Heft 4/2022 - Lektüre



Stefan Römer:

DeConceptualize Zur Dekonstruktion des Konzeptuellen in Kunst, Film, Musik

Berlin (Hatje Cantz) 2022 , S. 74 , EUR 24

Text: Kathrin Heinrich


Im gegenwärtigen Dschungel der Ismen ein eigenes Konzept aus der Taufe zu heben und noch dazu einen Neologismus zu finden, der dieses benennt und im globalen Informationszeitalter noch nicht anderweitig besetzt ist, grenzt schon an ein kleines Wunder. Dem Künstler, Autor und Musiker Stefan Römer ist jedoch genau das gelungen: Seit rund 20 Jahren beschäftigt ihn in seinem Schaffen das, was er als das Dekonzeptuelle bezeichnet. Sein künstlerisches Forschungsprojekt DeConceptualize (gefördert durch das Berliner Förderprogramm Künstlerische Forschung/gkfd) untersucht „die Diskussion der letzten Dekade über eine Adaption der Conceptual Art durch die aktuelle Musik“, genauer die sogenannte Conceptual Sonic Art. Im Rahmen dieses Projekts ist nun DeConceptualize – Zur Dekonstruktion des Konzeptuellen in Kunst, Film, Musik bei Hatje Cantz erschienen.
Obwohl sich das Buch der Grundsatzfrage nach dem Dekonzeptuellen in Kunst, Film, Musik widmet, versteht es sich nicht als klassische Monografie. Mehr als nur eine Theorie des „DeConceptual“ zu entwerfen und in Buchform zu gießen, betont Römer, dass „der Status dieses Texts selbst auch Kunst“ sei.
Was also ist nun genau unter dem Dekonzeptuellen zu verstehen? Grundlegend ist die Abgrenzung zur Konzeptkunst, deren Beschäftigung mit den eigenen Verfahrensweisen Römer derzeit als in „Akademisierung und Institutionalismus arretiert“ betrachtet. Seine Entgegensetzung zeichnet sich durch „abweichende Schreibweisen, Neologismen sowie An- und Durchstreichungen, also typische Verfahrensweisen der dekonstruktiven Lektüre als Theoriepraxis“ aus, was sich etwa folgendermaßen liest: „Im Sinne von Derridas und Morris’ Verbindung von Theorie und Praktiken in einem Noch-machen-Müssen liegt es in meinem Inter-esse, im artistic REALsearch die Theorie des transkategorialen und kulturell transcodierenden Kunstwerks zusammenzuführen und darüber hinauszugehen. In Diskussionen über neo-, para-, post- oder dekonzeptuelle Praktiken formulieren Künstler*innen ihr permanentes Noch-Praxiswerden-Müssen in Bezug zur Realität.“
In acht Kapiteln nähert sich das Buch einer Definition mittels verschiedener Strategien an, die mit Römers multimedialem Universum des Dekonzeptuellen verbunden sind. Dessen disziplinäre Breite wird zum Großteil abgebildet; so widmet sich ein Kapitel einem Foto-Text-Essay basierend auf seinem Film ReCoder of Life (2019), ein anderes seinen Collagen der Ausstellung Mixed-Up Images (1996) mit begleitendem, bisher unveröffentlichtem Text.
Bereits in der Einleitung hebt Römer sein an Derrida angelehntes „libidinöses“ Verhältnis zum Text hervor, illustriert wird es durch ein Kapitel, das sich in bester Nabokov’scher Pale Fire-Manier eigentlich in den Fußnoten abspielt, oder aber – deutlich weniger subtil – durch die Lyrics zu seinem Track „Text Practice is Sex Practice“. Der Songtext weist zumindest auf die digitale Nachhörbarkeit hin, bleibt aber auf der papiernen Seite doch eher stumm.
Es sind vor allem zwei Schlüsselkapitel, in denen Römer den Begriff des Dekonzeptuellen im Hinblick auf Sound (Art) und in Abgrenzung zum Begriff der Post-Conceptual Art bestimmt. Ersteres widmet sich einer ausführlichen Kritik der gegenwärtigen Ausstellungspraxis von Minimal Art (Bitte nicht betreten!) und leitet über Carl Andres Bodenplattenarbeit Steel-Copper Plain (1969) hin zum Konzept einer Sonic Minimal Art bzw. Sonic Conceptual Art unter Bezug auf Mark Fishers „Knistern und Knacken“ der Schallplatte, dem Begriff des Conceptual Ambient, und Derridas faut le faire – jenem bereits erwähnten Noch-machen-Müssen. Das darauffolgende Kapitel führt durchaus kurzweilig in Seth Kim-Cohens Konzept der „Non-Cochlear Sonic Art“ ein, einer „spezifisch nicht auf das Innenohr fixierten, sondern auch theoretisch fundierten“ Sonic Art. Mit der Betrachtung von Geräuschen im Museumsraum, in Film bzw. Filmkunst schlägt Römer überzeugend die Brücke zur bildenden Kunst und ihrer im Diskurs oftmals eher stiefmütterlich behandelten akustischen Dimension.
Die im dritten Kapitel ausgeweitete Abgrenzung von der postkonzeptuellen Kunst gerät zur ausführlichen Diskussion und Kritik von Peter Osbornes Begriff der „Post-Conceptual Art“, insbesondere des Diktums „contemporary art is post-conceptual art“ aus Osbornes Anywhere or Not at All (2013). Während Römer sich stark gegen Osborne positioniert und festhält, dass es sehr wohl nicht-postkonzeptionelle Kunst geben müsse, allein um dem Wort einen Sinn zu geben, scheint seine Argumentation nicht ganz schlüssig, wenn er seine eigene Praxis folgendermaßen beschreibt: „Das Präfix ‚de‘, das ich dem ‚conceptual‘ voranstelle, soll signalisieren, dass ich zwar gedenke, diesen Diskurs in seiner Gesamtheit in Theorie und Praktiken zu kritisieren, ihn aber gleichzeitig in meiner Kunstpraxis zu beherbergen.“
Die Vorsilbe „post“ scheint Römer also missverständlicherweise eher als Hinweis auf eine Abgeschlossenheit der Konzeptkunst zu lesen, der er mit seiner Kunst entgegentreten möchte, denn als die diskursive Basis, auf der Osbornes Post-Conceptual Art fußt, definiert als „an art premised on the complex historical experience and critical legacy of conceptual art, broadly construed, which registers its fundamental mutation of the ontology of the artwork“. Nach der Logik des Dekonzeptuellen dürfte das jedoch weniger stören, denn schließlich befindet sich auch eine Definition immer im Werden: Es muss eben noch gemacht werden.