Wien. Was kennzeichnet Jean-Frédéric Schnyder als Maler? Ein zentrales Thema? Eine bestimmte Haltung? Ein politischer Fokus? Formale Interessen? Kunst als therapeutisches Mittel? Kaum ein Werk eines zeitgenössischen Künstlers oder einer Künstlerin, das sich einerseits so schnell erfassen lässt, dessen Kern andererseits so offen, vielleicht sogar leer bleibt.
Jean-Frédéric Schnyder, geboren 1945 in Basel, arbeitet in verschiedenen Medien, doch in erster Linie malt er. Seine Ausstellung in der Secession in Wien umfasst 102 Arbeiten, davon ist die älteste aus dem Jahr 1983. Es sind klein- bis mittelformatige Ölmalereien mit gegenständlichen Sujets: ein Berg, der Niesen am Thunersee; ein Plastikkübel mit zwei gekreuzten Schläuchen; ein weiterer Eimer mit einem Holzstück darin; Pixelblumen; eine Figur in Halbporträt, das Gesicht mit einem Comic-Smiley übermalt – das ist Rudolf Steiner als Trial-and-Error-Bild; ein idyllisch anmutendes Haus mit einem Text überschrieben; eine Ansammlung von PVC-Flaschen, sci-fi-artige Babys wie aus einem HR-Giger-Film; eine Tafel als Buchstabenbild, „ROT“ steht da, die Farbe des Bilds aber ist grün; oder ein Doppelporträt des Werbeträgers von Moretti-Bier. Fragt man den Künstler beispielsweise nach diesem Bildgegenstand, so antwortet er: „Dies ist die Darstellung der Wirkung von zu viel Bier, aber es ist auch der Versuch, ein Porträt zweimal gleich zu malen.“
Dieser lakonische Firnis auf den Werken – er ist praktisch überall vorhanden –, was bedeutet er? Ist die Aneignung von bunten Malereistilen eine ironische Geste, eine nihilistische, die Entwertung da sucht, wo üblicherweise Wahrheit, Genius und Identifikation stehen? Ist Schnyders Werk eine Korrektur der Kunstgeschichte? Aber warum malt er überhaupt? Um diese Fragen zu beantworten, muss man Schnyders Arbeitsweise genauer in den Blick nehmen, die in einem großen Arbeitsethos und in einer hohen Selbstdisziplin liegen. (Die Nähe dieser Eigenschaften zu notorischen Schweizer Tugenden ist nicht zufällig.) Schnyder beschäftigt sich immer wieder mit expliziten Malereithemen, die er in mehrteiligen Werkserien bearbeitet. Eine dieser Serien ist die Reihe Berner Veduten, in denen er an verschiedenen Standorten der Schweizer Bundeshauptstadt typische Motive festhielt – als kunsthistorische Referenz dient ihm hier ein Künstler wie Bellotto mit seinen europäischen Veduten. Eine weitere Serie waren die Wartsäle von Ende der 1980er-Jahre. Wie der Name beschreibt, malte Schnyder hier die Wartestationen von 92 Schweizer Bahnhöfen. Unterwegs entweder mit Fahrrad und Rucksack oder mit dem Zug und Rucksack gab die Notwendigkeit vor, mit leichter Ausrüstung zu reisen, auch in der Wahl seiner Malereiutensilien: DIN-A4 oder A3 als Standardformate sowie eine reduzierte Farbpalette von sechs Farben, alles leicht transportierbar. Die Ironie findet sich nun nicht unbedingt im unscheinbaren Motiv des Wartsaals, das zu einem bildwürdigen Gegenstand nobilitiert wurde – hier gäbe es beispielsweise mit Ed Ruscha und seinen Tankstellen einen passenden Vergleich –, sondern sie liegt vielmehr darin, die künstlerischen Mittel durch eine Art Eigenbeschränkung so sehr an die kunsthistorischen Vorgaben anzupassen, dass sich Input und Output zu decken scheinen, jedoch nicht treffen. Die Wahl einfacher Motive erlaubt es Schnyder, sein Augenmerk auf den Kontext, auf die Gemachtheit und auf deren Wirkung zu legen: Worum geht es bei der Landschaftsmalerei? Was ist Pop Art? Wie funktioniert eigentlich ein Magritte? Und was ist das Faszinierende an Sonnenblumen in einer Vase? Und überhaupt: Kann ich das eigentlich auch?
Diese Befragung künstlerischer Mittel und Repräsentationen lässt sich auch in der Secession nachvollziehen, wo Schnyder den Hauptraum bespielt. Die Arbeiten sind entlang der vier Wände auf einer geraden Linie gehängt, die zwei Standardformate A4 und A3 sowie einige wenige größere als Abfolge ohne erkennbare Narration. Bis auf zwei Skulpturen aus recyceltem oder vorgefundenem Material ist der Raum leer. Die Glastür in den Garten der Secession bleibt offen und wird als „Live-Bild“ in die Ausstellung integriert. Rechts und links davon hängen nicht nur die größten, sondern auch die enigmatischsten Bilder: links eine Mondlandschaft mit zwei knienden, trauernden oder nachdenkenden Wesen vor einem steinartigen Objekt, rechts eine stilisierte, in hellblauen Farbtönen gehaltene Berg- und Seenlandschaft, um die zwei rosarote Figuren (Geister? Wolken? Engel?) schweben.
Schnyders eklektischer Gestus ist also Konzept, und er beinhaltet auch einen typischen Pragmatismus, der manchmal trocken-lakonisch wirkt, so wie ihn auch andere Schweizer Künstlerinnen und Künstler (mir fallen dabei mehr Männer ein) praktiziert haben: Dieter Roth, Roman Signer, Fischli/Weiss oder Klaudia Schifferle. Es ist ein andauerndes Abarbeiten am Unoriginalitätsmythos, am Pauveren, an der armen Sprache (dabei keine Arte Povera), an einer Robert Walser’schen Prosa, die mit Understatement, bisweilen Witz und durchaus auch mit Melancholie gebaut sind. Überaffirmation und das Scheitern in der Sache selbst. So ist auch die so simple Hängung des Hauptraums der Secession – einer der ikonischsten Räume für Kunst überhaupt – eine Geste der Zurücknahme auf das Wesentliche ohne effektvolle Inszenierung, jedoch gerade dadurch so wirkungsvoll.