Ein gerade aktuelles Heft wollte ich besprechen; mach doch was zu allen, lautete die Reaktion der Redaktion. Es geht um die inzwischen 16 Hefte des posthum gegründeten Harun-Farocki-Instituts, geleitet von Tom Holert, Doreen Mende und Volker Pantenburg mit Elsa de Seynes, welches neben der ebenfalls existierenden Erbengemeinschaft Harun Farocki GbR vor allem für das intellektuell Vermischte, Verstreute und Gärende zuständig ist.1
Los ging es Anfang 2016 mit einem kurzen Clip Ein Tag im Archiv (HaFI 000) von Filipa César und Louis Henderson, verfasst in Farockis Medium des Videofilms, gefolgt von einem DIN-A4-Poster zum „Etwas wird sichtbar“-Guerilla-Marketing-Graffiti auf einer Wand in der Nähe der alten Arsenal-Kinemathek (HaFI 001). Mit HaFI 002 lässt sich die Programmatik der bis heute ähnlich strukturierten Publikationsserie dann genauer erkennen, verfasst wie bei der vorangegangenen documenta 13 als unterschiedlich dimensionierte und monochrom ummantelte Hefte in zweisprachiger Wendebroschürenfassung.
Mit herzlichen Grüßen zeichnet Farocki „im [letztlich Selbst]auftrag“ Ende 1975 den emphatischen Aufruf zur Gründung einer „Einrichtung“ für den kollektiven Zusammenschluss der dokumentarischen Filmemacher*innen in der BRD, welche „einfach ein Büro zur Anleitung und Koordination einiger Dokumentarfilmarbeiten“ schaffen soll, und wo sich die Akteur*innen in ihrem Medium begegnen. Ihm schwebt dabei eine Kombination aus „Bilderbibliothek“ und Produktionsstätte vor: „Diese Einrichtung soll sammeln, das heißt sicherstellen, was es gibt und produzieren, das heißt initiieren, was es noch nicht gibt.“
HaFI 002 Harun Farocki: Was getan werden soll beginnt also mit einer Programmatik, die auch der Heftreihe unterstellt werden könnte: Bildet Banden, baut Archive und (unter Kolleg*innen geteilte) Produktionseinrichtungen auf, entzieht euch dem Betrieb redaktioneller Anstalten und dem Markt, gründet freie Forschungsplattformen, organisiert Kritik und Wissen selbst und fördert die visuelle Alphabetisierung. Als Gegenüber schwebten Farocki Universitäten, Behörden, Gewerkschaften, Parteien, Wirtschaft und Stiftungen vor; die Einrichtungen der bildenden Künste wie in Farockis späterer Phase kamen ihm damals noch nicht in den Sinn.
Die Reihe des Berliner „Instituts“ ist bis auf die Nullnummer rein textbasiert und leistet streng kuratierte Kontextarbeit nahe am bildforschenden Werk Farockis und seines illustren Umfelds. Dem gegenüber ist das unaufgeregt agierende Harun-Farocki-Institut keine Produktionsstätte von Bildpraktiken, allerdings darin positioniert, indem es hierfür theoretische Munition liefert und die Gedanken- und Arbeitswelt des Verstorbenen tradiert: Das beerbende Institut versammelt Texte und Materialien, wo Farockis Einrichtung Filme sammeln und neue produzieren wollte.
„Wir müssen Bausteine produzieren. Zuerst müssen wir entwickeln, wie man diese Bausteine gewinnt, und dann müssen wir zusammensetzen und auseinandernehmen“, heißt es in Farockis Aufruf. Knapp 30 Jahre später wird er mit der Doppelprojektion Zum Vergleich buchstäblich den Bausteinen der Welt folgen – vom manuell hergestellten Lehmziegel im Globalen Süden über europäische Bauteilefabrikationen bis hin zur computergesteuerten Errichtung von Häusern. Wie die Arbeit verlagert wird und die Arbeitenden aus dem westlichen Blick verschwinden, dem widmet Farocki zahlreiche Produktionen. Anhand von E-Mails mit dem kollegialen Rechercheur und Tonmann Matthias Rajmann lässt sich in HaFI015 die filmische und editorische Arbeit am Arbeitsbegriff präzise nachverfolgen.
Farockis Produktion folgt der Visualität von Prozessen, und wie diese in die Blackbox der Rechner und Maschinen ein- und abwandern. Heft 013 lässt an diesem Umbruch auch in Farockis eigenem Denken teilhaben, wenn der Webstuhl auf der einen und die Computersimulation von Werkverfahren und Prozessen auf der anderen Seite nicht mehr zur Deckung kommen. Der geplante Essayfilm Zur Geschichte der Arbeit zerfällt im Laufe des Prozesses in vielerlei Projekte und mündet schließlich in der ersten Arbeit zu operativen Bildern, was Farocki bis zu seinem plötzlichen Tod 2014 weiterverfolgen wird. Die Aufnahmen der Verkoppelung von Automatisierung und Computerisierung werden von und für Maschinen produziert und müssen für den menschlichen Gebrauch durch Hilfslinien und Grafiken, Text oder Einfärbungen sichtbar gemacht werden.
Diese „Operational Images“ sollen nicht mehr etwas darstellen, sondern werden als Erkennungs- und Verfolgungsinstrumente etwa für militärische Zwecke eingesetzt, wobei sie voll und ganz in das Gefüge des Kriegs integriert werden, statt traditionelle Aufklärung für die Menschheit zu generieren. Entlang der Auge/Maschine-Trilogie (2000–03) zieht Farocki diese nur mehr maschinenlesbaren Bilder ob ihrer kalten Technizität dem intendierten Dokumentarfilmbild sogar vor: „Nur im Ausnahmenfall werden die Bilder betrachtet und archiviert [...] – eine Schönheit, die nicht berechnet ist. In der Kunst, etwas zu zeigen, das dem unbewusst Sichtbaren nahekommt, hat die US-Militärführung 1991 jeden übertroffen.“ (Farocki im Essay „Der Krieg findet immer einen Ausweg“, 2005)
Computergesteuerte Sensortechnologie löst die Kameraarbeit ab, die (bildliche) Filmkritik jedoch nicht. Die bislang 16 Ausgaben des Instituts leuchten dank pointierter Wiederaufnahmen, detaillierter Werkstattberichte und rarer Materialien Farockis Topografie weitflächig aus. Heiner Müller, Filmkritik, Faschismus, Godards Videoarbeit, Krieg oder Arbeitskampf ziehen Orientierung schaffende Ariadnefäden. Nun fehlt dem Institut eigentlich noch die Einrichtung.
1 Pantenburg, der zurzeit an der Zürcher Universität mit Mitteln des Farocki-Forum die Publikationen unterstützt, ist zugleich fleißigster Editor der Heftreihe.