Wien. Eine Ausstellung zusammenzustellen, die Überblick über beinahe 50 Jahre Galerientätigkeit gibt und dabei auch den Beitrag der Galerist*innen Renate Kainer und Christian Meyer zum Wiener Kunstgeschehen der Stadt aufzeigt, ist eine große Herausforderung, die selbst bei wiederholtem gedanklichen Drehen und Wenden der Aufgabe kaum kleiner wird. Die Münchner Galeristin Barbara Gross versuchte, ihr 30-Jahre-Jubiläum in einer dreiteiligen Ausstellungsreihe zu bündeln, während etwa Galeristin Rosemarie Schwarzwälder anlässlich ihres 40-Jahre-Galeriejubiläums 2018 auf sehr persönliche Verweise ihrer Geschichte mit Künstler*innen, ihren Arbeiten und auf ein dadurch sehr anekdotisches Narrativ setzte, um den Umfang des schwer Fassbaren ordnen zu können. Die Kunsthistorikerin Brigitte Huck und Kuratorin von Je Veux, Vienna lässt sich von dem durch mannigfaltige Erwartungshaltungen erzeugten potenziellen Druck nicht nur nicht irritieren, sie ignoriert ihn komplett. Sie macht mit dem ihr eigenen „Hands on“-Zugang weit über das Zweckvolle des Auftrags hinaus etwas Einfaches und zugleich Beachtliches: Sie vertraut geradewegs den Arbeiten.
Bereits im Entree der Galerie erfolgt eine direkte Adressierung der Betrachter*innen, die zur Auseinandersetzung anregt. Es entspinnt sich ein Netz der Positionen und Referenzen, eine Vielfalt der skulpturalen Praktiken, die produktive Unterschiedlichkeit der diesbezüglichen Verständnisse der Galeriekünstler*innen von Kris Lemsalu, Anita Leisz über Anne Speier, Lucy McKenzie zu Heimo Zobernig. Die Gleichzeitigkeit im dichten Auftritt, in der durch diese Skulpturen repräsentierten Vermessung (Leisz), dem Ausbruch (Speier), der massiven Setzung aus Bronze bzw. fragiler Zuflucht als leger „gestagede“ Integration in ein IKEA-Billyregal (Zobernig), dem thronenden Empfangsszenario (Lemsalu) bzw. der Akzentuierung der Seidenkleidung einer lehnenden Schaufensterpuppe (McKenzie), all das generiert gewinnende Spannungen, welche die Betrachter*innen in unmittelbare Relation zu diesen vielfältigen Verkörperungen treten lassen. Dass diese Dynamisierungen vor dem Hintergrund an der Wand hängender, Glam-behafteter Bezugnahmen von Marcin Maciejowski mit Auftritten von um die Kopfpartie ausgesparten und dadurch anonymisierten Stars (Audrey Tatou, Lena Headey und Sharon Stone) auf Eventteppichen stattfinden – oder angesichts der betont weird bzw. bunt kontrastierenden Collagen von Rachel Harrisons und vor allem der Fotografien des Supermodels Kate Moss (Wolfgang Tillmans) und der gegen Ende der Ausstellungsdauer am 11. Januar 2023 an Brustkrebs verstorbenen Tatjana Patitz (Charles Ray) –, all das schafft neben einem unheimlichen Ruhepunkt zwischen den täuschenden, gegensätzlichen Kräften von Superstar und Superskulptur zudem ein gedankenvolles Memento mori. Es verstärkt spürbar ein gegen Ende der Pandemie überdies isoliertes Bewusstsein der subjektivierten Auffassungen von Sein und Zeit, und man befindet sich immer noch im ersten Raum der über drei Etagen reichenden Ausstellung.
Im Hauptraum zeigen sich diese Effekte der in den Arbeiten formulierten Darstellungen und Sensibilisierungen etwas loser, aber immer noch greifbar: Gelitins ineinanderwachsende, blasse Alu-Halbkopfgruppe trennt eine die Multifunktionalität eines Raumteilers durchdeklinierende Struktur (Zobernig) von einer, auf dessen Rückseite gehängter, widerwillig-widerständigen Figur von Yoshitomo Nara, welcher eine weitere auf der gegenüberliegenden Galeriewand angebrachte, mit geschlossenen Augen und gestreckter Zunge porträtierte Mädchenfigur Naras dialogisch gegenübertritt. Animationszeichnungen aus dem Making-of zu Mathias Polednas aufwendigem und heiterem Biennale-Beitrag, dem 35-mm-Film Imitation of Life, sowie ein kleines, zweiteiliges Ensembleexzerpt von Rafaela Vogels geisterhaftem, ebenfalls Biennale-bekanntem Giraffenkonvoi strahlen die ästhetisierte Melancholie eines gefrorenen Dramas aus, gemeinsam mit Rosemarie Trockels kurz vor der Erkennbarkeit des Porträtierten haltmachenden Zeichenserie Ohne Titel (Vater) und einer dazugehörenden, von der Wand abstehenden Gipsbüste. Einen empfindlichen Bruch in dieser vorwiegend beschaulichen Atmosphäre markiert das, obwohl nur auf einem kleinen Screen wiedergegebene Video Violent Incident von Bruce Nauman, ein kurzweiliges, spannungsgeladenes Duodrama mit unheilvollem Ausgang, welches durch die eigene Videopatina und das ganze Ausstellungsgeschehen zu beißen scheint.
Der eigene Status als Ausstellungsbesucher*in erfährt eine weitere sinnliche Bewusstwerdung am, den eigenen Spuren gegenüber sensiblen und diese auch gleich wiedergebenden, grell orangen Teppich Rudolf Stingels eine Galerieebene höher. Man findet sich in einer großen Franz-West-Collage wieder und betrachtet eine goldene Leinwand Stingels, die dieser bei einer Eröffnung mit verschiedenerlei Markierungen versehen hat, sowie einige weitere zu Kunstwerken upgecycelten Betriebsephemera von Einladungs- und Ankündigungspostern vergangener Eröffnungen Franz Wests. Im Obergeschoss des seit 2007 zusätzlich zu den Galerieräumen bespielten Boltensternraums zeigt sich das anhaltend kluge Spiel aus Referenz und Reminiszenz weiter offen bzw. öffnend: eine Türe mit von Keith Haring bemalten Kassetten, typisch anspielungsreiche Zeichnungen Raymond Pettibons, eine ältere und ungewöhnliche, da ohne eigene Protagonist*innen auskommende Cindy-Sherman-Fotostrecke sowie eine farblich damit kommunizierende, verheißungsvoll hoch gehängte Kette voller Gebrauchswertversprechen in Form von Keramikwürsten von Michèle Pagel, einer der jüngeren ins Galerieprogramm gerückten Positionen.
Eine persönliche, zum 32. Geburtstag von Colin de Land gewidmete Zeichnung von Richard Prince und der Videomitschnitt eines am 2. Juni 1992 von de Land brillant gehaltenen Vortrags im Rahmen der von Christian Meyer mitorganisierten Vortragsreihe Das ästhetische Feld – Vorträge zu Praxisformen der Kunst setzen abschließend einen wertschätzenden Akzent in Bezug auf diese Ausnahmefigur. Mit seiner Galerie American Fine Arts, Co. (1983–2004) widmeten sich de Land sowie seine Partnerin Pat Hearn (Pat Hearn Gallery (1983–2004)) der verblüffenden, mitunter experimentellen Auslotung von Geschmack, dem Potenzial der Möglichkeiten im Verkauf von Kunst, der Beziehung der zeitgenössischen Kunst zu ihren Märkten und der Auslegung der Rolle des Galeristen dabei. Ein bedeutsamer Fingerzeig innerhalb einer, aus einem reichhaltigen Repertoire lebendig aktuell kombinierten Ausstellung, zu der auch eine – die glanzvolle Geschichte dieser Wiener Galerie im Detail ausführlich dokumentierende und weiterführende – umfangreiche Katalogpublikation erschienen ist.