Heft 3/2022 - Lektüre



Kuba Szreder:

The ABC of the Projectariat Living and Working in a Precarious Art World

Manchester (Manchester University Press) 2021 , S. 74 , EUR 17

Text: Christoph Chwatal


Die Arbeit in Projekten – einschließlich Open Calls, Deadlines und Materialkostenabrechnungen – ist wesentlicher Bestandteil künstlerischer Tätigkeit unter den Vorzeichen des globalen Netzwerkkapitalismus. Umso erstaunlicher ist es, dass die politischen, sozialen und kunstfeldbezogenen Implikationen dieser Arbeitsform selten Gegenstand ausgiebigerer Reflexion, Theoretisierung und Historisierung sind. Das Projekt erscheint gleichsam als Antipode langfristig angelegter Arbeit, denn die „Einsamkeit des Projekts“, wie sie Boris Groys nannte, isoliert temporär von übergreifenden sozialen und politischen Zusammenhängen. In der Konsequenz hat diese Vereinzelung selbst ein neues Subjekt hervorgebracht, das sich in zunehmender Allianz mit anderen prekarisierten Gesellschaftsgruppen wiederfindet: ein globales „Projektariat“. Diesem Neologismus aus „Projekt“ und „Prekariat“ hat der polnische Kurator und Theoretiker Kuba Szreder ein analytisch wie praktisch angelegtes Buch gewidmet.
The ABC of the Projectariat liefert einen essenziellen Beitrag zur Befragung künstlerischer Arbeit aus politiktheoretisch, soziologisch und kunsttheoretisch informierter Perspektive, um die internen Widersprüchlichkeiten, die die Kunstwelt prägen, zu entlarven. Die 66 alphabetisch geordneten Einträge reichen von „application“ und „art workers“ über „capital“ und „independence“, „precarity“ und „struggles“ bis hin zu „you are not alone“. Szreder kombiniert Wortneuschöpfungen (wie „Artyzol“ als das „opiate for creativity, which emerges in the process of artistic circulation“) mit etabliertem marxistischen Grundvokabular und diskutiert diese zugleich theoretisch anspruchsvoll wie auch auf konkrete Erfahrungen und Situationen hin bezogen. Verschiedene Leserichtungen und -geschwindigkeiten sind möglich. Neben einer linear-kontinuierlichen Richtung und gezieltem, diskontinuierlichem Nachschlagen (ähnlich einem Handbuch) ermöglichen Querverweise im Fließtext ein Hin und Zurück zwischen den Fäden, die das Buch spinnt.
Die „projektbasierte Polis“, die die Sozialwissenschaftler*innen Luc Boltanski und Ève Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus (1999) beschrieben haben, ist sicherlich ein zentraler Anknüpfungspunkt. Ebenso sind Kreativität als Produktivkraft, Flexibilisierungstendenzen und veränderte Arbeitsformen zu erwähnen. Diese kulminieren in Maurizio Lazzaratos Begriff der „immateriellen Arbeit“, der die zunehmend kommunikativen und konnektiven Faktoren von Arbeit hervorhebt. Besonders fruchtbar ist die Kombination von postoperaistischer Theorie (Lazzarato, Paolo Virno, Gerald Raunig) und kunstsoziologischen Ansätzen (Pierre Bourdieu, Pascal Gielen), und der Autor versteht es, Theorie und Praxis produktiv aufeinander zu beziehen. Über den Begriff des Projekts und der Projektarbeit legt Szreder dar, wie Vereinzelung und Prekarisierung im Kunstbetrieb zu fassen sind und welche sozialen, ökonomischen und politischen Autonomievorstellungen diesen (weiterhin) prägen. Kunstschaffende Projektarbeiter*innen können dabei als „subspecies of a larger group of precarious workers“ verstanden werden. Denn diese seien denselben Risiken wie andere prekarisierte Gruppen ausgesetzt, mit denen sie grundlegende Interessen teilen. Als (kunst-)historischer Anknüpfungspunkt dient hier unter anderem die Art Workers’ Coalition, wenngleich stellenweise eine ausführlichere Genealogie hilfreich wäre. So etwa ein Blick auf die Projektkunst der 1990er-Jahre – von „itinerant artists“ wie Renée Green bis hin zu projektförmigen Großausstellungen.
„Individual projectarians“, schreibt Szreder, „have to unlearn their own habits, moving away from their current aim of staying competitive in the dense symbolic jungle of global circulation.“ Das Potenzial, aus dem Projektariat heraus andere Arbeits- und Organisationsformen zu entwickeln, wird noch zu bewerten sein. Es scheint jedoch, als würde Szreder dem Projektariat per se keine revolutionäre Rolle zuschreiben. Deshalb bietet der Autor eine Reihe von Taktiken und Strategien an, die zu einem guten Teil aus seiner eigenen Praxis herrühren (etwa die 2009 von Szreder mitbegründete Free/Slow University of Warsaw und andere parainstitutionelle Unternehmungen). Neben Streiks und Boykotts („productive withdrawals“) scheint das gegenseitige Teilen von „opportunities“, das Entwickeln von „interdependent support structures“ und das Instituieren von „patainstitutions“ im Vordergrund zu stehen. Als selbstorganisierte Unternehmungen und „mock institutions“ seien Patainstitutionen eine Möglichkeit, auf strategischer Ebene die „apparatuses of cultural production“ umzufunktionieren und so „new institutions of the commons“ zu instituieren.
Wenn gegenwärtig ein wachsendes Interesse an strategisch operierenden und gemeinschaftsorientierten Langzeitprojekten, Künstlerorganisationen und anderen parainstitutionellen Organisationsformen zu beobachten ist, scheint eine Schärfung des Begriffs des Projekts (und der Projektkunst) durchaus notwendig. Denn das Projekt kann als operatives Konzept für ein weites Feld künstlerischer Produktion fruchtbar gemacht werden. Szreders The ABC of the Projectariat bietet dabei eine wertvolle Ressource, an die angeknüpft werden kann.