Wien. Den Eingang zur Ausstellung flankieren links und rechts jeweils 30 Blätter einer 2003 begonnenen und seit 2020 von Ugo Rondinone fortgesetzten Reihe persönlicher, (freizeit-)poetischer, manchmal auch nachträglich ausgebesserter Notizen und sinnlicher Nachrichtenkürzel an unbekannte Empfänger*innen: „meet me where the sun goes down“, steht da etwa in Bleistift auf Papier, aufgehängt in Naturrahmen.
Zwei massive Erdharzwalle, in denen kreisrunde Aussparungen Sonnenaufgang und -untergang symbolisieren, bauen sich schräg im Rauminneren auf und bilden mitunter die Kulisse für die insgesamt 14, im Sitzen, Kauern, Lehnen oder Liegen über die Ausstellungsfläche verteilten, mehrfärbigen Aktfiguren aus Wachs, deren Einzelteilen verschiedene Erdpigmente unterschiedlicher Kontinente beigemengt wurden. Drei in den Grundfarben Rot, Blau und Gelb gehaltene Uhren aus mattem Bleiglas (Ausnahme: die transparentere gelbe Uhr) mit jeweils versetzt angeordneten Ziffern vor dem Hintergrund einer den Raum verdunkelnden Transparentfolie auf dem Fassadenglas des Belvedere 21 sowie eine an der Wand angebrachte Skulptur (winter cloud, 2019), die ihres schweren Materialmix‘ aus Sand, Kies und Beton zum Trotz zu schweben scheint, vervollständigen das so karge wie wirkungsvolle Ausstellungsgeschehen. Diese wenigen, räumlich erstaunlich gut abgestimmten Arbeiten generieren eine Atmosphäre der Stille, Kontemplation und verstärken die Präsenz der Figuren, ihr In-sich-Sein bis ins Unheimliche.
Innerhalb einer ersten, sehr verkürzten Betrachtung wären das die erwartbaren Zutaten einer spätestens seit der documenta 13 und gerade auch aktuell in Venedig – etwa im Biennale-Beitrag To See The Earth Before the End of the World des nigerianisch-amerikanischen Precious Okoyomon – zu erlebenden publikumsträchtigen, möglichst naturromantischen Aufbereitung des Mensch-Natur-Verhältnisses, im allerschlimmsten Fall einem Elliason‘schen Effektschema nahekommend, eine Abbildungsfalle eben, vor der Theodor W. Adorno früh und eindrücklich warnte: „Was an Natur erscheint, das wird durch seine Verdoppelung in der Kunst ebenjenes Ansichseins beraubt, an dem die Erfahrung von Natur sich sättigt. Treu ist Kunst der erscheinenden Natur einzig, wo sie Landschaft vergegenwärtigt im Ausdruck ihrer eigenen Negativität.“1
Es fällt schwer, Rondinones Akt in der Landschaft und seine passiv vergrübelt-erschöpften Protagonist*innen nicht vor dem Hintergrund gegenwärtig drängender Umwelt-, Klima- und Weltuntergangsszenarien – von Artensterben, Krieg, Gletscherschwund, Ökosystemkollaps und damit den Folgen menschlicher Zerstörungsspuren und dem rohen Wunder des immer noch nicht eingetretenen Lebensraumverlusts – zu lesen, und im gedanklichen Abgleich dazu die Konstruiertheit der Ausgeglichenheit der Ausstellungssituation zu spüren.
Es drohte dystopischer, in der Gegenwartskunst diesbezüglich nicht weiter ungewöhnlicher Kitsch, der hier durch die „site specific“-Adressierungen und geschickten Immersivumkehrungen in den Außenraum aber ausblieb, etwa durch die Möglichkeit der Fokussierung durch die eine gelbe Uhr, den künstlichen gebündelten Blick der dimmenden Fassadenfolie hindurch auf Details des vielfältigen städtebaulichen Nutzungsmix Quartier Belvedere oder dem leuchtenden Strahl, der durch die gelbe Uhr von außen hereinfällt. Auch der Ausstellungsboden scheint, wie eigens für die Ausstellung Akt in der Landschaft verlegt, erdet Ausstellung samt Museum und erlaubt so die durch die Gleichzeitigkeit der Andeutungen der unterschiedlichen Ortszeitfaktoren (Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, Mondaufgang, Winterwolke …) eine reflexive Verlangsamung im Modell und den einen wesentlichen, gedanklichen Schritt zur Betrachtung der Problemlagen „unabhängig von uns“. Nur die Ebenen der Akustik und Raumtemperatur bleiben unangetastet. Die auch ohne diese Eingriffe fundierte Kunst aus der Mitte des Problemzentrums macht dabei auch Paradoxa, wie das von dem Philosophen und Literaturwissenschaftler Timothy Morton beschriebene, eindeutig greifbar: „Es ist ein grundsätzliches Paradox, dass das, was uns als das Nächste erscheint – meine Existenz als gegenwärtige Entität, kurz gesagt als Mensch – phänomenologisch das entfernteste Ding im Universum ist. [Das ist] der notwendige ökologische Gedanke: die unheimliche Einsicht, dass ich jedes Mal, wenn ich meinen Zündschlüssel umgedreht habe, zur globalen Erwärmung beigetragen und dennoch Handlungen ausgeführt habe, die statistisch unbedeutend sind. Wenn ich über mich als Mitglied der menschlichen Spezies nachdenke, verliere ich das sichtbare, fühlbare ,kleine ich‘ [little me].“2