mittels digitaler Marktplätze den stark zentralisierten Kunstmarkt zu dezentralisieren und Werke einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bislang gibt es noch wenige empirische Studien über NFTs bzw. dazu, wie sich diese auf den Markt und den Kanon auswirken und wenn, dann haben sie sich meist auf eine begrenzte Anzahl von NFT-Sammlungen wie CryptoKitties und CryptoPunks oder auf einen einzelnen NFT-Markt wie Artblocks, Decentraland oder SuperRare konzentriert. Diese Analysen ergaben, dass der NFT-Markt, auch wenn die NFT-Preise noch vom Wert der Kryptowährungen bestimmt werden, höchst anfällig für Spekulationen sein könnte.4 Darüber hinaus zeigte sich, dass zentralisierte NFT-Plattformen den Markt dominieren und NFTs, die von Expert*innen bewertet werden, am erfolgreichsten sind.

Versprechen der „Tokenisierung“
Viele generative Künstler*innen nutzen NFTs, da sie so den digitalen Raum, von der Herstellung bis zum Verkauf und Weiterverkauf, nicht verlassen müssen. Während die meisten NFT-Marktplätze medienbasierte NFTs anbieten, gibt es auch einige, die sich auf codebasierte NFTs spezialisiert haben, bei denen Künstler*innen anstatt eines Assets einen generativen Code hochladen. Diese On-demand- bzw. On-chain-Kunstwerke entwickeln sich erst im Verkaufsprozess zu ihrer endgültigen Form. Bei einem On-chain-NFT enthält die Blockchain nicht nur den Smart Contract, der Informationen über die Produzent*innen und einen Link zum jeweiligen Asset liefert, sondern auch die Arbeit selbst in Form eines generativen Codes. Dieser relativ limitierte generative Code kann ein Bild oder eine Animation oder verschiedene Stufen und Varianten eines Bilds oder einer Animation erstellen. Wohingegen ein Off-chain-NFT ein Zertifikat darstellt, das mit einem digitalen Asset bzw. einer Datei verknüpft ist, die auf dem Webserver des NFT-Marktplatzes oder einem zentralen Datenspeicherungssystem wie IPFS (InterPlanetary File System) gespeichert ist.
Die ersten generativen On-chain-NFTs von Watkinson und Hall waren Autoglyphs aus dem Jahr 2018. Dabei erstellten die Künstler einen Smart Contract, der eine generative Funktion enthielt, die nach einem zufällig gewählten Schema genau 512 Bilder erzeugt.5 Weitere Künstler*innen, die generative NFTs produzieren, sind Sofia Crespo, Dmitri Cherniak, Harm van den Dorpel, Holly Herndon, Ben Kovach oder Zach Liebermann, und viele von ihnen werden erst seit der Tokenisierung von einem größeren Publikum wahrgenommen. Zudem gibt es Künstler*innen wie Simon Denny, Jonas Lund und Itzel Yard, die Blockchains als Medium nutzen, um bestehende Machtstrukturen zu kritisieren.
2018 brachte etwa Jonas Lund seinen eigenen Token (JLT) auf den Markt und rief mit dieser Selbst-Tokenisierung Investor*innen zur Beteiligung an seiner DAO (dezentralisierten autonomen Organisation) auf. Sammler*innen des Tokens verdienen einerseits am steigenden Marktwert des Künstlers und können andererseits – wie es auf der Website heißt – sein Leben und seine Karriere gemäß der Höhe ihrer Anteile mitbestimmen.6 In der computergenerierten, Ethereum-basierten Welt Decentraland stellte Lund 2021 in der virtuellen König Galerie seine NFTs aus. Er visualisierte die tokenisierte Infrastruktur seiner Kunstfigur innerhalb des 3D-Nachbaus des Galerieraums St. Agnes, indem er symbolisch einen Versammlungstisch ausstellte. Zudem stellte er NFTs in Form von digitalen Bildern und Skulpturen aus, deren Erwerb den Sammler*innen wiederum Anteile an seinem Werdegang sowie an Weiterverkäufen seiner Werke sicherte. Da der Vorstand aus Repräsentant*innen der Kunstwelt bestehe, so Lund, könne er die Werteproduktion innerhalb seiner Arbeit sichern.7 Lund nutzt seine eigene Person zur Disposition des Diskurses über die Marktökonomie, Möglichkeiten der Partizipation und die soziokulturelle Relevanz von Kunst.
Generell ist die Marktentwicklung von NFTs im Steigen begriffen, wobei sie stark von den Marktschwankungen der einflussreichsten Blockchains abhängig ist. Während es vor 2015 nur wenige Ausstellungen zum Thema Kryptokunst gab, zeigen und verkaufen inzwischen immer mehr Galerien NFT-bezogene Kunst, und auch Museen kaufen an – insbesondere wenn diese in Technologiezentren angesiedelt sind8 –, was bedeutet, dass der auf digitalen Plattformen basierende, dezentralisierte NFT-Markt immer mehr zu einem Teil des herkömmlichen Kunstmarkts wird. Damit wird Computerkunst nicht nur zunehmend Teil des konventionellen Kanons, vielmehr haben Künstler*innen wie Lund in NFTs ein Medium entdeckt, das aktuelle soziopolitische Herausforderungen widerspiegeln und kritisch hinterfragen kann. Zudem liegt in NFTs insofern ein technologisches Zukunftsversprechen, als theoretisch alles Mögliche tokenisiert werden kann und wahrscheinlich auch wird. Die Kunst war nur – wie so oft – etwas früher dran, das Potenzial dieser Technologie zu begreifen.

 

 

[1] https://nftplazas.com/best-cryptoart-marketplaces/
[2] Das Argument stammt unter anderem von Dr. Tina Rivers Ryan; https://www.pamm.org/calendar/2021/11/panel-nfts-next-500-years.
[3] Vgl. Matthieu Nadini, Laura Alessandretti et al., Mapping the NFT revolution: market trends, trade networks, and visual features, in: Nature, Oktober 2021; https://www.nature.com/articles/s41598-021-00053-8.
[4] Vgl. ebd.
[5] Onlineplattformen, die generative oder GAN NFTs verbreiten und oftmals auch Diskussionsräume über die zeitgenössische Kunstentwicklung und die Geschichte der Computerkunst bieten, sind Artblocks, Avastars, Squiggly.wtf, Chainfaces.co oder Kohi.art. Superrare und Foundation sind kuratierte Plattformen und bieten eher Off-chain-NFTs an, wohingegen OpenSea und Rarible besonders für die Weiterverkäufe von NFTs werben.
[6] https://jlt.ltd/
[7] https://www.btc-echo.de/news/wie-jonas-lund-nft-kunst-radikalisiert-experiment-selbst-tokenisierung-123019/#:~:text=Jonas%20Lund%20ist%20ein%20Grenzg%C3%A4nger,kreatives%20Schaffen%20auch%20ma%C3%9Fgeblich%20mit
[8] Zu Museen, die bisher NFTs gekauft haben, zählen das ZKM | Karlsruhe, das New Museum New York, ICA Museum of Miami und das San José Museum of Art in Kalifornien.