Frankfurt. Diese Frau machte die richtige Kunst zur richtigen Zeit. Dabei stellte sich ihr Erfolg mit Arbeiten ein, die dem Zeitgeist eigentlich entgegenstanden. Als Rosemarie Trockel Mitte der 1980er-Jahre mit ihren Strickbildern bekannt wurde, war der Trend zu einer New-Crafts-Bewegung beziehungsweise zum feministisch unterwanderten Knitting noch nicht absehbar und auch keine queeren Umdeutungen patriarchaler Kunstgeschichte rollten das Feld neu auf. Umso erstaunlicher ist es, dass Trockel, geboren 1952 in Schwerte (D), gerade mit ihren textilen Werken Aufsehen erregte. Diese Arbeiten sind weit entfernt von der Strick- und Bastelästhetik altbewährter Handarbeitstechniken, sondern vielmehr distanzierend maschinell hergestellt und mit Texten wie „Made in West Germany“ oder dem Wollsiegel-Gütezeichen endlos wiederholt eingewebt. „Schon die industrielle Fertigung pervertiert das Klischee der mit Stricknadeln klappernden Frau, die Motive entlarven es“, schrieb die Zeitschrift Emma in einer Eloge anlässlich einer großen Retrospektive 2006 in Trockels Wahlheimat Köln.
Die schlicht Rosemarie Trockel betitelte Werkschau, die nun in Frankfurt im Museum für Moderne Kunst läuft, ist, glaubt man den kolportierten Meldungen der als medienscheu geltenden Künstlerin, die erste Ausstellung seit 2015, dem Jahr, in dem ihre letzte große Ausstellung im Kunsthaus Bregenz zu sehen war. Sie wolle, meinte sie damals, sich nun sieben Jahre lang ganz ihrer Kunst widmen und auf neue Arbeiten konzentrieren. Auch diese Selbstbestimmtheit, unabhängig vom Marktgeschehen und unbehelligt von lästigen Galerist*innen, hat in der Kunst Seltenheitswert. Zu sehen sind in Frankfurt indessen nicht nur neuere Arbeiten, sondern schwerpunktmäßig auch ältere Werkgruppen – für Besucher*innen, die mit Trockels Werk nicht so vertraut sind, eine gute Gelegenheit zum Einstieg.
Herdplatten sind so etwas wie ein weiteres frühes Label von Trockel. Anfang der 1990er verwendete sie Dutzende dieser absolut unsexy elektrischen Haushaltsgeräte mit der ihnen innewohnenden doppeldeutigen sexuellen Symbolik. Diese werden prosaisch auf Stahlplatten angeordnet und wie ein Bild auf der Wand präsentiert oder in beheizbaren Installationen verfremdet. Ein Kochfeld mit einer Stricknadel als Tonabnehmer ergibt einen Plattenspieler und erinnert ans Multitasking im Care-Alltag – das Ganze noch mit verführerisch schimmerndem roten Plexiglas umhüllt. Aus profanen Alltagsgegenständen mehrdeutige Emblemata zu generieren, dies zieht sich leitmotivisch durch alle Werkphasen hindurch.
Bildwürdige Gegenstände aus Duchamps Readymade-Setzkasten fand Rosemarie Trockel überall: Perücken, Eier, Hemden (gerne in Weiß), Möbelstücke, Filmzitate. Ihre tiefere Bedeutung entfalten die Objekte oft über die Titel: Dream Turtle beispielsweise ist ein mausgrauer Polstersessel, der mit einem radikalen Querschnitt quasi enthauptet wurde und sein verstörendes Inneres preisgibt (2007). In der Serie Briefe an Gott von 1994 wiederum findet sich ein Filmausschnitt mit Marilyn Monroe und Arthur Miller, der anlässlich der Hochzeit der beiden aufgenommen wurde. Die Ambivalenz von Titel und Werk – oder je nachdem die Korrespondenz von beidem – verkörpert sich in den Klischeebildern bestimmter gesellschaftlicher Erwartungshaltungen, die das Individuum in moralische Korsette zwängt. Wenn sich Rosemarie Trockel über weibliche Rollen und Rolemodels Gedanken macht, dann auch durch medial vermittelte Sehnsüchte aus Popsongs, wie im berührenden Interviewfilm Julia 10–20 Jahre, in dem das Mädchen unvermittelt Toni Braxtons Hit Unbreak my Heart zu singen beginnt.
Genauso aber widmet sie sich Tieren und ihrem durch den Menschen zerstörten Lebensraum: Rote Keramiken zementieren unser Verhältnis zur Fleischproduktion, diverse Skulpturen berichten von der desaströsen Beziehung Mensch-Tier: Ein hängender Seehund (dieser wirkungsvoll im Foyer), ein sterbendes Reh, eine gezeichnete Serie von Affenporträts oder ein Schwarm von ziehenden Staren, die Trockel einst in Neapels Hafen filmte. Der Film dazu (Napoli, 1994), unterlegt mit Jimy Hendrix’ Third Stone from the Sun, zeigt nichts als den sich verdunkelnden und wieder aufhellenden Himmel.
Beeindruckend ist nicht nur die Klarheit, mit der sich Trockel verschiedener, auch schwieriger, weil vielleicht zu populären Themen bemächtigt, beeindruckend ist auch die Menge an bildnerischen Mitteln, mit denen sie arbeitet. Buchstäblich alles ist da, und alles kann sie: Installationen, Fotografie, Keramik, Objekte, Zeichnungen, Assemblagen, Videos. Die Qualität ihrer Arbeiten liegt nicht nur darin, dass überall ein tieferer Bildwitz eingearbeitet wurde – der oft kritisch-ironisch ist und männlichen Geniekult genauso wie kleinbürgerliches Spießertum entlarvt –, sondern auch, dass das einzelne Werk so schlüssig ist. Bei aller simplen Bildsprache geben sie einem Rätsel auf. Das Objekt Spiral Betty etwa fasziniert, auch wenn man die Titelanspielung auf Robert Smithsons – entlarvt als sakrosankter Künstler-Künstler der 1970er-Jahre – Spiral Getty nicht kennt: Die drastische Umdeutung der ikonischen Land-Art-Spirale in einen weiblichen Eierstock, ästhetisiert mit einer leuchtenden Neonröhre, ist ziemlich smart.
Nicht zuletzt überzeugt auch die scheinbar leise und unaufdringliche Biografie, die sie zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen machte: Einem Studium in den 1970er-Jahren der Anthropologie, Soziologie, Theologie und Mathematik folgte die Ausbildung zur Malerin. Von 1997–2016 war sie Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf und bespielte 1999 als erste Frau den Deutschen Pavillon in Venedig. Sie lebt und arbeitet in Berlin-Potsdam.