Unser kurzer Bericht beleuchtet die kuratorischen, ökonomischen und organisatorischen Experimente im Zuge der documenta fifteen (d15). ruangrupa und die etwa 1.600 Teilnehmenden präsentierten auf der d15 umsetzbare Alternativen zur normalen Ökonomie der Kunst. Anstatt einmal mehr deren Marktorientiertheit zu reproduzieren, die letztlich auf künstlicher Exklusivität beruht, erprobten sie miteinander vernetzte, durch Versammlungen und Gemeinschaftlichkeit getragene Organisationsmodelle. Konzepte wie lumbung, nonkrong, majelis etc. stehen in Einklang mit Werten wie Gleichheit, Solidarität und gegenseitiger Unterstützung (den Prinzipien der Gemeinschaftsökonomie) und versuchen, die künstlerische Praxis mit Rücksicht auf gesellschaftliche und planetare Beschränkungen (wie etwa von Vertreter*innen der Donut-Ökonomie vorgeschlagen wird) umzugestalten. Umso mehr überrascht, dass den ruangrupa-Mitgliedern und sonstigen lumbung-Teilnehmenden, die die von der documenta fifteen zur Verfügung gestellten Ressourcen und Öffentlichkeiten als künstlerischen Gemeinbesitz zu verwenden versuchten, Naivität, Gutmenschentum und Abhängigkeit von westlicher Finanzierung zum Vorwurf gemacht wurde. Der vorgeschützte Purismus diente offensichtlich der pauschalen Ablehnung.
Als Teilnehmende am erweiterten lumbung plädieren wir dafür, die Bedeutung dieser praktischen Experimente anzuerkennen, zu denen auch die von Wapke Fenestra und der Co-Autorin dieses Artikels, Kathrin Böhm, gegründete Rural School of Economies (RSoE) beigetragen hat. Die RSoE steht in Verbindung mit dem Community Economies Research Network (CERN), das sich der Förderung nicht-kapitalistischer Ökonomien weltweit widmet. Regelmäßig wird gegen deren Arbeit der Vorwurf erhoben, solche Ökonomien seien (aufgrund ihrer Größe) ineffizient und (aufgrund praktischer Beschränkungen) nicht skalierbar. Letztlich gehört diese Art der Rhetorik aber zum Kern des kapitalistischen Realismus, der jede Alternative zur bestehenden (Kunst-)Weltordnung abzuwerten versucht, indem er jeden auch noch so kleinen Makel einer nicht auf Kapital gegründeten Wirtschaft überbetont. Gleichzeitig zeichnen sich kapitalistische Realist*innen dadurch aus, dass sie die Konstruktionsfehler des Kapitalismus wie Extraktivismus, Kolonialismus und Ausbeutung als gleichsam naturgegeben darzustellen versuchen.
Was für die Wirtschaft im Großen gilt, gilt auch im Kontext der zeitgenössischen Kunst. Misswirtschaft, Korruption und Machenschaften hinter den Kulissen, die bei Galerien und im Ausstellungswesen tagtäglich üblich sind, werden als Teil der natürlichen, das heißt nicht veränderbaren Ordnung der Dinge angesehen. So sei es zum Beispiel „offensichtlich“, dass große Kunstveranstaltungen Plattformen zur Aufwertung von Galeriekünstler*innen sind, oder dass die Gewinne aus diesem Geschäft in private Taschen wandern. Jegliche Alternative, also auch die von ruangrupa, wird mithin der Wirrnis und Unvollkommenheit bezichtigt, bloß um sie zu delegitimieren.
Es stimmt natürlich, dass unsere Praxis noch nicht ideal ist. Dennoch bleibt sie der einzige Weg, um Alternativen zur bisherigen Organisation von Kunst, aber auch der Wirtschaft im Ganzen in die Praxis umzusetzen und zu erproben. Um einen Einblick in die täglichen Abläufe des lumbung zu geben, wollen wir kurz die Praxis der RSoE in Kassel rekapitulieren. Sie gehörte zur Composting Knowledge Group und hatte permanente Räumlichkeiten in zwei der d15-Veranstaltungorte zur Verfügung (in der Hafenstraße sowie im lumbung-Kiosk auf dem Hübner-Areal). Dort produzierten und präsentierten wir Arbeiten gemeinsam mit lokalen Partner*innen, die allesamt erfolgreich alternative Wirtschaftsformen erproben. Die RSoE arbeitete unter anderen mit der Upländer Bauernmolkerei, einer Milchkooperative in Hessen, dem Frauentreff Brückenhof, einem von Frauen geführten Gemeinschaftszentrum, und der Kommune Niederkaufungen zusammen, die nach dem Prinzip des Gemeinschaftstopfs wirtschaften. Bezeichnend ist, dass unsere lokalen Partner*innen begeistert waren und sich als Kollektive bzw. kollektivierte Unternehmen wertgeschätzt fühlten, als ruangrupa zum Kurator*innenteam der d15 ernannt wurde. Die kuratorische Philosophie und Praxis von ruangrupa spiegelte sich im Wissen, im Know-how und in den Wertesystemen der Kollektive wider, mit denen die RSoE zusammenarbeitete. Mithin wurde ihre Bedeutung bestärkt.
Diese Anerkennung war nicht nur „bloß symbolisch“. Die RSoE wollte tatsächlich verstehen, wie diese lokalen Ökonomien, die in erster Linie von Frauen getragen werden, funktionieren. Unser Motto war „Zeichnen ist die neue Buchführung“, ein ironischer Verweis darauf, dass gemeinsames Zeichnen zu Selbstreflexion und öffentlicher Kommunikation beitragen kann. Die RSoE entdeckte rasch strukturelle Analogien zwischen lumbung und anderen Gemeinwohlpraktiken wie dem Gemeinschaftstopf der 1986 gegründeten Kommune Niederkaufungen. Alle Mitglieder der Kommune zahlen ihr Vermögen in einen Topf ein, aus dem dann jede*r je nach Bedarf entnimmt. So entsteht natürlich keine ideale, konfliktfreie Kleingesellschaft, dennoch hat die Kommune erreicht, den externen (kapitalistischen) Druck und den internen (sozialen) Druck auszugleichen, sodass eine nachhaltige Gemeinwohlwirtschaft möglich wurde. Niederkaufungen ist nur eines von vielen Beispielen für die praktische Umsetzung wirtschaftlicher Ideen, die über den Kapitalismus hinausgehen. Erstaunlich ist dabei, dass solche „radikalen“ Konzepte auch im Kontext „regulärer Ökonomien“ funktionieren können. Wenn jedoch ähnliche Modelle wie lumbung im zeitgenössischen Kunstbetrieb angewandt werden, der sich gerne als Wiege des fortschrittlichen Denkens sieht, werden sie umgehend als naiv abgewertet.
Als soziales Prinzip basiert lumbung auf einer Ökonomie von Freigiebigkeit, Vertrauen und Zeit. Als Mitglieder des erweiterten lumbung bekam die RSoE Raum und Unterstützung, suchte sich andere Förderstellen und kam ohne direkte finanzielle Mittel der documenta fifteen aus. Diesen Bedingungen hatten wir zugestimmt, weil wir bereits Erfahrungen mit gemeinwirtschaftlichen Netzwerken gemacht hatten, in denen der Austausch oft nicht monetär ist. Vielmehr geht es um Vertrauen – indem man gemeinsam und mit einem gemeinsamen Ziel Dinge macht. Dazu gehört auch, dass man sich gegenseitig Zeit lässt, aufeinander aufmerksam ist und mehr als bloß Besucher*in oder Gast ist. Kurz, dass man eben gemeinsam ist. Wie jemand so schön sagte: Aufmerksamkeit ist das größte Geschenk – vor allem in der neoliberalen Kunstwelt, in der Aufmerksamkeit knapp und oft monetarisiert ist.
„Make friends not art“ lautet ein viel zitiertes Motto von ruangrupa. Es sollte als Ausdruck einer grundlegenden Freigiebigkeit und auf Vertrauen gründenden Verbindlichkeit verstanden werden. Veranstaltungen wie die documenta fifteen, die weit über die engen Konventionen des Geflechts von Galerien und Großausstellungen hinausgehen, können als Sprungbrett für zukünftige multilokale Initiativen dienen. So vermögen sie einige der verdeckten Potenziale zu nutzen, die zu neuen Allianzen führen und alte Allianzen bestärken. Von Anfang an verstand ruangrupa die 100 Tage des Kassel-lumbung „nur“ als Beginn. Das den Künstler*innen und Kollektiven zur Verfügung gestellte Geld nannten sie daher auch „Anschubfinanzierung“ und nicht „Honorar“. Der in Kassel erfolgte Anschub ermöglicht nun ein neues, erweitertes globales Ökosystem, ein wechselseitig sich verstärkendes Netzwerk, das darauf abzielt, nicht-extraktive zirkuläre Ökonomien in der Kunst aufzubauen, in denen Gemeinschaften von Kunstproduzierenden und -rezipierenden ihre Ressourcen zum Nutzen aller reinvestieren. lumbung wird weitergehen.
https://www.ruralschoolofeconomics.info/
Übersetzt von Thomas Raab