Ausgehend vom Sein der anderen (Lebewesen, Spezies etc.) zu einem anderen Sein gelangen – gemeinschaftlicher, kooperativer, egalitärer: So lässt sich in einem kurzen Bogen der Argumentationsgang von James Bridles neuem Buch Ways of Being zusammenfassen. Bridle, kein Unbekannter auf diesen Seiten,1 erweitert darin den Rahmen des Vorgängerbuchs New Dark Age (2018) beträchtlich. Ging es in Letzterem überwiegend um die Verengungen und die daraus resultierende „Zukunftsverunmöglichung“, welche die neuen Informations- und Intelligenztechnologien mit sich bringen, so ist nunmehr Öffnung angesagt: Öffnung – wie auch Wertschätzung – in Bezug auf andere, nicht-menschliche Formen von Intelligenz; Erweiterung des damit in den Vordergrund rückenden Verbunds heterogener Denk- und Lebensweisen. Nur über einen radikalen Brückenschlag quer durch alle existierenden Arten, so Bridles Fazit, lässt sich eine gemeinsame Form des Überlebens angesichts von Klimakatastrophe und drohender Extinktion anvisieren.
Den Weg, den Bridle in neun höchst luziden Kapiteln auf dieses Ziel hin einschlägt, haben schon etliche vor ihm zu ebnen versucht. Donna Haraway, Timothy Morton, Bruno Latour und andere kommen einem als diesbezügliche Kontexterweiterer*innen unmittelbar in den Sinn, ohne dass sie in Bridles Denkausrichtung eine explizite Rolle spielen würden. Das konzeptuelle Mosaik, auf dem Ways of Being aufbaut, schillert vielmehr quer durch vielerlei Disziplinen hindurch und basiert auf zahlreichen Einzelrecherchen, die über einzelne „große Namen“ weit hinausgehen. Bridles eigene Feldstudien in Griechenland über eine immer brutalere Naturausbeutung figurieren darin ebenso wie Forschungen zu tierischer und pflanzlicher Intelligenz, oder – in teils abenteuerlichen Volten – mathematische bzw. avantgardistische (John Cage!) Ansätze in Sachen „Randomness“. Diese Stränge und viele mehr (etwa über Tier- und Maschinensprachen bzw. „non-binäres“ Computing) verbinden sich zu einem dichten, überzeugenden, logisch zwar nicht immer final schlüssigen, dafür aber überlebenstechnisch umso dringlicheren Netz einer mehr-als-menschlichen Solidaritätspolitik.
„Mehr-als-menschlich“ ist natürlich dasjenige Keyword, das zurzeit (fast) in aller Munde geführt wird, auch wenn das zugrunde liegende Paradox selten so eingehend bearbeitet wird wie von Bridle. Schließlich sitzt jegliche Anerkennung einer „anders-als-menschlichen“ Intelligenz oder Kreativität unumgänglich einer Art anthropozentrischem (oder anthropomorphem) Trugschluss auf. Wie sonst ließe sich konstatieren, dass etwas nicht einem immer schon vorausgesetzten menschlichen Maßstab entspricht, einer Norm, die auch dann noch nachwirkt, wenn man vermeint, jenseits alles Humanen angelangt zu sein? Bridle greift diesen naheliegenden Einwand in seiner Auseinandersetzung mit dem „wood wide web“ auf – dem „lebenden Netzwerk“ aus Bäumen, Pflanzen, Pilzen bzw. deren symbiotischem Geflecht (Mycorrhiza), wie es in jedem Wald zu finden ist. Die Lösung ist so einfach wie bestechend: indem man gar nicht erst versucht, nicht anthropomorph denken zu wollen, sondern im Gegenteil eine innere Schwelle, ja Differenz innerhalb des Denkens anerkennt. „[I]f we can recognize our own limited perspective while not enforcing it upon others, […] shared action and shared life, without the weight of domination and control, becomes possible.“ Nicht die (menschliche) Perspektive auf Nichtmenschliches ist also das Problem – wie sollte sie je vermeidbar sein? –, sondern das dieser Perspektive unweigerlich eingeschriebene Dominanz- und Ausnahmestreben. Oder anders gesagt: Es geht um eine ökologische Rekalibrierung dieser Sichtweise, die laut Bridle unendlich viel von Kopffüßern, Myzelien oder nicht-binären Maschinen lernen könnte.
Das Lernpensum ist enorm. Es führt von den erwähnten Tier- und Pflanzenumwelten über das symbiotische „Dickicht“, durch das sich überhaupt erst organisches Leben herauskristallisiert hat („we are made from our entanglements with others“) bis hin zu vergessenen Episoden aus der Geschichte der Kybernetik. Letztere bilden einen speziellen Anker in Bridles Ansinnen, die Geschichte menschlicher bzw. künstlicher Intelligenz auf den Kopf zu stellen. Erinnern sie doch daran, dass es der Kybernetik ursprünglich darum ging, Computer wie die Welt funktionieren zu lassen, und nicht, wie dies in heutigen Digitalregimen zur Regel geworden ist, die Welt nach Maßgabe von Computern umzugestalten. Das Nicht-Wissen – bzw. eine Art Unentscheidbarkeit (was auf verschlungenen Pfaden zu Cage und dessen Unbestimmtheitsästhetik führt) – ist der kybernetischen Modellierung der Welt von Anbeginn an inhärent. Gegenwärtige KI-Anwendungen haben dies vollends aus ihrer Rechenschaftsagenda verbannt – mit den bekannten Konsequenzen von Überwachungskapitalismus bis hin zu desaströser Social-Media-Rechthaberei.
Genau hier setzt Bridles Neuverlinkung der Welt an. Nicht indem er sich trendigen Angstutopien hingibt, sondern indem er biodiverse Solidaritätsnetzwerke oder gar ein „Internet der Tiere“ beschwört (über alles Menschliche und Maschinelle hinaus, aber diese miteinbeziehend). Wie immer dieser Verbund in der Praxis aussehen könnte, wird wohl erst im nächsten Buch konkreter zur Sprache kommen. Aber eines verdeutlicht Ways of Being jetzt schon mit Bravour: dass der Weg aus der gegenwärtigen Misere nur ein gemeinschaftlicher sein kann – wobei dies weitaus mehr enthält, als man bis dato gedacht hat.
1 Vgl. u.a. seinen Beitrag „Unberechenbare Andere. Zum Konzept des ‚nicht-binären‘ Computing“ in der letzten Ausgabe (springerin 2/2022) bzw. das Interview „Dunkle, neue Zeit“, das Thomas Edlinger anlässlich des Buchs New Dark Age mit ihm geführt hat (springerin 1/2019).