Wien. Immer im Fluss, immer in Weiterentwicklung ist die persönliche Identität eine Frage, der eine Antwort nicht genügt. So zeigte Roman Kurzmeyer in der Galerie nächst St. Stephan im Rahmen des fünfwöchigen Galerienfestivals Curated by Arbeiten von Gritli Faulhaber, Brian O’Doherty und Mia Sanchez, die sich jeweils auf ihre ganz eigene Art mit dem Identitätsbegriff auseinandersetzen.
Faulhabers malerischer Ansatz ist in mehrerlei Hinsicht simpel, schematisch und kleinformatig. Die Aufmerksamkeit wird jeweils vom Hauptmotiv, oft das Porträt einer bekannten oder auch unbekannteren Frau, angezogen, auf das wir projizieren sollen. Mit kurzen dynamischen Strichen akzentuiert die Künstlerin deren Identität, die historisch so oft verschleiert und weniger prägnant erschien. Formal betrachtet erscheinen Faulhabers Bilder unfertig oder unvollständig. Gleichzeitig spielt sie mit den zahlreichen Möglichkeiten einer Malerin, die ihren Platz in der Kunstgeschichte sucht. So befindet sich unter den Porträts Les petits (Für Lili & Gerda) aus dem Jahr 2023, auf dem Gerda Wegener, eine dänische Malerin und Illustratorin, abgebildet ist. Faulhaber versucht, durch ihre Porträts die Aufmerksamkeit auf mehr Frauen in den Künsten zu lenken. So ist der Les petits (Rosemarie Trockel, hier und doch nicht) betitelte liegende Frauenakt aus dem Jahr 2023 eine Hommage an die deutsche Konzeptkünstlerin Rosemarie Trockel. Bei beiden, auf weißer Leinwand ausgeführten Gemälden geht es nicht um die formale Gestaltung des Bildraums. Sie fungieren vielmehr als Fußnoten zur Analyse der Position von Künstlerinnen in der Kunstgeschichte.
Die vielen Facetten persönlicher Identität werden in der Ausstellung von Brian O’Doherty mit seinem Werk Aspen 5+6 (1967), begleitet von einem Sammelband sowie seinem letzten Roman, ausgeleuchtet. Sein Leben lang war O’Doherty für seine Analyse der „weißen Zelle“, also des pseudoneutralen Ausstellungsraums, berühmt, der jede Kunst zu einem zeitlosen Objekt mache. Als Künstler und Schriftsteller war er indes weniger für seine Pseudonyme bekannt, die er überhaupt erst 2012 bekannt gab. So veröffentlichte er zwischen 1970 und 1973 ein paar Texte unter dem Namen Mary Josephson, welche nun 2018 unter dem Titel A Mental Masquerade, When Brian O’Doherty was a Female Art Critic: Mary Josephson’s Collected Writings bei Spector Books erscheinen konnten. Pseudonyme und das Spiel mit der Geschlechtsidentität galten immer schon als antiautoritär, waren für den Künstler aber auch eine Möglichkeit, anderen ein kohärentes Selbstbild vorzuenthalten. Zur Dokumentation von O’Dohertys Umgang mit verschiedenen Identitäten wird in der Ausstellung auch sein 2014 bei Sternberg Press erschienener Roman The Crossdresser’s Secret präsentiert. Es handelt sich um den fiktiven Bericht des Chevalier d’Eon, einer französischen Berühmtheit und eines Spions, der sowohl als Mann als auch als Frau lebte.
Der Ansatz, den Mia Sanchez für die persönliche Identität wählt, gemahnt gewisser konsumistischer Faktoren, die an ihrer Produktion mitwirken. Ihre drei 2023 entstandenen Siebdrucke tragen den Titel Strategies und beherrschen mit ihrem großen Format den Ausstellungsraum. Die unbehandelten Leinwände präsentieren Dresscodes, mit denen Gender geregelt und kenntlich gemacht wird. Dazu fotografiert sie einzelne Kleidungsstücke, die sie dann auf dem Bildträger anordnet und einfarbig druckt. Die Dresscodes spielen damit nicht nur auf den Reiz kommerzieller Produkte an, sondern zugleich auch auf unsere konformistische und nach Gender getrennte Selbstdarstellung. So sehen wir auf Strategies (Cat-Dog) fünf Kleidungsstücke, die für einen Typus stehen, den man gut aus der Werbung, von Fernsehshows und von Memes in den sozialen Medien kennt. Cowboystiefel, Jeans, T-Shirt mit dem Peace-Zeichen, Holzfällerhemd und Mütze gehören allesamt zu einem ganz bestimmten Männertyp. Genormt durch ihre Warenform lässt die Kleidung wenig Raum und noch weniger Wahl, sich selbst als Einzelne*r auszudrücken. Die Figur des oder der Konsumierenden, wenngleich hier abstrakt dargestellt, wird also auf die Betrachtenden zurückgeworfen. So sind Sanchez’ Siebdrucke nicht bloß Kommentar, sondern ein Spiegel unseres Konsumverhaltens.
Da Faulhaber, O’Doherty und Sanchez jeweils unterschiedliche Nuancen der Identitätsbildung behandeln, hat die Gegenüberstellung ihrer Werke etwas Spannendes und Ungewöhnliches an sich. Sie ziehen die so persönlichen wie kollektiven Fäden der Selbstproduktion nach ganz verschiedenen Richtungen auseinander. Einerseits erweitert Faulhaber das Namensregister der Frauen in der Kunst und O’Doherty verwendet verschiedene Pseudonyme für seine Kunstproduktion, während andererseits Sanchez die Grenzen bestimmter Identitätspositionen innerhalb des repetitiven Zyklus der Ich-Produktion festhält.
Der Text ist im Rahmen des Projekts Visiting Critics Vienna 2023 in Kooperation mit dem Verein K entstanden.
Übersetzt von Thomas Raab