Heft 2/2022 - Netzteil


Ölige Themen

Eine Ausstellung im Stavanger Kunstmuseum widmete sich den Komplexitäten rund um das Thema Erdöl

Mirela Baciak


Ich betrachte eine Küstenlandschaft von Lars Hertervig, einem berühmten Maler der norwegischen Romantik. Das Gemälde zeigt ein Bötchen mit Menschlein inmitten der zerklüfteten Berge eines Fjords. Der starke Wechsel von Licht und Schatten am düsteren Himmel verströmt eine nostalgisch-traumhafte Aura. Dem Gemälde gegenüber steht eine kleine schwarze Skulptur mit kantigen Formen samt QR-Code, der in diesem klassisch musealen Umfeld etwas fremd wirkt. Ich scanne den Code und werde auf eine App mit dem Namen Goliat, Draugen & Maria (2021) weitergeleitet. Sogleich erscheint eine Mitteilung, dass ich einen Film freischalten kann, wenn ich die Skulptur von oben scanne. Goliat, Draugen und Maria sind Namen von Ölfeldern im norwegischen Schelfmeer, für die es öffentlich zugängliche Geodaten gibt.
Der Künstlerin Liv Bugge dienen diese Namen auch als Titel für ein mehrteiliges Projekt. Sie schuf drei Skulpturen, die die Topografie der genannten Ölfelder abbilden, dazu die App und den Film, um zu zeigen, wie eng die norwegische Identität mit dem Erdöl zusammenhängt. Einscannen, den Film herunterzuladen und zu öffnen braucht zwar etwas Zeit, aber es ist die Mühe wert. Der über die Skulptur freigeschaltete Clip zeigt eine Gruppe von Menschen, die in einem Setting, das ein wenig an Körpertherapien erinnert, mit Rohöl hantieren. Ihre Übungen stehen nicht nur für das forschende Entdecken von Haptik und Geruch des Erdöls, sondern offenbaren auch die widersprüchlichen Gefühle für diese Substanz, die letztlich wie nichts anderes den Reichtum dieses Landes repräsentiert. Dazwischen geschnitten sind Archivbilder von Bohrinseln, die in ihrer Monstrosität nachgerade anmutig wirken – fast wie die raue und imposante Landschaft Hertervigs. Ich stehe hier also zwischen der alten und der neuen norwegischen Romantik, wobei Letztere allerdings etwas tiefer unter der Meeresoberfläche liegt.
Die Ausstellung Experiences of Oil im Stavanger Kunstmuseum, kuratiert von Anne Szefer Karlsen und Helga Nyman, thematisiert nicht nur die sozialen, kulturellen und emotionalen Aspekte, die mit Erdöl und der Mineralölindustrie zusammenhängen, sondern auch Parallelen zwischen den einzelnen Erdölstaaten. Liv Bugges Werk verweist auf die öffentliche Debatte über Erdöl als Ressource, die sowohl Segen als auch Fluch ist. Erdöl ist mittlerweile so stark in die gesellschaftliche Ordnung eingewoben, dass man sich ein Leben ohne es kaum mehr vorstellen kann. Schließlich hat Norwegen dank der Entdeckung des Erdöls in den späten 1960er-Jahren, des allmählichen Wachstums der entsprechenden Industrie und der Expansion in andere Länder einen der höchsten Lebensstandards der Welt. Der Unmut resultiert vor allem aus der Schattenseite der Ölförderung, nämlich den Treibhausgasemissionen, die maßgeblich zum Klimawandel beitragen.
„Wenn man es genau bedenkt, ist es dann nicht makaber, dass wir ins Innere der Erde bohren und die Überreste unserer Vorfahren ausbuddeln, nur um sie zu Energie zu verbrennen?“, hält Bugge lakonisch fest. Zwei ihrer Skulpturen befinden sich draußen im öffentlichen Raum, während die dritte in ebenjenem Teil des Museums steht, wo auch die historischen Gemälde hängen. Durch dieses räumliche Spiel mit innen und außen, mit öffentlichem und digitalem Raum steht ihr Werk so wie das Erdöl auch letztlich an der Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
Zwischen den versammelten Werken von Künstler*innen aus verschiedenen Erdölstaaten überkommt mich das Gefühl, als bestünde unser Körper selbst aus Öl. So unterschiedlich unsere Erfahrungen mit dieser Substanz auch sein mögen, so besteht doch ein großes Bedürfnis, sie in Beziehung zueinander zu setzen. Denn was man über Erdöl und Ölpolitik denkt und fühlt, kann je nachdem, woher man kommt, ganz unterschiedlich sein.
Eine der stärksten Arbeiten in der Ausstellung, die das ganze Spektrum menschlicher Gefühlszustände nicht nur in Bezug auf Erdöl, sondern auf die Gewinnung von Bodenschätzen und ihren Folgen generell abdeckt, ist Otobong Nkangas immersive Sechs-Kanal-Klanginstallation Wetin You Go Do? Oya na (Was wirst du tun?, 2020). In einem eigenen Raum, der in düsteres rötlich-braunes Licht gehüllt ist, erzählt die Künstlerin hier von einer Welt, die bereits zerbrochen ist, und wie man sich zur eigenen Machtlosigkeit verhält. Man taucht ein in ein Stimmenmeer. Menschen singen, murmeln, schreien. Jemand flüstert immer wieder in gebrochenem Englisch die Frage: „What are you going to do, what are you going to do?“ Eine beklagt sich, selbst das Problem zu sein, eine andere lamentiert über die Freiheit, „to be what one wants to be“. Die Stimmen, die man hört, gehören alle der Künstlerin selbst. Ihre Partitur basiert auf sechs unterschiedlichen Personen, die sie selbst in verschiedenen krisenhaften Lagen und Zuständen (nicht nur jüngst vergangenen) verkörpert.
„Wir neigen dazu, die Welt aus einer stark verkürzten Perspektive zu sehen“, meinte Nkanga dazu in einem Gespräch, das ich mit ihr im Rahmen der Ausstellung führen konnte. Dabei kamen wir auch auf die Verflechtung von Erdöl und Macht zu sprechen – und auf die Schuldgefühle, die sich daraus ergeben können. Diese brachte ich ein, kenne ich sie doch im Zusammenhang mit der norwegischen Erdölpolitik gut genug. Für Nkanga hingegen ist das Schuldgefühl narzisstisch, weil es alles auf sich selbst bezieht: „Wenn wir schon über Schuld sprechen – was ist das denn für eine Schuld? Ist es die Schuld an der Ölförderung oder die Schuld an einem System, das eingerichtet wurde, um Mehrwert und Wohlstandswachstum zu garantieren?“
Erdöl ist ein Problem, das viele Lösungen braucht. Es ist aber auch verführerisch und durchdringt unsere gesamte moderne Existenz. Wie könnte ein Leben ohne Erdöl aussehen? Im Rahmen der Eröffnungskonferenz von Experiences of Oil spekulierte die kuwaitische Künstlerin Monira Al Qadiri in ihrer großartigen Vortragsperformance The Petro-Historial Complex (2018) über eine Zukunft ohne Erdöl. Letzteres verglich sie mit einer Droge, von der man nie genug bekommt, und brachte es mit der sozialen und wirtschaftlichen Geschichte der Golfregion in Verbindung. Im Ausstellungsraum schwebten kopfüber ihre glänzenden Skulpturen – überdimensionale Ölbohrköpfe, die das Publikum in ihren Bann zogen. Im Vortrag verwendete Al Qadiri diese, um die Geschichte retrospektiv aus einer Zukunft darzustellen, in der die Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre aufgrund der überzogenen Nutzung sauberer Energie zu hoch ist. Also kommen Wissenschaftler*innen auf die Idee, die Ozonschicht im Himmel anzubohren, um die Erde mit Wärme zu versorgen. Mit einer anderen Episode erinnerte die Künstlerin wiederum an die vergessene Perlentaucherei, auf der einst die Wirtschaft der Golfstaaten beruhte. Letztlich vermengte Al Qadiri also Vergangenheit und Zukunft, indem sie das Ende des Erdöls vorwegnahm und auf eine nicht allzu ferne Zukunft verwies, in der wir wohl alle lernen müssen, weniger vom Erdöl abzuhängen.

Experiences of Oil, Stavanger Kunstmuseum, 12. November 2021 bis 18. April 2022.

 

Übersetzt von Thomas Raab