Heft 2/2022 - Lektüre



Zoran Smiljanic/Ivan Smiljanic und Ryan North/Albert Monteys:

Die Schwarze Flamme und Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug

Der Beginn der faschistischen Gewalt in Triest 1920 Ein Pflichttanz mit dem Tode. Nach dem Roman von Kurt Vonnegut

Wien, Ludwigsburg (bahoe books und Cross-Cult-Verlag) 2022 , S. 74 , EUR 19

Text: Martin Reiterer


Die Schwarze Flamme von Zoran und Ivan Smiljanić sowie Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug von Ryan North und Albert Monteys verbindet mehr als eine historische Dimension. In Die Schwarze Flamme zeichnen die Autoren, wie der Untertitel ankündigt, den „Beginn der faschistischen Gewalt in Triest 1920“ nach. Der Fokus ist auf ein Ereignis gerichtet, das Benito Mussolini in einem Anfall von Begeisterung „als die Stunde des Faschismus!“ bezeichnet hatte. Der Brandanschlag auf das Hotel Balkan im Narodni dom am 13. Juli 1920 ging am helllichten Tag vonstatten und wurde zusammen mit einer aufgepeitschten Masse den Anzeichen nach als geplante Aktion durchgeführt. Die Comicinszenierung von Kurt Vonneguts Antikriegsklassiker Schlachthof 5, erschienen 1969, kreist dagegen um ein anderes Ereignis: die Bombardierung von Dresden, in der Nacht vom 13. Februar 1945. Der US-amerikanische Autor greift dabei auf Erfahrungen zurück, die er als Soldat und Gefangener im Zweiten Weltkrieg in Deutschland machen musste.
Die Schwarze Flamme erscheint zunächst wie ein Abgesang auf ein blühendes Beispiel eines multinationalen Kulturraums innerhalb des Habsburger Vielvölkerstaats namens Triest/Trieste/Trst. Im Jahr 1904 erhält die slowenische Gemeinschaft ein prächtiges Gebäude im Zentrum der Stadt: den Narodni dom, ein Kulturhaus, in dem auch das Hotel Balkan untergebracht war. Errichtet wurde es nach Plänen des in allen drei Kulturen beheimateten Architekten Maks Fabiani, der im Stil der Wiener Secession baute. Die Fassade schmückten Verglasungen von Koloman Moser. Der Stolz der slowenischen Gemeinschaft war von Unsicherheiten überlagert. Mit dem Hereinbrechen des Ersten Weltkriegs verändert sich die politische Lage. Das italienische Nationalbewusstsein, im Risorgimento entstanden, erlebt einen neuen Aufschwung zum Nationalismus. Italiens Kriegseintritt im Jahr 1915, dem ein Bündniswechsel von den Mittelmächten zur Entente und ein Geheimvertrag mit Aussichten auf üppige Gebietszugewinne einschließlich Triest vorangeht, ist von imperialistischen Absichten genährt. Aus dem Zusammenspiel solcher Begehrlichkeiten und einem Kriegsende, das die Hoffnungen auf ihre Erfüllungen schwinden ließ, entstand der Mythos vom „verstümmelten Sieg“ („vittoria mutilata“) und den „unerlösten Gebieten“ („terre irredente“). Gabriele D’Annunzio verstand es, aus den heimgekehrten Frontkämpfern, Arditi, eine explosive Masse zu formen, die in Mussolinis Faschismus aufgehen sollte.
Geleitet von der Frage „Wie soll man Geschichte zeichnen?“, verknüpft der Schwarz-Weiß-Comic zwei Formen der Darstellung: Zum einen erzählt er die Geschichte zweier Triestiner Jugendfreunde, Josip Furlan und Guiseppe Pazzi. Zum anderen verwebt er diese mit der Darstellung der historischen Hintergründe für diese exemplarische slowenisch-italienische Freundschaft und ihr Auseinanderbrechen angesichts des sich entwickelnden Faschismus. Abwechslungsreiche Einfälle wie die anschauliche Kontextualisierung des Brandanschlags auf den Narodni dom wiegen gelegentlich didaktische Einschläge auf. Auch die Darstellungen von gewaltstrotzenden Schlägertrupps und bis zur Ekstase aufgestachelten Massen prägen sich den Leser*innen ein.
Von dieser „Feuertaufe des Faschismus“ (Smiljanić) lässt sich eine Verbindungslinie zu den Verwüstungen Dresdens im Bombenhagel und Feuersturm der Luftangriffe ziehen. Doch auch die Frage der Darstellung führt zu Schlachthof 5 und stellt sich anlässlich der Umsetzung als Comic doppelt. Vonneguts Antikriegsroman geht von dem Dilemma aus, dass „es über ein Massaker nichts Intelligentes zu sagen gibt“, dass aber das Schweigen über die massenhafte Vernichtung, die die Air Force verheimlichte, gebrochen werden müsse. Dazu zieht der Ich-Erzähler ein weiteres Alter Ego des Autors ins Geschehen: Billy Pilgrim, ein kindlicher Charakter mit sonderbarem Zeitverhältnis. Unkontrolliert fällt er plötzlich aus der Gegenwart und landet irgendwo in seiner Vergangenheit, etwa in den Kellern des Dresdner Schlachthofs, wo er die Bombardierungen überlebte. Schließlich wird Billy von Außerirdischen, den Tralfamadorianern, entführt, die ihm das Phänomen der simultanen Zeitlichkeit erklären.
Das kanadisch-spanische Autorenduo ist mit dem Anspruch an die grafische Umsetzung herangegangen, dass man dem Comic seine mediale Herkunft vom Roman nicht anmerken sollte. Tatsächlich sehen sich die Leser*innen sogleich in eine Formensprache versetzt, die den Gedanken an eine Vorlage rasch vertreibt. North und Monteys finden Stilmittel, mit denen sie Vonneguts lakonische und sprunghafte Erzählweise souverän in comicspezifische Bilderfolgen übersetzen. Grafische Einfälle wie eine Zeitleiste mit Billys Lebensstationen, die im weiteren Verlauf randomisiert aufeinanderfolgen, oder die Einführung von Figuren „in drei Bildern“ spiegeln die parataktische Syntax des Originals. Anstelle des Ich-Erzählers tritt im Comic Kurt als Figur auf. Der Sci-Fi-Autor Kilgore Trout, der das Reich der Tralfamadorianer erkundet, ist nun ein Comiczeichner, dessen Hefte auszugsweise im körnigen Stil der 1950er-Jahre wiedergegeben werden.
Billys Zeitsprünge sind Sinnbild für die traumatischen Verwirrungen infolge der infernalischen Kriegserlebnisse. In der refrainartigen Geste des „So ist das“ drückt sich eine fatalistische Ohnmacht gegenüber den sich wiederholenden kriegerischen Gräueltaten aus. Sie spiegelt jedoch nicht Vonneguts eigene als vielmehr eine gesellschaftliche Position, die für jegliche militärische Intervention eine rationalisierende Legitimation findet. Eine Problematik von brennender Aktualität.