Graz. Der Ausstellung zum Würdigungspreis des Landes Steiermark für bildende Kunst 2020 in der Halle für Kunst Steiermark liegt der tatsächlich an die Künstlerin Anita Leisz vor zwei Jahren verliehene, gleichnamige Preis des Landes zugrunde. Durch die pandemieverzögerte Realisierung dieser Personale unter Beibehaltung des ursprünglichen Titels entsteht ein höchst produktives Auseinanderklaffen zwischen offiziellen Vorgaben, damit verbundenen Erwartungen und tatsächlicher Präsentation – so wie es in der Praxis der Künstlerin häufiger vorkommt und in dieser Ausstellung besonders reflexiv wirkt.
Der diesjährig verstorbene US-amerikanischer Bildhauer, Konzeptkünstler Dan Graham beschrieb seine eigene Konzeption skulpturaler Struktur einst mit: „Es gibt eine ‚Hülle‘ zwischen dem äußeren leeren Material des Orts und dem inneren, leeren Material der Sprache: Informationssysteme existieren auf halber Strecke zwischen Material und Konzept, ohne eines von beiden zu sein.“1
Leisz scheint solcher Problemlagen gewahr, mit der Einführung, Weiterentwicklung und Zuspitzung zusätzlicher Probleme des Skulpturalen zu reagieren, um für sich jenen Punkt zu erarbeiten, an dem unter der Ausstellungsprämisse der Anerkennung der bisherigen Leistungen überhaupt neue Arbeiten ausgestellt werden können. So nützt sie für ihre Arbeiten die räumliche Struktur der Halle für Kunst gleich eingangs hyperparasitär, indem die Seitenkanten jener Wand, die die Ansicht des Ausstellungsinneren verzögern sollten, bereits mit Schienenaufsätzen aus Emaille-Elementen der Firma Riess verstärkt sind. Präzision und Beiläufigkeit des Eingriffs unterstreichen zudem das Vorgestelltsein dieser Wand, die mittels geringen Aufwands der Versetzung leicht den kompletten Verschluss der Ausstellung, ihren mysteriösen Vorenthalt bedeuten könnte. So aber wartet nach Eintritt ein Bodenrechteck aus gebundenem, schwarzem Gummigranulat, wie es auch in Stallmatten in der Schweinehaltung Verwendung findet und hier weitere Verunsicherung durch Sensibilisierung der Betrachter*innenposition sichtbar werden lässt. Im Inneren des Hauptraums fällt zudem auf, dass der Zugang zur Apsis verschlossen wurde, die dadurch entstandene zusätzliche Wandfläche dennoch auffällig ungenützt bleibt, überdies die übliche, sonst meist durch Raumlogik vorgegebene Ausstellungsdramaturgie durch Schwerpunktverlagerung auf den rechten Seitenflügel außer Kraft gesetzt wurde. Das Gros, nämlich drei der insgesamt nur vier weiteren Arbeiten, befindet sich in diesem Teil des Raums. Eine umschließt und ummantelt den in den Seitenraum führenden Pfeiler und zeigt die eigene, die Säule eng umfassende Konstruktion aus Eisen, Emaille, Holz, Aluminium und Schrauben zu einem Viertel offen. Zwei weitere, auf gleicher Höhe gehängte Bildträger aus schwarzem Emaille und Eisen, werfen den ohnehin vorwiegend suchenden Betrachter*innenblick von der schmutz- und bakterienabweisenden Hülle als weichzeichnerisch, matt spiegelnden Schleier zurück. Eine im Verhältnis dazu unauffälligere abermals an den Seiten um Emaille verstärkte Gipsfaserplatte auf der gegenüberliegenden Wand vollendet ein Ausstellungsgeschehen, in dem diese absolut wenigen, erkennbaren Zeichen der Produktion, ihr Auftauchen, ihre penibel orchestrierte Präsenz aufeinanderfolgende Wahrnehmungsakte ermöglichen, die integraler Teil der bildhauerischen Auseinandersetzung der Künstlerin sind. Sie hält nicht nur nostalgischen Prüfungen verloren gegangener Geheimnisse einer nicht wiederherstellbaren Moderne parat, wie etwa James Joyce einst auf ein Bild Shelleys referierte: „Die erste Phase der Wahrnehmung ist eine Grenzlinie, die um den wahrzunehmenden Gegenstand gezogen wird. Ein ästhetisches Bild stellt sich uns entweder im Raum oder in der Zeit dar. Aber, ob zeitlich oder räumlich, das ästhetische Bild wird zuerst leuchtend wahrgenommen als etwas sich selbst Umgrenzendes, in sich selbst Ruhendes vor dem unermesslichen Hintergrund von Raum und Zeit, welcher nicht es ist.“2
Es ist also nicht nur das punktuelle „Leuchten“ der Arbeiten, vielmehr beweist Leisz’ Ausstellung zum Würdigungspreis des Landes Steiermark für bildende Kunst 2020 insgesamt, wie analytisch elegant den infrastrukturell konstituierenden Faktoren skulpturaler Repräsentation heute beigekommen werden kann.
[1] Dan Graham, „Other Observations,“ in: For Publication. Los Angeles: Otis Art Institute 1976.
[2] James Joyce, Ein Porträt des Künstlers als junger Mann . Frankfurt am Main, S. 187.