Wien. Herzschläge eingefangen. Der Boden ist zum Feld geworden, wie rote Knospen wird das Papier zum Symbol. Die Farbe schreit. Aus der Ferne könnte es eine Blumenwiese andeuten. Dieses Bild löst sich durch das Entfalten schnell wieder auf. Eine Frau trägt das Herz um den Hals. Die Augen sind geschlossen, darunter der Schriftzug Works of Heart. Die Worte sind zum Ausstellungstitel geworden, entnommen aus einer Anzeige. An der gegenüberliegenden Wand der Kunsthalle findet sich ein Foto einer Frau, mit Blut bedeckt, auch sie hat die Augen geschlossen. Dieses Bild einer Dualität steht sinnbildhaft für die Arbeit von Sanja Iveković, illustriert eine Vorgangsweise, die Gegenüberstellung von Gegensätzen zur Darstellung von herrschenden Systemen. Die titelgebende Arbeit basiert auf einem Zeitungsausschnitt, den die Künstlerin in den 1990er-Jahren fand und aufbewahrte. Darin sind Werbung und Verbrechen Kante an Kante platziert. Diese Szene des Massakers an Zivilist*innen auf einem Markt von Sarajevo stammt aus der „New York Times“. In ihrer räumlichen Anordnung wurden Bilder von ihrer Nachbarschaft befreit, die Außenwände grenzen nicht mehr aneinander. Sie blicken sich an, durch den Raum, die Augen verschlossen, framen den Rest. Sanja Iveković. Works of Heart (1974–2022), kuratiert von Zdenka Badovinac, zeigt einen breiten Ausschnitt aus der Praxis der kroatischen Künstlerin, die trotz der langen Schaffensphase vor allem der jüngeren Generation bisher weitgehend unbekannt blieb. Die Ausstellung ist als offene Retrospektive gestaltet, deren Fluchtlinien sich in der Gegenwart weiterziehen. In der Kunsthalle Wien treffen frühe und spätere Arbeiten aufeinander und bilden einen zeitlichen Austausch über politische Systeme, Macharten von Medien, den Wandel von Sozialismus zum Kapitalismus, den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens mit all seinen Folgen. Der Titel lässt sich als Symbol verstehen. Das Herz steht hier für die Verkörperung des Weiblichen, der Sentimentalität als überkommenes Stereotyp. Das Herz steht für Leben, die Gegenwart, für die Dringlichkeit und viele andere Dinge. Das Herz ist und bleibt eine Form.
Gleich nach dem Eintreten befindet man sich direkt in der Installation Ženska kuća (Frauenhaus). Hier trägt keiner das Herz auf der Zunge. Eine Ansammlung von Geschichten ohne Körper, eine Armee geformt aus Gips. Nur ein Abdruck formt das Bild. Die vielen Gesichter sind vom Blick abgewendet, die vielen Geschichten als kollektives Schweigen. 26 Frauen. 26 Abdrücke und Geschichten. Seit 1998 arbeitet Sanja Iveković in dieser Serie mit Hilfsorganisationen für misshandelte Frauen zusammen, in der in Workshops Gipsabdrücke der Gesichter entstehen und auch die Geschichten festgeschrieben werden. Porträts und Anonymität gleichermaßen. Man liest Namen und darüber, was sonst verborgen bleibt. Sockel deuten die fehlenden Körper an. Während man die Worte liest, blickt man direkt in den Kopf. Im Hintergrund wird die Installation durch eine Videodokumentation der realen Workshops ergänzt. Dahinter findet man eine mögliche Einleitung. Herzschläge wurden eingefangen in ihrer Bewegung. Man sieht Variationen einer Situation. Fremde berühren die Künstlerin. Die Begegnung verläuft immer anders. Der Mund bleibt verklebt, während der Rhythmus der Herzschläge durch Mikrofone aufgenommen wird. Eröffnung bei Tommaseo ist eine der früheren performativen Arbeiten von Sanja Iveković, in der die Künstlerin intime Begegnungen im Büro einer Galerie in Triest dokumentiert. Face to Face. Später werden die Aufnahmen, akustisch und visuell, in den Galerieraum übertragen. Jedes Aufeinandertreffen wurde festgehalten, bildet einen fotografischen Abschnitt, der nun in seiner Summe aneinandergereiht und gegenübergestellt wird.
Ein allgemeiner Blick in den Raum. An den Wänden eine Vielzahl an fotografischen Serien der Künstlerin, die das Verhältnis zwischen Repräsentation und Vergessen mit gängigen Mitteln der Werbung adressiert, mehrteilige Reihen, die nebeneinander oder gegenüber voneinander platziert sind. Hinter jedem dieser Gesichter oder Namen verbirgt sich eine Geschichte, eine Realität, der das Vergessen drängt. Text und Bild arbeiten gegeneinander, füreinander. Es sind sehr viele Frauen, die man sieht. Im Zentrum des Raums steht ein langer Tisch, an dem sich die Videoarbeiten nebeneinander reihen. Röhrenbildschirme as usual. Verborgen hinter einer Wand befindet sich die Videoinstallation On the Barricades aus dem Jahr 2010, die für die Gwangju Biennale in Südkorea entwickelt wurde. Der Raum hat die Augen geschlossen, möchte nicht mehr hinsehen. Man hört ein Summen, das Lied bleibt unbekannt. Man sieht Schwarz-Weiß-Fotografien von Opfern des Gwangju-Aufstands von 1980 gegen die Militärdiktatur unter dem Generalmajor Chun Doo-hwan, sie hängen im Raum in Screens. Die Augen wurden künstlich versiegelt, der Blick verschlossen. Die Porträts wurden bearbeitet und wirken nun wie Totenmasken. Immer ein Porträt wird abgelöst durch Aufnahmen von Personen an verschiedenen Orten in Gwangju, auch sie haben die Augen geschlossen. Ein lebendiges Mahnmal.
Die Vergangenheit des ehemaligen Jugoslawiens sitzt tief in den Arbeiten. In Personal Cuts von 1982, das sich in einer dunklen Ecke verbirgt, ist das Gesicht der Künstlerin von einem Strumpf bedeckt. In der Hand eine Schere. Kurz vor dem Einschnitt wird das Bild durch eine Aufnahme unterbrochen, die in historischen Bildern über Jugoslawien erzählt. Diese Geschichte wird zum Einschnitt. Wechsel zurück zum Gesicht, in dem nun ein Loch klafft. Wiederholung. Am Ende liegt das Gesicht frei. Vergangenheit wird als ein Prozess der Offenlegung praktiziert.
Zurück zur Papierwiese. Endlose visuelle Assoziationen zum Bild. Einen der Knoten aufgelöst, darin befindet sich die aktuelle Arbeit Report on Gender-based Violence Against Women Refugees in Austria, die ortsspezifisch entwickelt wurde. Iveković zeigt hier shadow reports zu genderspezifischer Gewalt gegen weiblich gelesene Flüchtlinge in Österreich aus dem Jahr 2022. Dokumente als Ergänzung der offiziellen Berichte. Seit 1998 arbeitet Iveković mit diesen alternativen Berichten von Frauenrechtsorganisationen. Diese Arbeit ist fortlaufend. Die Farbe schreit. Die Kette der Assoziationen ist lang, erinnert auch an die Mohnblumenarbeit Ivekovićs bei der documenta 12 (2007). Wie Flugblätter landen diese auch außerhalb des Ausstellungsraums. Der Inhalt ist und bleibt Abfall.
In Works of Heart begegnet sich der ausgiebige Werkkomplex von Sanja Iveković entgegen zeitlichen Strukturierungen, die Zeitebenen stehen in Kollision. Das, was sich als eines der Motive durchzieht, sind die Gegenüberstellungen. Vorbild gegen Nachahmung, Imitation gegen Ursprung. Mechanismen der Massenmedien werden appropriiert und ausgebeutet. Das Material wird zum Mittel, das Persönliche oder vermeintlich Biografische mit Bildern oder Ausdrücken einer gesellschaftlichen Norm vermengt. In der Betrachtung wird der Ausgangspunkt manchmal undeutlich. Heute würden statt Models vermutlich irgendwelche Random-InfluencerInnen zu sehen sein. Die Medien haben sich verändert, die Bilder herrschen aber immer noch vor.