Graz. Bedeutet der Ausdruck Konzeptkunst heute noch etwas? Ist heute nicht jede Kunst gewissermaßen Konzeptkunst? Oder können sich einfach nur noch ältere Kunstschaffende damit identifizieren und die jüngeren nicht mehr?
Heinrich Dunst, vom Haus als der österreichische Konzeptkünstler beworben, bietet uns mit der Schau sink seine Perspektive, was dieser Begriff heute noch bedeuten könnte, während zeitgleich die jüngere Generation in der Nebenausstellung on affairs ähnliche Methoden auslotet. Ursprünglich meinte Konzeptkunst eine Kunst, bei der das Konzept oder die Idee wichtiger ist als das Objekt. Diese beiden Ausstellungen zeigen ihre Entwicklung von Broodthaers und der Wiener Szene der 1980er-Jahre, die Dunsts konzeptuelle Praxis formte, bis in die Gegenwart. Dabei wird deutlich, dass Begriffe wie Mehrdeutigkeit, Fragmentierung, Tautologie und der unlösbare Widerspruch zwischen Kunst und Leben die Konzeptkunst, wie sie heute praktiziert wird, immer noch prägen.
sink ist mehrdeutig par excellence. Die Ausstellung könnte gut und gerne als Kommentar auf die Chance der Kunst gelesen werden, das Leben zu ästhetisieren. Unter diesem Blickwinkel stellen allerdings die vielen Bezüge auf Bauen und Bautechnik ein Dilemma dar. Ist die Schau noch in Bau, oder bleibt die Kunst hier bewusst unfertig? Eine Tür lehnt nonchalant an der Wand, als würde sie demnächst in einen Türstock eingesetzt werden. Eine andere Wand wurde mit rosa Dämmplatten verkleidet. An wieder einer anderen Wand lehnen Gipskartonplatten über einem Holzrahmen, gegenüber einem umgedreht gehängten, gebrauchten Waschbecken, das von einer Baustelle stammen könnte. Dann wieder zwei farbbespritzte Fotos, die Bauarbeiter bei der Arbeit zeigen, während im Nebenraum ein Heizkörper offenbar viel zu hoch montiert wurde. Auch der bestimmte Artikel „The“ neben der angelehnten Türe verweist auf etwas, das fehlt, nämlich ein Hauptwort. Alles ist also derart im Bau, unfertig oder am falschen Platz, dass die Realität des Bauens und der Baustelleneindruck – wenigstens zeitweilig – dem Zug, als Kunst gedeutet zu werden, widersteht.
Doch ist sink natürlich mehrdeutig genug, um im Rahmen der Konventionen der zeitgenössischen Kunst als Ausstellung gelesen zu werden. Ihre disparaten Teile fügen sich zu einem schlüssigen Ganzen. Der Artikel „The“ gehört zur lehnenden Tür, die wiederum ein durchgestrichenes Wort teilweise verdeckt, als wolle Dunst damit andeuten, dass Worte die Wirklichkeit der Tür nicht darstellen könnten und es deshalb die echte Türe brauche. Die Fugen zwischen den Gipskartonplatten könnte man als Parodie auf die abstrakte Kunst und das auf das Waschbecken geklebte quadratische schwarze Vlies als Verweis auf Malewitsch lesen. Die Matte wiederum korrespondiert mit den schwarzen Rechtecken, die nebenan auf die Wand gemalt sind und ihrerseits das Layout der Bilder auf der Titelseite der New York Times spiegeln, die am anderen Ende des Raums hängt. Nicht weniger selbstbezüglich das Wort „red“, das rot auf einer der Gipskartonplatten prangt. Die beiden mit Farbe bespritzten Fotografien erweisen sich nunmehr als Allegorie von Unähnlichkeit versus Ähnlichkeit. Schließlich wurden die eigentlich identischen Digitaldrucke von Hand übermalt, sodass sie sich nun leicht unterscheiden. Der Heizkörper endlich dient durch seine Positionierung hoch oben an der Wand wohl als Verweis auf das Readymade, denn er ist dort oben unbrauchbar und absurd. Dunsts Ausstellung pendelt ständig zwischen dem zusammenhanglosen Chaos des realen Lebens und der obsessiven Suche nach Zusammenhängen der zeitgenössischen Kunst. Damit stellt der Künstler die Frage, wie, warum und wann Kunst überhaupt zu Kunst wird und aufhört, bloß Leben zu sein.
Die jüngeren Künstler*innen in der Ausstellung on affairs folgen zwar ähnlichen Methoden wie Dunst, gelangen jedoch zu anderen Ergebnissen. Lorenza Longhi verwendet für Untitled (Particuliere 505 Pavillion, 2021) ebenfalls normales Baumaterial, genauer gesagt Kunststoffplatten, um damit Werbungen für Luxuslippenstifte als obsolete Geschlechterklischees zu dechiffrieren. Anders aber als bei Dunsts lässig an der Wand lehnenden Platten stehen die von Longhi im krassen Gegensatz zur Werbeästhetik. Auch Ghislaine Leung setzt mit Browns (2021) Bau und Kunst in Beziehung. Sie gab die Anweisung, alle verfügbaren Wände bis zur Höhe der Standardmitte der Hängung von Bildern braun zu streichen. Damit verweist sie indes nicht darauf, dass man an Wände Dinge hängt oder lehnt, sondern auf die Geschichte dieser Wände. Die dünne braune Farbschicht legt nämlich jene Spuren bloß, die von früheren Ausstellungen geblieben sind. Sung Tieu wiederum kontrastiert ein Satellitenbild des Schauplatzes einer Tragödie, die Migrant*innen in London heimsuchte, mit einem Leserbrief, in dem darauf hingewiesen wird, dass der monierte Zeitungsartikel zwar die geopolitischen Aspekte der Geschichte der Opfer behandle, nicht jedoch die Höhen und Tiefen ihres Alltags. Auch Tieus Arbeit oszilliert also zwischen Kunst und Leben, zwischen der Distanziertheit des Satellitenbilds und den minutiösen Details des Lebens der Opfer. Milena Büsch schließlich kehrt mit Auto Motor Sport (2022) den stereotypen Gegensatz von Künstlichkeit der Kunst und Lebenswirklichkeit um. Die Unregelmäßigkeit und die wackelige Beschriftung ihrer mit Ölfarbe nachgemalten Zeitschriftencover wirken authentisch und spontan und stehen damit in krassem Gegensatz zur Hochglanzästhetik, den solche Illustrierte sonst auszeichnen.
Meiner Lesart nach, die eine von vielen ist, will Dunst mit sink Theorien und Ideen prüfen, während on affairs Situationen und Tatsachen zu verdeutlichen und kritisieren scheint. Dennoch werden in allen ausgestellten Werken nicht Objekte als solche, sondern Ideen, Motive und mögliche Deutungen analysiert und diskutiert. Dies ist das Vermächtnis der Konzeptkunst.