Nichts schmerzt wie der Aufprall eines zurückfliegenden Bumerangs. Der Schmerz wird durch die Wut noch verstärkt, die mit der Erkenntnis einhergeht, dass der Aufprall selbst verschuldet war. Der Bumerang, der hier gemeint ist, bezieht sich auf die antisemitischen Bilder – einschließlich des Bildes eines orthodoxen Juden als Anzug tragendes, Zigarre kauendes Ungeheuer. Bilder, die von Europa ausgingen, über Kontinente und Generationen reisten und in veränderter Form mitten auf dem Kasseler Friedrichsplatz landeten, im Zentrum der documenta fifteen.
Antisemitismus gehörte zu den Mitbringseln des Kolonialismus. Ade Darmawan von ruangrupa ging in seinem Vortrag im deutschen Bundestag Anfang Juli selbst näher darauf ein. Darmawan argumentierte, der Antisemitismus in Indonesien sei von niederländischen Kolonisator*innen und deutschen Einwanderer*innen absichtlich dorthin verfrachtet worden. In ein Land, das heute 275 Millionen Einwohner*innen und eine winzige jüdische Minderheit hat. Durch koloniale Gewalt seien nicht-weiße Menschen gegeneinander ausgespielt worden. Niederländische Kolonialbeamte förderten die Dämonisierung chinesischer Minderheiten und nutzten europäische, antisemitische Ideen und Bilder, um Chines*innen so darzustellen, „wie Europäer Juden dargestellt haben“.
Hannah Arendt und Aimé Césaire prägten die Metapher des Bumerangs, um die Beziehung zwischen Antisemitismus und Kolonialismus zu erklären. Der europäische Faschismus, der NS-Totalitarismus und der Holocaust wären demnach auch als Heimkehr der rassistischen Gewalt zu verstehen, die europäische Imperien über die kolonialen Grenzen hinweg entfesselt hatten.
Der Bumerang, der die documenta traf, hatte jedoch eine andere, sekundäre Flugbahn: Nachdem er über Kontinente und Generationen hinweg geflogen war, hatte es der europäische Antisemitismus – in veränderter Gestalt, als antikoloniales Kunstwerk – „nach Hause“ geschafft. Wollte man sich einer psychoanalytischen Übertreibung bedienen, könnte man sagen: Hier hatte eine „Wiederkehr der Wiederkehr“ stattgefunden. Niemand kann Jüdinnen und Juden vorwerfen, entsetzt gewesen zu sein, als sie sich plötzlich am Schnittpunkt zwischen diesen beiden Bahnen wiederfanden.
Nachdem sie in Kassel gelandet waren, begannen sich diese Bilder, mit dem lokalen, deutschen Kontext und dessen eigenen Schattentheatern zu vermischen. In Deutschland gilt die Verteidigung Israels als „Staatsraison“. Antisemitismus wird in Deutschland in erster Linie als Opposition gegen Israel identifiziert, als ein mit Einwanderung – insbesondere aus muslimischen Ländern – importiertes Problem.
Was folgte, war eine Farce. Jede Möglichkeit der Differenzierung ging verloren. Der tatsächliche Antisemitismus der Bilder wurde als Beweis dafür herangezogen, dass alle ursprünglichen Anschuldigungen richtig gewesen seien. Und diente als Freibrief für die Fortsetzung einer rassistischen Kampagne gegen Künstler*innen und Intellektuelle aus Palästina sowie des globalen Südens.
Antisemitismus und Diffamierung
In ihrem ersten Versuch einer Entschuldigung schrieben die Künstler*innen, dass das Banner von Taring Padi die komplexen Machtverhältnisse aufzeigen wolle. Doch antisemitische Darstellungen, wie sie in antiimperialistischen Kreisen leider allzu oft auftauchen, deuten auf eine Unfähigkeit oder auf einen Unwillen, Abstraktionen oder komplexe Prozesse zu begreifen. Sie tauchen überall dort auf, wo wirtschaftliche, soziale oder politische Prozesse unverständlich, geheimnisvoll erscheinen. Die Figur des Zigarre kauenden Juden steht für die Personifizierung vermeintlich fremder, immaterieller Kräfte, die traditionelle Gemeinschaften zerstören. Es war also nicht nur die monströse Darstellung des orthodoxen Juden, sondern die Platzierung der Figur innerhalb des Banners – hinter Sicherheitskräften, in Opposition zur ehrlichen Gesellschaft auf der gegenüberliegenden Seite des Bildes –, die den Kreis des klassischen Antisemitismus schloss.
Als das Banner enthüllt wurde, wurde das Versäumnis der documenta von einigen von uns besonders stark empfunden. Immerhin standen wir in den vorangegangenen Monaten den Kurator*innen und Organisator*innen zur Seite, als sie wiederholten Angriffen ausgesetzt waren, die auf ungerechtfertigten Antisemitismusvorwürfen beruhten. Freund*innen von Forensic Architecture waren unter den fälschlich Beschuldigten. Eine Mitarbeiterin unseres Berliner Büros, Emily Dische-Becker, die auch an der Einweisung von documenta-Guides beteiligt war, wurde von einer vermeintlich seriösen Zeitung, die sich wie das letzte Boulevardblatt benahm, als Hisbollah-Sympathisantin bezeichnet. Das Haus der Kulturen der Welt wurde von rechter Presse in Deutschland als „Haus der Schande“ bezeichnet. Warum? Weil es einer Gruppe linker Jüdinnen und Juden eine Plattform geboten hatte, die sich beklagten, wie der Kampf gegen Antisemitismus von der Rechten und extremen Rechten gekapert wurde – was diese Kontroverse wiederum bestätigte.
Antisemitismusvorwürfe wurden auch gegen Teilnehmende der documenta fifteen erhoben, die einen offenen Brief unterzeichnet hatten, in dem sie die BDS-Resolution des Bundestags von 2019 kritisierten. Jene rechtlich nicht bindende Resolution verpflichtet den Staat, Personen und Organisationen, die dem Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft folgen, unbewaffnetem Protest in Form eines Boykotts israelischer staatlicher Einrichtungen nachzugehen, öffentliche Plattformen zu verweigern und finanzielle Unterstützung zu entziehen.
Der BDS-Antrag des Bundestags führte letztlich zum Ausschluss von Palästinenser*innen und ihren Unterstützer*innen von öffentlichen Plattformen in Deutschland. Palästinensische Journalist*innen wurden 2021 von Medien wie der Deutschen Welle stark unter Druck gesetzt und vom WDR sogar entlassen. Häufig vermeiden deutsche Institutionen präventiv, arabische Intellektuelle und Künstler*innen aus dem globalen Süden einzuladen, aus Angst, jemand könnte etwas ausgraben.
Inzwischen erleben jüdische Personen in Deutschland in Teilen dieselbe Diffamierung, die palästinensische Aktivist*innen erdulden müssen. So verwies ein Direktor eines der führenden deutschen Kunstinstitute etwa auf meine Unterstützung der BDS-Kampagne, als er eine Einladung zur Ausstellung einer Arbeit, an der ich beteiligt war, vorerst zurückstellte. In der Ausstellung ging es nicht um Palästina, sondern um den deutschen kolonialen Völkermord in Namibia. In an alte Verschwörungsfantasien erinnernden Worten behauptete er, „mächtige Kräfte“ seien „hinter uns her“. Letztlich ließ er die Ausstellung überhaupt absagen.
In Deutschland wird traditioneller Antisemitismus noch immer toleriert. Ich konnte es kaum glauben, als ich vor ein paar Jahren einen der wichtigsten deutschen Architekturpreise ablehnen musste: den Schelling-Preis. Der Preis ist nicht etwa nach dem Philosophen benannt, sondern nach Erich Schelling, einem Architekten und frühem Mitglied der SA, der später Gebäude in den von den Nazis kolonisierten Gebieten entwarf. Der Preis wurde letztlich an jemand anderes vergeben. Und der Ausschuss machte meine Verweigerung nicht öffentlich.
Künstliche Separierung
Am 28. Mai wurden, in einem der schwerwiegendsten Vorfälle der ganzen Sache, die Räume, in denen das Kollektiv The Question of Funding eine Ausstellung vorbereitete, von unbekannten Angreifer*innen gestürmt und mit kryptischen Todesdrohungen verunstaltet. Die Zahl „187“, die in den USA bisweilen als Mordcode verwendet wird, wurde an die Wand geschmiert. Die Polizei bot zwar gewissen Schutz, doch die Angriffe in deutschen Medien klangen auch im Anschluss daran nicht ab.
Wenige Wochen nach der Eröffnung sagte The Question of Funding ihr öffentliches Programm ab und verließ die Stadt Kassel. Yazan Khalili, eines der Mitglieder, erzählte mir, dass er und seine Familie sich dort nicht mehr sicher fühlten. Bei seiner Abreise verurteilte er die Bilder auf dem Taring-Padi-Transparent ebenso wie die Hetzkampagne gegen Kurator*innen und beteiligte Künstler*innen. Für ihn, wie für andere ausstellende Palästinenser*innen, die unter israelischer Besatzung leben, sind jüdische Israelis keine abstrakten Hassfiguren.
Die Kurator*innen übernahmen, wenn auch verspätet, Verantwortung dafür, dass sie die Bilder nicht bemerkt hatten, entschuldigten sich und versprachen dazuzulernen. Ihre Kritiker*innen in den deutschen Medien und in der Politik hingegen reflektierten ihren Rassismus nicht im Geringsten. Stattdessen nahmen sie die Kontroverse zum Anlass, Palästinenser*innen und kritischen, jüdischen Israelis sowie Künstler*innen aus dem globalen Süden die Botschaft zu vermitteln, dass sie in Deutschland kein Recht haben, sich frei zu äußern. Wie Antisemitismus in antiimperialistischen Kreisen führt auch die staatlich geförderte, offen islamfeindliche Verfolgung von Künstler*innen und Intellektuellen in Deutschland zu einer künstlichen Trennung der tief verwobenen Geschichte von Rassismus und Antisemitismus – sowie der Kämpfe dagegen.
All das macht sowohl Palästinenser*innen als auch jüdische Menschen in Deutschland noch verwundbarer. Es macht es jüdischen Israelis auch schwerer, sich mit den Palästinenser*innen zu solidarisieren. Jene kostbare, hoffnungsvolle, aber auch sehr zerbrechliche Solidarität ist ohne destruktive, deutsche „Hilfe“ von außen schwer zu verhandeln.
Nicht alle in Deutschland sind sich dieser diskursiven Konstruktion bewusst. Im Herbst 2019, an Jom Kippur, versuchte ein Neonazi, mit einer GoPro-Kamera in die letzte verbliebene Synagoge in Halle einzubrechen und dort ein Video von sich zu streamen, auf dem er Jüdinnen und Juden ermordet. Er warf der jüdischen Community vor, die Einwanderung von Muslim*innen arrangiert zu haben, was er als existenzielle Bedrohung der deutschen Gesellschaft ansah. Den Gottesdienstbesuchenden gelang es damals, die Tür rechtzeitig zu verriegeln. Nachdem der Einbruch gescheitert war, tötete der Mann eine Passantin und rannte in einen von Migrant*innen besuchten Dönerladen, wo er einen Kunden tötete. Vor Gericht sagte er aus, er habe „keine Weißen töten wollen“.
Die Unfähigkeit, die Geschichte von Rassismus, Kolonialismus, Antisemitismus und Völkermord zusammenzudenken und im Kampf dagegen Allianzen zu schmieden, ist ein Garant dafür, dass wir immer wieder von zurückfliegenden Bumerangs getroffen werden.
Auszüge aus einem Text, dessen Langversion am 27. August 2022 in der Berliner Zeitung erschienen ist. Übersetzung aus dem Englischen: Hanno Hauenstein
Übersetzt von Hanno Hauenstein