Malmö. Kudzanai Chiurai, Frida Orupabo und Eric Magassa. Wie Kurator Tawanda Appiah die Arbeiten dieser drei starken Stimmen der zeitgenössischen Kunst unter dem Titel FLIGHT präsentiert, ist in der Tat so luftig, dass sie in krassem Gegensatz zur thematischen Schwere des Themas steht. Die Ausstellungsfläche ist groß und übersichtlich. Ideen wird viel Raum gegeben, um gleichsam zwischen den ausgestellten Kunstwerken zu zirkulieren. Während die Kunstwerke über genügend nachhaltige Präsenz verfügen, um auch für eilige Besucher*innen ein guter Gegenstand der Kontemplation zu sein, entwickelt die Ausstellung ihren Inhalt doch eigentlich auch in der Luft zwischen den Werken, in den Spannweiten von Geschichte, Assoziationen und Klängen, die FLIGHT zu einer langen, komplizierten und einfallsreichen Lektüre machen. Als Kurator interessiert sich Appiah oft für das Erforschen von Klangarchiven, für die Bedeutung und Geschichte von Tonaufnahmen, und FLIGHT legt auch davon Zeugnis ab.
Eine Gruppe von Wörtern macht sich im kuratorischen Statement bemerkbar: fight-flight-freeze1. In einem kurzen schriftlichen Interview nuanciert Appiah: „Meine Recherchen haben mich dazu veranlasst, mich hinzusetzen und zu versuchen zu verstehen, wie diese automatische Reaktion im Schwarzen Alltag auftaucht und ihn beeinflusst.“ Innerhalb dieses Alltags bringt der Kurator drei verschiedene Ausdrucksformen von Schwarzsein zusammen: die panafrikanische, die diasporische und die nordische.
Als ich selbst in den frühen 1980er-Jahren in Rumänien das Alphabet lernte, schenkte mir meine Großmutter ein zerzaustes Abecedarium, ein Buch mit Buchstaben. Jedem Buchstaben war ein Wort zugeordnet, das seine Klein- und Großschreibung repräsentierte. Das große Z stand für Zimbabwe. Der Name des afrikanischen Landes war eines der ersten Wörter, die ich buchstabieren lernte. Jetzt, viele Jahre später, wo ich weiß, dass Zimbabwe erst 1980 seine Souveränität erlangte und unter seinem Namen anerkannt wurde, muss ich an die vielen kommunistischen, antiwestlichen und imperialistischen Assoziationen denken, die der Druck des Namens in einem rumänischen Kinder-Alphabetbuch mit sich brachte. Die komplexe Beziehung zwischen der panafrikanischen Unabhängigkeitsbewegung, den antikolonialen Bewegungen, dem internationalen Kommunismus und der Arbeit der Black Panther und ihrer Verbündeten in den USA wird hier in einem einzigen Wort lebendig.
Kudzanai Chiurai wurde 1981 in Zimbabwe geboren, als Kind eines Landes, das sich nach fast einem Jahrhundert des Widerstands gerade von seinem weißen kolonialen Unterdrücker befreit hatte. Die Library of Things We Forgot to Remember wurde 2017 von ihm gegründet und ist ein stetig wachsendes Archiv afrikanischer politischer Dokumente und Plakate, Schallplatten mit politischen Reden und Musik sowie anderer Druckerzeugnisse, die sich mit der Geschichte Zimbabwes innerhalb der verschiedenen Befreiungsbewegungen in Afrika und darüber hinaus beschäftigen. Das Untergrundradio, seine Musik und seine Reden spielten in diesen Bewegungen eine zentrale Rolle, wie eine große Karte und eine eigens für die Ausstellung in Malmö von Chiurai geschaffene Installation von Radiostationen zeigen. Der Künstler fungierte als „Bibliothekar“ der Malmöer Version der Bibliothek, wählte den Inhalt der Installation aus und fügte dem Archiv eine Hörstation mit zeitgenössischen Stimmen hinzu. Letztere dokumentiert Sendungen einer neuen Generation junger südafrikanischer Denker*innen – Zara Julius, Mpho Moshe, Mohau Bosiu – und nimmt Bezug auf die bahnbrechende Ausstellung Ubuntu – A Lucid Dream, an der Chiurai maßgeblich beteiligt war und die von Marie-Ann Yemsi im Palais de Tokyo (2021–22) kuratiert wurde.
Diese Verbindung evoziert in den Hörer*innen Gedanken darüber, wie zahlreich und vielstimmig Schwarze kuratorische und künstlerische Positionen die Welt als ungerecht aufdecken und sich im Kampf gegen die neokoloniale Entropie neu positionieren.
Innerhalb von FLIGHT lassen sich viele historische Zusammenhänge herstellen, etwa zwischen afrikanischen Befreiungskämpfen, der Black-Lives-Matter-Bewegung und der afrikanischen Diaspora in Europa, wie in Eric Magassas ortsspezifischer Installation Blinking Blind (2023) zu sehen ist. Während der Rest der Ausstellung farblich dezent gehalten ist und den schattierten, abgenutzten Tönen von Archivmaterialien huldigt, wirkt Magassas großflächige, immersive Intervention in der Konsthall wie eine modernistische Collage aus allen Farben auf einmal. Es ist mittlerweile Gemeinplatz, dass afrikanische Kunst und insbesondere Masken eine direkte Inspirationsquelle für die europäische Avantgarde waren. Und die Maske ist ein beständiges, angeeignetes Thema der westlichen Kunst im 20. Jahrhundert. Auch wenn Blinking Blind eine ganze Welt von Bedeutungen in sich birgt, wird dies alles durch die idiosynkratische Verbindung des Künstlers mit seinen eigenen multiplen biografischen und ethnischen Wurzeln in Schweden, Frankreich und dem Senegal amalgamiert. Die Installation spiegelt dieses Dreieck wider: zwischen einem Ort, an dem jegliche koloniale Vergangenheit, Rassismus oder Schuld geleugnet wird (Schweden), einem Ort, an dem koloniale Opfer im Boden der Nation liegen (Frankreich), und einem dritten, dem Senegal, der möglicherweise eher eine Wiege von Legenden und schmerzhafter Geschichte ist als eine reale, alltägliche Erfahrung. Wie kann man als Künstler in all diesen Räumen fast gleichzeitig existieren? Vielleicht erfüllt von Trauer und rituell, wie ein maskierter Geist, der in auffällige IKEA-Stoffe gekleidet ist, die Welt durchquert und ihre Ungerechtigkeit anprangert – Armut, rassistische Denkmäler, Vergessenheit, Suffizienz.
In mehr als einem Raum gleichzeitig zu existieren, ist etwas, das auch in Frida Orupabos Werk, das in der Ausstellung großzügig gezeigt wird, zu finden ist. Orupabos Collagen fliegen, schweben und dominieren den Blick der Betrachter*innen. Die Künstlerin arbeitet sowohl mit digitalen als auch mit physischen Montagen von Archivfragmenten, oft, aber nicht ausschließlich, aus kolonialen Archiven, vor allem aber mit Fragmenten aus dem Internet – wie Tumblr, unscharfe Vergrößerungen dessen, womit das Internet die Welt überschüttet. Orupabos Beitrag in FLIGHT ist derjenige, welcher in der Ausstellung am stärksten die eigene Präsenz und die Position der Betrachtenden in der nordischen Realität verankert, indem er einen einfachen und effizienten Mechanismus nutzt: jenen, den Blick zu verkehren. Über diesen Akt der Renitenz ist schon viel geschrieben worden. Die Künstlerin stellt Foto- und Videocollagen, Skulpturen und Reliefs von Gesichtern mit dunklem Teint auf dunkleren oder helleren Körpern mit menschlichem oder nicht-menschlichem Aussehen zusammen. Jedes dieser Gesichter richtet seinen Blick direkt auf die Betrachter*innen. In einem Gespräch zwischen Frida Orupabo und der derzeitigen MACBA-Direktorin Elvira Dyangani Ose aus dem Jahr 2020, das im Katalog Hours After der Künstlerin veröffentlicht wurde, bemerkt Orupabo: „Der Blick hat auch etwas sehr Vertrautes, das ich aus meiner eigenen Erziehung kenne – ich bin in Norwegen in einer überwiegend weißen Gesellschaft zusammen mit meiner Schwester in einer weißen Familie aufgewachsen. Ich hatte lange Zeit das Gefühl, dass ich nicht sprechen kann. Das Einzige, was ich hatte, waren meine Augen und meine Wut. Wut ist eine Form des Widerstands.“
Die Sujets der Collagen der Künstlerin sprechen stark von einem Bezugspunkt ihrer Herkunft, von einer angestammten Schönheit, die in ihrer Haut die Kraft des Widerstands trägt und schließlich mit Trotz oder Stolz in die Augen ihres Unterdrückers oder ihres Gegners blicken darf. Wenn man diese aufrechten, ruhigen Gesichter betrachtet, kann man fast die Bewegung eines Porträts aus einem kolonialen Archiv erahnen: Sie hebt ihre Augen und kehrt ihr Profil zurück, um jedem in Sichtweite mit einem Blick zu begegnen, der bereit ist, Absolution und Abrechnung zu bringen.
Um durch FLIGHT zu führen, hat der Kurator ein Programm zusammengestellt, das verschiedene Aspekte der Ausstellung beleuchtet. Einer der Gäste ist Jonelle Twum, die Gründerin und künstlerische Leiterin von Black Archives Sweden. Im Rahmen von Black Archives Sweden findet unter anderem ein Sammlungsprozess statt: Wertvolle Fotos aus den persönlichen Archiven Schwarzer schwedischer Menschen werden zusammengetragen, um eine Geschichte zu rekonstruieren, die – nicht aus eigenem Willen – fehlt. Durch die Arbeit dieses und anderer ähnlicher Projekte werden wichtige Schritte unternommen, um das Paradigma des Rassismus und der Nichtbeteiligung im Norden zu verändern, da eine neue Generation Schwarzer und brauner Künstler*innen und Intellektueller bereit ist, eine aktive Rolle in diesem Wandel einzunehmen.
Übersetzt von Josef Chwatal
[1] Die biologischen Stressreaktionen wurden von dem US-amerikanischen Physiologen Walter Cannon in der sogenannten Fight-or-Flight-Theorie zusammengefasst. Er erforschte die neurobiologischen Abläufe der Reaktion von Tieren auf Bedrohung und leitete daraus die Kampf-oder-Flucht-Reaktion ab. Diese Theorie beschreibt die schnelle psychische und physische Anpassung an Gefahrensituationen.