Wien. Als der Atlantic-Records-Boss Jerry L. Greenberg Ende der 1970er-Jahre Nile Rodgers und Bernard Edwards – ihres Zeichens Masterminds der Band Chic – damit beauftragt, einen Hit für einen der großen Label-Acts zu schreiben, lehnen die Musiker dieses Konzept ab. Sie wollen prinzipiell für eine weniger etablierte Gruppe schreiben, also schlägt Greenberg die Formation Sister Sledge vor und so geht die Genese eines der größten Discohits der Musikgeschichte: „We are Family“. Hymne der Wahlverwandten, entstanden aus einer Zusammenarbeit, die nicht möglichst große Verkaufszahlen zum Ziel hatte, sondern Lust an der Ungewissheit, dem Risiko und dem Versuch. An Arbeitszusammenhängen, die die Dinge weitsichtiger denken als bis zur nächsten guten Betragensnote. Dementsprechend ist die Vereinnahmung solcher Versuche durch den Mainstream nur ein Ergebnis geglückter Zusammenarbeiten. Andere Aspekte bringen Formen der Nichtkommodifizierung hervor, die von Vergemeinschaftungen und gewollter bis zufälliger Devianz handeln.
All das sind Aspekte, die die von Christian Helbock und Dietmar Schwärzler unter der kuratorischen Assistenz von Rhea Tebbich zusammengestellte Ausstellung LOVING OTHERS. Modelle der Zusammenarbeit zelebriert. Und so gestaltet sich gleich der Eintritt in das Künstlerhaus mit einem Glasdeckenmosaik der Gruppe Bar du Bois äußerst festlich. An die wunderbaren Arbeiten der US-amerikanischen Künstlerin Joyce Kozloff erinnernd, reiht es gemalte Motive aneinander, in denen der*die Betrachter*in schwelgen kann: Das Gesicht der Maus aus der Sendung mit der Maus, Porträts von Alf und Alfred E. Neumann, eine klassische Küchenuhr, ein Arschloch in Großaufnahme und das Cover des Utakata no Hibi-Albums der japanischen Band Mariah, das – und diese persönliche Bemerkung sei mir an dieser Stelle erlaubt – ein Album für die Ewigkeit ist, sind nur einige davon. Bar du Bois haben auch drei Jahrmarktspieleautomaten gebaut, die im Gang stehend beiläufig das Glück herausfordern.
Weiter geht es in den großen Raum, in dem sich die Vielfalt künstlerischer Kollektivarbeiten ausbreitet, auch birgt dieser Raum Geheimnisse, die erst mithilfe der Begleittexte entschlüsselt werden können. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich einzelne Positionen intuitiv erschließen lassen, etwa das kubusförmige Labyrinth der russischen ZIP-Group. Es ist begehbar und ein Ort, an dem Abschirmen ohne vollkommene Abschottung möglich ist, von draußen dringen beispielsweise die Geräusche herein und genau deswegen ist die Kokonfunktion des Inneren so bewusst spürbar. Umgeben ist dieses Labyrinth von Installationen und Filmprojektionen, die den Ernst politischer Lagen zum Thema haben und immer wieder Humor in Zeiten wie diesen als politisches Mittel ausweisen. So zum Beispiel das Video We Need Prayers – Episode 05: This One Went to Market (2018) des Nest Collective, in dem sich die Künstler*innen über die Fetischisierung von Afrofuturismus durch den Kunstmarkt lustig machen.
Ein Raum der Ausstellung ist dem Wiener Modelabel __fabrics interseason gewidmet, dessen Werkansatz ein pluralistischer ist, dementsprechend vielfältig präsentieren sich die Arbeiten: großformatige Fotos mit Kreationen neben einer Collagenwand, auf der das Video einer Modenschau von __fabrics interseason läuft, der Titel der Show lautet ADHOCRACY, ein Begriff, der eine Organisationsform jenseits der Bürokratie bezeichnet. Zu sehen eine Gruppe von Models, die als Chor auftreten und so tun, als würden sie Kevin Blechdoms Version von Tina Turners „Private Dancer“ zum Besten geben. Ich muss schmunzeln, privat ist hier nichts.
Die Verschränkung von Mode, bildender sowie angewandter Kunst und Musik ist eine Konstante, die sich auch in der Arbeit der Rapperinnen Klitclique mit Anna Spanlang niederschlägt, die in unterschiedlichen Kontexten der Männlichkeitsdominanz im Kunstmarkt und in der Rap-Szene den klugen wie unterhaltsamen Kampf ansagen.
Zentrale Motivation für die Ausstellung ist die Verhandlung der Frage, „wie Zusammenarbeit in einer Arbeit sichtbar wird“1. Die Zugänge zu kollektiven Handlungsweisen, die LOVING OTHERS offenlegt und begreifbar macht, erzeugen durch ihre Vielfalt und Zusammenschau ein Gefühl der Anstiftung, es den vertretenen Gruppen gleichzutun. Begleitet wird die Ausstellung nicht von einem Katalog, sondern von einem Magazin, dass das Ausgestellte zusammenfasst, erweitert, Lücken auffüllt und erzeugt, die dafür gedacht sind, gemeinsam Pläne zu schmieden. Es dient als Zeitdokument und als befeuernde Anleitung zugleich. Hier wird erneut der Aspekt von Partizipation und Verbreitung klar, den die Ausstellung transportiert, so mit einer Arbeit des intersektionalen feministischen Kollektivs Femplak, das dazu auffordert, Leitsprüche wie „STOP RAPING US“ und „ABTREIBUNG RETTET LEBEN“ in großen Lettern zu affichieren. Die ausgedruckten Buchstaben und Kübel mit Pinsel und Leim stehen in der Ausstellung bereit. Sie müssen nur abgeholt und in der Öffentlichkeit ihrem Zweck zugeführt werden. I got all my sisters with me.
[1] Dietmar Schwärzler gemeinsam mit Christian Helbock in einem Gespräch mit Rhea Tebbich im Magazin zur Ausstellung, S. 5.