Heft 4/2023 - Artscribe


Robert Gabris – This Space Is Too Small For Our Bodies

8. September 2023 bis 18. Februar 2024
Belvedere 21 / Wien

Text: Melanie Letschnig


Wien. Beim Betreten des Ausstellungsraums stellt sich eine seltsame Temperatur ein, kalt und warm zugleich. Als ersten Grund für diese Ambivalenz identifiziere ich das Pastellrosa, mit dem die Wände im Untergeschoss des Belvedere 21 gestrichen sind – eine kühle Nuance. Es spielt zusammen mit den Zeichnungen von Robert Gabris, die Rosa als dominierende Farbe variieren, wärmer als die Wand, so entstehen die räumlichen Hitze- und Kältewallungen – This Space Is Too Small For Our Bodies. Die von Christiane Erharter kuratierte Schau breitet das künstlerisch umfangreiche Œuvre in der kleinen Halle aus. Ein ganzes Universum: Insekten, menschliche Organe, Erinnerungen an den Vater. Ein Manifest über die Rückeroberung eines von außen politisch verunstalteten Körpers, der in all den Arbeiten, die hier zu sehen ist, zärtliche Zuwendung erfährt und sein Selbstbewusstsein poetisch manifestiert. Ein „Raum für fluide Körper“, wie es im Einleitungstext zur Ausstellung heißt, und dieses Changieren zwischen verschiedenen physischen Erscheinungsformen, die sich aus Realität, Schwellen und Fantasie speisen, feiert Gabris, indem er unter Zuhilfenahme seiner virtuosen künstlerischen Fähigkeiten Diskurse um Gewalt, Diskriminierung und Auslöschung in sinnliche Safe Spaces verwandelt.
So viel Schönheit auf einem Fleck. Ein Ensemble aus Schmetterlingsformen hängt von der Decke. Die Insekten bestehen aus Karton, der von Gabris mit entomologischen Motiven bemalt wurde, die Ränder gesäumt mit verflochtenen Kordeln, die auch von den Leibern herabhängen. Nicht nur breiten sie die Flügel aus, manche von ihnen fächern den Kopf als Papierfaltarbeit zusätzlich auf, alle werfen dämmrige Schatten in unterschiedlichen Intensitäten an die Rückwand, wo auch ein Foto hängt, das zwei Personen zeigt, die durch das Tragen der Objekte als Gesicht und Torso selbst zum Insekt mutiert sind. Bodyshop heißt die Serie an Zeichnungen, aus der diese dreidimensionalen Larven hervorgegangen sind, mit denen es möglich ist, die äußere in eine Wunschhülle zu transformieren.
Ein wiederkehrendes Element in der Ausstellung ist Gedärm, das sich wie ein rosa Faden durch den Raum zieht. Es begegnet den Betrachter*innen in einem riesigen Triptychon, flankiert von einer Positiv- und einer Negativform von Schrift und einer angrenzenden Arbeit, in der eine gezeichnete Menschenhand wahrscheinlich damit beschäftigt ist, die Verschlingungen lösen zu wollen. Was zum Vorschein kommt, ist ein Geheimnis, platziert in einem Fensterchen in der Mitte des Bildes. Die Arbeit erinnert damit in ihrer Konsistenz an jene Kinderbücher, in denen sich durch mechanisches Einwirken geheime Räume und Ausstülpungen eröffnen, die der Oberfläche eine weitere Dimension hinzufügen. Dieses Prinzip der Expansion wendet Robert Gabris auch in die Gegenrichtung an, wenn in den Zeichnungen der Serie My Country, my Blood Darmteile so stark vergrößert werden, wie es mit bildgebenden Verfahren sonst eigentlich nur in der Medizin möglich ist. Koloskopische Studien, die durch den filigranen Strich Gabris’ nicht angstbesetzt wirken, sondern zärtlich.
Die politisch mit Sicherheit direkteste Arbeit in der Ausstellung ist das Manifest MI SMO ERROR, das eine ganze Wand des Raumes bespielt, bestehend aus dem in Rot auf weißes Leinen gestickten Manifest in slowakischer Sprache, in dem Gabris ganz konkret auf die – wie es im Manifest heißt – „Roma-Identität“ Bezug nimmt, sie als produktive Störung zu erkennen gibt, die die Seite der Unterdrückenden in die Schranken weist, während sie selbst aufblüht. Auf Stoff applizierte Fotos von Körperpartien, die sich berühren, teilweise transparent verhüllt, teilweise bereits auf behutsam zerfaserten Bildträgern angebracht. Alles an dieser Arbeit signalisiert einen offenen Körper – davon zeugen auch die an den einzelnen Paneelen angebrachten, bestickten Spruchbänder, die die Bedeutungsschichten miteinander verbinden oder einfach ins Leere hängen. Hier verdeutlichen sich Existenzen, die Verwundungen durch andere bereits absorbiert haben oder sie vorwegnehmen, um so der äußeren Bedrohung die Deutungsmacht abspenstig zu machen.
Identität und Geschichte der Rom*nja sind auch Thema in einer Serie von Kupferstichen mit dem Titel The Blue Heart, in der Robert Gabris Motive, die sein Vater im Gefängnis tätowiert hat, wieder aufnimmt und in Referenz auf das Medium des Stichs adaptiert, indem zum Beispiel eine Nadel eine Fußsohle mit blauer Tinte tätowiert. Künstlerische Technik und Erzählung werden so eins.
Einen aufregenden wie einladenden Organismus aus Verwundung und stetiger Heilung hat Robert Gabris mit This Space Is Too Small For Our Bodies kreiert – möge er sich abseits des Museums weiterhin Raum verschaffen.