Eigentlich gibt es das Wort im Deutschen gar nicht: „Degrowth“, ein Neologismus, der seit einigen Jahren im englischsprachigen Raum gang und gäbe ist, hierzulande aber nur durch Hilfskonstruktionen wiedergegeben werden kann. So ist häufig, und das nicht erst seit gestern, von „Wachstumskritik“ die Rede, oder etwas zeitgeistiger von „Postwachstum“. „Wachstumsrücknahme“ wäre eine weitere (recht buchstäbliche, aber ungelenke) Variante, während „Wachstumsrückgang“ die Sache nicht wirklich trifft, da damit ein selbsttätiges Schrumpfen gemeint wäre, das der aktiven Dimension des Begriffs nicht gerecht würde.
Was steckt dahinter? Und was hat das alles mit dem Kunstbereich zu tun? Wachstum und Wohlstand zählen, auch angesichts der sich häufenden Krisen, immer noch zu den ideologischen Grundkonstanten unseres vermeintlich postideologischen Zeitalters. Kein Monat vergeht, indem nicht neue Wachstumsprognosen mahnend hochgehalten werden, als hinge das Glück der (westlichen) Welt einzig an diesem Faden. Durch die aktuelle Kriegslage in der Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise hat sich dies wie in einer Art Brennglas noch einmal verschärft, nunmehr für alle europäischen Bürger*innen (und selbstverständlich auch darüber hinaus) spürbar. Hätte man früher schon auf „Degrowth“ gesetzt, könnte man zynisch sagen, wäre die gegenwärtige Lage womöglich gar nicht so verzwickt, wobei der katastrophale Schaden, der den Menschen in der Ukraine aktuell zugefügt wird, selbstverständlich ausgenommen ist.
Wachstum und Wohlstand sind es jedenfalls, die in Umkehrbewegungen wie jenen in Richtung Klima-, Energie- und Mobilitätswende eine kritische, nicht wegzudiskutierende Rolle spielen. Selten wird in diesem Zusammenhang ein Augenmerk auf Kunst und Kultur gelegt bzw. die Frage, in welchem Verhältnis das kulturelle Feld zu den erwähnten Ideologiemustern steht. Doch seit im ökonomischen und gesellschaftspolitischen Feld von Wachstumsgrenzen die Rede ist – und dies reicht bis in die 1960er-Jahre zurück –, ist auch die Hinterfragung kulturindustrieller Agenden (und ihrer großflächigen Einbettung künstlerischer Praxis) tendenziell in den Fokus gerückt. Zwar hatte die Frage, warum auch in künstlerischer und kultureller Hinsicht alles ständig größer, ausladender und besser werden muss, gerade in florierenden Zeiten eher nachrangige Bedeutung. Doch im Zuge der nun wieder Fahrt aufnehmenden Wachstumskritik beginnen auch Kunstinstitutionen und viele Praktiker*innen in diesem Bereich, das Mantra der permanenten Anreicherung und Mehrung in Zweifel zu ziehen.
Dies betrifft vielerlei Aspekte, von der Frage der Ressourcenverschwendung und Nicht-Nachhaltigkeit des Kulturbetriebs über die nach wie vor nicht zu bremsende Expansionsbewegung der Gegenwartskunst bis hin zur Problematik, wie einzelkünstlerisches Schaffen sich dem Wachstumsdogma widersetzen oder es auf sinnfällige Weise kritisieren kann. Wohin steuert ein Betrieb, der sich den vielerorts geforderten Green Deal zwar auf die Fahnen heftet, in Wirklichkeit aber zur Aufrechterhaltung eines ganz und gar nicht „grünen“ Status quo beiträgt? Wie könnte das Ansinnen, nicht ständig expandieren und wachsen zu müssen, effektiv umgesetzt werden?
All diesen Fragen versucht sich die Ausgabe De-Growth multiperspektivisch zu widmen. So versucht Daphne Dragona in ihrem Überblicksessay eine Art Bestandsaufnahme, das Kunstfeld betreffend. Was hat es hier in der Vergangenheit bereits an vielversprechenden Ansätzen gegeben? Woher kommt die Dringlichkeit, sich innerhalb der aktuellen Praxis verstärkt Fragen des Ressourcenverbrauchs und der Ökobilanz zuzuwenden? Und welche erwähnenswerten Vorzeigeprojekte existieren hier, pars pro toto verstanden und ohne Vollständigkeitsanspruch? Dragonas durchwegs nüchterner Befund legt nahe, dass der Kunstbetrieb in der Wachstumsfrage womöglich auf eine elementare Spaltung zusteuert, mit kapitalintensivem Business-as-usual auf der einen und wachstumskritischer, ressourcenschonender Low-Budget-Kunst auf der anderen Seite.
Mit den soziologischen bzw. politikwissenschaftlichen Grundlagen der Wachstumskritik befasst sich der Beitrag von Ulrich Brand. Brand, seines Zeichens Co-Autor des Standardwerks Imperiale Lebensweise (2017) legt dar, welch vielfältiger Bruch mit dem immer noch herrschenden kapitalistischen Wachstumsimperativ erfolgen müsste, um profunde sozial-ökologische Veränderungen herbeizuführen. Die letztgenannte Transformation wird zwar vielerorts im Mund geführt, doch was es dafür konkret bräuchte, wagt sich kaum jemand in Bezug auf das eigene Leben auszumalen.
Andrea Vetter führt dazu ein Gedankenexperiment in acht einprägsamen Schritten vor. Am Ende steht – ohne zu viel zu verraten – die Einsicht, dass jede auch noch so alltägliche lebenspraktische Umgebung im Kern eine sogenannte konviviale Technik in sich birgt. Dass dies nicht einfach mit der Umstellung auf „grüne Energie“ gleichzusetzen ist bzw. welche neuen, nicht minder desaströsen Formen von Extraktivismus Letzteres zur Folge hat, unterstreicht Kristina Dietz in ihrer Feldstudie, die Rohstofflage in Lateinamerika betreffend. Nochmals grundlegender diskutieren Magdalena Taube und Krystian Woznicki, ausgehend von so unterschiedlichen Sachlagen wie dem Ukraine-Krieg oder den Weltraumprogrammen einiger Superreichen, welch fatale ökonomisch-ökologische Abwärtsspiralen gegenwärtig in Gang gesetzt werden, die sich nur schwerlich werden stoppen lassen.
Zuletzt legt der Philosoph Frédéric Neyrat einen gewagten Vorschlag vor, wie sich dem „effektiven Konstruktivismus“ des Anthropozäns, der aktuell so viel mit sich in die Tiefe reißt, möglicherweise entkommen lässt. Neyrats Idee einer Demontage der (wachstumsversessenen) Welt klingt auch in mehreren Bildbeiträgen dieser Ausgabe an, die zum überwiegenden Teil der heurigen documenta entnommen sind. Einen differenzierteren Blick auf diese großteils einseitig und verkürzt rezipierte Schau zu werfen, ist im Übrigen für die nächste, im Dezember erscheinende Ausgabe geplant.