Heft 1/2024 - ArtGPT


„Es ist so einfach, ein interessantes Bild zu produzieren“

Interview mit der KI-Künstlerin Beth Frey

Tilman Baumgärtel


Die Karriere der kanadischen Künstlerin Beth Frey hat es nicht geschadet, dass sie sich in den letzten beiden Jahren mit Methoden der Bilderzeugung mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigt hat. Seit mehr als einem Jahrzehnt schafft Frey, die nach ihrer Ausbildung als Malerin und Zeichnerin auch mit Video, Skulptur und Installation gearbeitet hat, makabre und knallbunte Bilder von Körpern, die sich jeder Norm entziehen. Die Arbeiten, die sie mit KI-Anwendungen wie DALL-E produziert und auf ihren Instagram-Kanälen @sentientmuppetfactory und @bethisms veröffentlicht, haben ihr nicht nur viele neue Follower eingebracht, sondern auch die Aufmerksamkeit der Kunstkritik sowie eine Ausstellung auf der Website des Datentransferdiensts WeTransfer1, mit der sie ein Mehrfaches an Publikum erreicht haben dürfte als bei einer prestigeträchtigsten Museumsausstellung.
Während Computerkünstler*innen in der Vergangenheit zum Teil sogar eigene Software zur Bilderzeugung programmiert haben, gibt Frey heute so lange „Prompts“ in Bildgeneratoren wie Midjourney ein, bis dabei etwas herauskommt, was ihrer Bildsprache entspricht. Das „Prompt-Schreiben“ ist bei Frey gleichsam zu einer eigenen Kunstform geworden. Doch inzwischen sieht die Künstlerin, die in Montreal und Mexiko City lebt, auch die Probleme, die mit einer allzu leichten Bildproduktion durch KI verknüpft sind.

Tilman Baumgärtel: Ihre Arbeit ist oft vom Grotesken geprägt: verdrehte, deformierte Körper, grimassierende Gesichter, oft posierend in bühnenbildartigen, unwirklichen Räumen. Wie passen diese verstörenden Motive zu der bunten, Pop-Art-artigen Palette, die Ihre Bilder prägt?

Beth Frey: Schon vor der Arbeit mit KI habe ich mich von thematischen Widersprüchen angezogen gefühlt. Ich nutze gerne eine Bildsprache, die einladend ist: fröhliche Farben, ein vertrauter, cartoonartiger Stil. Das zwingt beim Betrachten dazu, genauer hinzusehen, sobald man merkt, dass etwas Dunkleres unter dieser Oberfläche liegt – und dass beides gleichzeitig existieren kann. Humor ist für mich auch eine wichtige Strategie, um sich schwierigen Themen zu nähern und die Betrachter*innen in diese Welt einzuladen.

Baumgärtel: Die mittels KI produzierten Bilder sind ebenfalls oft grotesk, weil sie aus verschiedenen Quellen zusammengebaut sind, ohne dass die Semantik der Bildmotive dabei verstanden wird. Ist das ein Grund, warum diese Art der Bildproduktion für Sie besonders gut funktioniert?

Frey: Wahrscheinlich. Ich liebe es, technische Störungen und Glitches zu produzieren, und suche nach Methoden, um die KI zu verwirren. Oft arbeite ich mit „unmöglichen“ Bildbeschreibungen („Prompts“), zum Beispiel: „eine Frau, die als Nebenhöhlen verkleidet ist“. Ich war schon immer fasziniert vom Grotesken als einer Strategie, um sich gegen Schönheitsnormen zu wehren.

Baumgärtel: Frauen mit Nasen, die wie Gummiknüppel aussehen, ein weiblicher Kopf, der aus einer Einkaufstüte zu wachsen scheint: Sie nutzen oft solche seltsamen Kombinationen von Bildmotiven. André Breton definierte den Surrealismus einmal als „zufälliges Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“. Ist bei Ihnen ein ähnlicher Impuls im Spiel?

Frey: Natürlich! Was an der Arbeit mit Bildgeneratoren Spaß macht, ist die Tatsache, dass sie diese fantastischen, unmöglichen Bilder schaffen, die aussehen, als könnten sie im wirklichen Leben existieren. Es geht darum, die Methoden der Surrealisten weiterzuentwickeln, weil wir jetzt die Werkzeuge haben, diese realistisch erscheinen zu lassen.

Baumgärtel: Wie sind Sie auf KI als künstlerisches Werkzeug gekommen? Sie haben mehr als ein Jahrzehnt lang mit traditionelleren Kunstmedien gearbeitet, bevor Sie KI-Apps in Ihre kreative Praxis einbezogen haben.

Frey: Das begann mit meiner Arbeit mit Video. Zuerst habe ich Gratis-Apps für Smartphones in meine Aquarellpraxis integriert. Dann begann ich, online nach anderen Tools zu suchen, und vor fast zwei Jahren stieß ich auf den VQGAN+CLIP-Bildgenerator von der Softwarefirma NightCafé. Dieser war nicht annähernd so weit entwickelt wie die KI-Modelle, die es heute gibt. Mir gefiel diese App aber, weil die Bilder, die sie produzierte, abstrakt und voller Glitches waren, und weil sie verwirrende Bilder schuf, die man kaum erkennen oder interpretieren konnte. Ich habe über 10.000 Bilder mit NightCafé produziert und Methoden entwickelt, wie ich diese Bilder in meine Video- und Malpraxis integrieren konnte.
Im August 2022 bekam ich dann Zugang zu DALL-E, das mir zunächst nicht gefiel, weil es zu „perfekt“ war. Ich mag Unvollkommenheiten und Aussetzer, und es hat einige Zeit gedauert, bis ich meinen eigenen Ansatz für diese Art von KI gefunden habe. Während VQGAN+CLIP hervorragend für die Integration in meine Malerei geeignet war, schien DALL-E besonders geeignet für die Erstellung filmischer Bilder. Also begann ich, Standbilder imaginärer Filme zu produzieren. Das war die Bildserie, die im Internet populär wurde. Sie entwickelte sich aus der Frage: Wenn ich die Mittel hätte, um Filme zu drehen, wie würden diese aussehen? Viele der Bilder, mit denen ich am zufriedensten war, trugen ein Element des Zufalls in sich. Es geht darum, der KI einen Vorschlag zu machen und zu sehen, was sie damit anstellt, anstatt genau definierte Bilder zu verlangen.

Baumgärtel: Wie groß ist der Aufwand, diesen Anwendungen Ihren spezifischen visuellen Stil beizubringen? Erhalten Sie Ergebnisse mit ein paar Aufforderungen, oder braucht es viele Versuche und Umformulierung?

Frey: Ehrlich gesagt ist das nicht besonders schwierig. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich im Lauf der Zeit ein starkes Gespür für meine Einflussmöglichkeiten entwickelt habe. Schließlich geht es ja darum, die Stile und die Ästhetik, zu denen ich mich hingezogen fühle, mittels Texteingaben umzusetzen. Ich produziere Abertausende Bilder und wähle nur einige wenige aus, die mir gefallen. In gewisser Weise ist die Arbeit mit KI wie Kuratieren. Es ist so einfach, ein interessantes Bild zu produzieren; die Arbeit besteht darin, das Bild auszuwählen, das die richtige Geschichte erzählt.
Weil es so leicht ist, „interessante“ Bilder zu produzieren, musste ich allerdings hinterfragen, was „interessant“ für mich eigentlich bedeutet. Nachdem ich meine eigene Methode gefunden hatte, um Bilder in meinem Stil zu machen, war es einfach, das zu wiederholen, sodass es bald banal wurde. Darum begann ich, KI-Bilder aus Aufnahmen zu entwickeln, die ich von mir in meinem Atelier mit Requisiten gemacht hatte, um die KI zu verwirren und mich bzw. meinen Körper in die Bilder einzubringen. Danach habe ich einige dieser Bilder für Aquarelle benutzt. Aus einigen dieser Aquarelle habe ich dann wiederum Videos entwickelt. Ich fand es interessant, wie viel Mehrarbeit notwendig war, um mich in die Bilder einzubringen. Meinen Körper als Quelle für die Bilder zu verwenden, hat nicht nur die visuelle Qualität der Bilder verändert, sondern auch dazu geführt, dass ich mich mit diesen Arbeiten stärker verbunden fühle.

Baumgärtel: Die KI-Generatoren, die Sie verwenden, wurden mit Bildern aus dem Internet trainiert, die meist ohne Erlaubnis gesammelt wurden – möglicherweise auch Bildern von Ihnen selbst. Was halten Sie davon, und wie könnte man diesen Aspekt von KI regulieren?

Frey: Es ist beunruhigend, wie all diese Bilder und Daten für das Training von KI einfach so genutzt werden. Andererseits habe ich als Künstlerin selbst auch aus der Fülle von Bildern gelernt, die ich jeden Tag sehe: Collagen, Remixe und Appropriation sind in der zeitgenössischen Kunst seit Jahrzehnten üblich. Ich habe beim Einsatz von KI meinen eigenen persönlichen Ethikkodex, aber ich bezweifle, dass die Unternehmen das auch so handhaben. Als ich angefangen habe, mit KI zu experimentieren, war die Technologie noch nicht sehr ausgereift, und genau das war es, was ich am meisten daran liebte. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich KI-Tools entwickeln, fange ich an, mir Sorgen zu machen, was das alles im größeren sozialen Maßstab bedeutet. Ich denke, wir müssen kontrollieren, wie Bilder hier wie Rohstoffe genutzt werden. Aber ich weiß auch nicht, wie das gehen soll.