Heft 1/2023 - Lektüre



Sianne Ngai:

Das Niedliche und der Gimmick

Leipzig (Merve Verlag) 2022 , S. 74 , EUR 16

Text: Peter Kunitzky


Kunst und Kommerz, das sind heute längst keine kategorisch voneinander geschiedenen Sphären mehr, auch wenn sich die Kunst darin gefällt, sich weiterhin den Anschein von Autonomie zu geben – übrigens ein äußerst schillernder und in Zusammenhang mit Kunst geradezu polyvalenter Begriff, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn es gilt, diese als unvergleichlich und damit als irgend bevorrechtigt zu erweisen. Jenes Einverständnis zwischen Kunst und Kommerz wird nun insofern hergestellt, als man beim jeweils anderen unverkennbar Anleihen macht: Im ökonomischen Bereich zeigt sich diese Anverwandlung vornehmlich darin, dass man auf eine konsequente Ästhetisierung setzt, indem vom Fertigungsprozess (siehe etwa die Gläserne Manufaktur des Dresdener VW-Werks) über die Produktgestaltung (die viel beschworene Warenästhetik) bis zur nämlichen Präsentation (sei es im realen Geschäft, sei es beim Internetauftritt) alles einem rigorosen Gestaltungswillen unterworfen wird – eine spätkapitalistische Praxis, die Hal Foster in seinem berühmten Aufsatz „Design and Crime“ einst sogar dazu veranlasst hat, von einem totalen Design zu sprechen, das „from genes to jeans“ wirklich alles erfasst. Gleichzeitig hebt diese Praxis letztlich auf nichts anderes ab, als der Ware – oder genauer: der dahinterstehenden Marke – eine Art Air zu verleihen, das der Benjamin’schen Aura an Surplus-Wertigkeit um kaum etwas nachsteht, nach der die um Distinktion bemühten Konsument*innen bekanntlich so lechzen.
Die Kunst wiederum hat in ihrer – von Wolfgang Ullrich so bezeichneten – postautonomen Verfassung vor einiger Zeit ebenjenes Prinzip des Branding für sich entdeckt, das es ihren marktgängigeren Vertreter*innen erlaubt, sich durch die groß angelegte Diversifizierung ihrer Produktpalette ganz neue Käuferschichten zu erschließen, während umgekehrt jemand, der, sagen wir, bloß einen Button von Damien Hirst ersteht, trotzdem hoffen darf, sich uneingeschränkt im Glanz dieser Marke sonnen zu können, der nicht zuletzt von einem diamantbesetzten Schädel herrührt.
Wir sind nun also in der schönen neuen Kunst- bzw. Konsumwelt angekommen. Allein, welche kapitalistischen Formen und Strukturen zeichnen sich darin eigentlich genau ab? Und mit welchen ästhetischen Werturteilen begegnen wir diesen? Die in Chicago lehrende Literaturwissenschaftlerin Sianne Ngai hat sich ebensolchen Fragen, die bei ihr letztlich in eine – aus dem Boden der marxistischen bzw. feministischen Theorie erwachsene – Kritik des Spätkapitalismus im Spiegel entweder unschicklicher Gefühle (wie Neid oder Paranoia) oder minderer ästhetischer Kategorien (wie des Interessanten oder Skurrilen) einmünden, mit bisher drei Büchern gestellt, von deren Stoßrichtung eine deutsche Leserschaft mit der vorliegenden Publikation nun erstmals Kenntnis erhält.
Der eine der beiden hier versammelten Aufsätze widmet sich mit dem Niedlichen wieder einer – verglichen etwa mit dem Schönen oder Erhabenen – eher marginalen ästhetischen Kategorie, die sich aber vielleicht gerade durch ihr relativ spätes Aufkommen im Rahmen der hyperkommodifizierten Konsumgesellschaft (oder der Postmoderne) besonders für den Nachweis eignet, dass die strukturellen Ungleichheiten, die vom Kapital hervorgebracht und verwertet werden, sich auch in die von Ngai untersuchten Geschmacksbegriffe einschreiben. Und das liegt vor allem darin begründet, dass sich das Niedliche, das hier sowohl in seinen kommerziellen (Geschichte der amerikanischen Spielzeugindustrie) wie auch künstlerischen (die Kawaii-Adaption bei Nara oder Murakami) Kontexten beleuchtet wird, wegen seiner üblichen Klein-, Kompakt- und Weichheit oft in verweiblichten oder verkindlichten Objekten wiederfindet, die daraufhin als hilflos und verletzlich imaginiert werden. Das Wissen um diese asymmetrische Machtverteilung provoziert nun durchaus ambivalente Emotionen, die von Zärtlichkeit und Bewunderung über Aggressivität bis zu Verachtung und Ekel reichen können. Unstreitig bleibt dabei jedoch, dass die Niedlichkeit als elementare Warenästhetik es den Konsument*innen einerseits verstattet, sich das Produkt als harmlose und ungefährliche Form auszumalen, während sie andererseits das Werk für die Rezipient*innen in eine kulinarische, ja geradezu leicht verdauliche Ware verwandelt.
Der Gimmick gleicht dem niedlichen Objekt insofern, als auch er oft – manche werden sich vielleicht noch an die billigen Beigaben der Yps-Hefte erinnern – in miniaturisierter (maschineller) Gestalt auftritt. Er kann aber nicht nur in einem Gegenstand, sondern auch in einer Vorrichtung oder bloß einer Idee ausgemacht werden, entpuppt sich mithin als überaus fluide Entität. Und dieses Gleitende scheint dem kapitalistischen Gimmick überhaupt ganz zuzugehören, gibt er sich doch immer als Wunderding und als Trick zugleich zu erkennen, als ein Etwas, das uns mit der Aussicht auf eine beträchtliche Zeit- und Arbeitsersparnis, das heißt somit letztlich Produktivitätssteigerung, lockt, dieses Versprechen jedoch unmittelbar bricht. Eine Irritation, die uns – wie beim niedlichen Objekt – wieder mit einer Melange an Gefühlen konfrontiert: Da geht Staunen in Misstrauen über, und Neugier wandelt sich zur Enttäuschung, ohne dass dieses Hin und Her der Perspektiven, die alle die Wahrheit für sich beanspruchen, aber irgendwie synthetisiert werden könnte. Und da für Ngai diese Antinomien mit der Arbeitskraft, der Zeit und dem Mehrwert nicht zufällig kapitalistische Elementaritäten aufrufen, verweist der Gimmick ihrer Ansicht nach auf alle möglichen Widersprüche dieser Wirtschaftsform, wie etwa dass die Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht auch mit einem Mehr an sicheren Arbeitsplätzen einhergeht. Kurzum: der Gimmick als MacGuffin der Kapitalismuskritik.