Heute können selbst die verstocktesten Bewohner*innen des rechten Paralleluniversums oder Wirtschaftsbosse die Realität des Klimawandels kaum noch leugnen oder verkennen. Die Greenwashing-Kampagnen der Konzerne wurden in den letzten Jahren vielleicht nur von Geldwäschekampagnen durch Kunst übertroffen. Es ist allgemein bekannt, dass man sich aus dem Kapitalismus nicht „hinauskonsumieren“ kann, genauso wie man sich aus dem Raubbau natürlicher Ressourcen nicht „hinaus raubbauen“ kann. In der Kunstwelt ist man sich dieser Probleme seit Jahren bewusst. Man weiß, dass neue Ansätze nottun, aber Wissen und Tun liegen etwa so weit auseinander wie die Art Basel Miami und die Frieze Seoul.
Lässt sich mittels Kunst tatsächlich ein so komplexes System wie das Klima und seine Wechselwirkung mit der Biosphäre neu denken? Nehmen wir als Beispiel die Arbeit des Institute of Queer Ecology (IQECO), eines umfassenden Projekts, an dem sich seit 2017 Schätzungen zufolge mehr als 100 Personen beteiligt haben. Das IQECO tauchte 2020 auf dem Radar zahlreicher Beobachter*innen auf und zwar mit dem Film Metamorphosis, der von den Künstler*innen, Musiker*innen und Aktivist*innen Mykki Blanco und Danny Orlowski eingesprochen wurde. Laut IQECO-Mitglied Lee Pivnik entstand der Film beim Versuch, die Grenzen zwischen Worten und Wirklichkeiten auf die Probe zu stellen. Als Inspiration diente Pivnik zufolge die Praxis des „Lügens oder Dehnens der Wahrheit“, die dem etablierten Umweltschutz, der in der Regel von 24 ausgestorbenen Arten pro Sekunde ausgeht, entgegenwirkt.
Die vierteilige Videoarbeit Metamorphosis wurde von dem so beliebten wie berüchtigten Kollektiv DIS aus New York in Auftrag gegeben, das auch die oft verhöhnte (insgesamt aber sehr vorausblickende) Berlin Biennale 2016 kuratiert hatte, und ist so etwas wie eine erweiterte Metapher, in der das Larven-, Puppen-, Metamorphosen- und Finalstadium von Raupen als Brennglas für die Betrachtung von menschlichem Verhalten dienen. Mit Anspielungen auf Mothra, das legendäre umweltfreundliche Monster der Toho Studios, leitet Mykki Blanco das Publikum durch einen bewusst offen gehaltenen Essay über den Charakter des Extraktivismus, über die ausufernde Finanzwirtschaft, die aus der kapitalistischen Produktionsweise resultierende Neigung zum Imperialismus und die Kooptierung queerer Politik durch Großkonzerne. Metamorphosis handelt wie gesagt weniger von „straighten“ Fakten (im mehrdeutigen Sinn) als von subjektiven Eindrücken. Es geht nicht um das Wirkliche, sondern um das Mögliche. Es handelt sich also um eine offen futuristische Position, die Pivnik so umschreibt, dass das Video „zum Widerstand, zur Fantasie, zum Träumen“ einlade.
Kann uns dieses Träumen retten? Nun, immerhin hat es uns das Institute of Queer Ecology beschert, und das ist ein Anfang. Aber eben nur ein Anfang. Die Aktivistin Naomi Klein, auf die sich das IQECO öfters bezieht, nannte eines ihrer Bücher No Is Not Enough, [deutscher Titel Gegen Trump], und das IQECO schließt sich dem an. In dessen Lesart der politischen Ereignisse gehören zum Nein auch die Träume, wobei sich die bisherigen Ausformungen an der Grenze zwischen süßem Traum und schönem Albtraum bewegen, etwa in dem einprägsamen Bild twinks fascinated by a dead seal, auf dem eine Gruppe hübscher Schnuckel beim Strandjoggen einen toten Seehund entdeckt. Kunstgeschichtlich Interessierte können hier Anklänge an Nicolas Poussins Et in Arcadia ego erkennen (mit Betonung auf ego). Jedenfalls liegt das Paradies gleich gegenüber der Hölle, und sich dessen bewusst zu sein ist die Währung, mit der man beim Fährmann die Überfahrt begleicht.
Dieses Werk entstand im Rahmen eines großen Projekts über die queere Heterotopie auf Fire Island in New York, das die Künstler*innen als Teil ihrer Boffo-Residency entwickelten. Andere Arbeiten, die dabei entstanden, waren weniger existenziell. So zeigen die heiteren Vogelbeobachtungen des Feminist Bird Club oder eine von der Gruppe dokumentierte „Feierabendorgie“ von Pfeilschwanzkrebsen nicht-destruktive Möglichkeiten auf, sich mit der Biosphäre auseinanderzusetzen. Obwohl das IQECO oft als alternatives Forschungsprojekt bezeichnet wird, erscheint es mir eher ein Projekt über „Wissensarten“ zu sein, wobei der Unterschied darin liegt, dass Forschung, ob im Guten oder im Schlechten, stets auch eine gewisse Instrumentalisierung impliziert, während das bloße Wissen meistens mehrdeutig ist. Informiert sein, aber eben machtlos, wie es bei Radiohead einst hieß.
Sind wir tatsächlich machtlos angesichts eines ökonomischen Darwinismus, dessen oberste Regel „survival of the shittest“ lautet? Wie die Schilderungen in Metamorphosis deutlich machen, hat die Macht eine variable und ungleichmäßig verteilte Quantität. Sogar zu wissen, dass man mehr Macht hat als vermutet, kann vor dem Zeithorizont jener Macht, gegen die man antritt, zu einem Gefühl der Machtlosigkeit führen. Du bist mächtiger, als du meintest? Prima. Aber hast du schon von Exxon gehört?
Hoffnung liegt in der DNA von Queerness, scheint das IQECO zu behaupten. Und das ist vielleicht nur die logische Folge davon, wie es sich positioniert, welche Kämpfe es ausgefochten und welche Wissensformen es im Laufe seines Bestehens entwickelt hat. In der Geschichte der queeren und homosexuellen Bewegung wurde die Natur beispielsweise oft als Bollwerk aufgefasst, gegen das man sich wehren müsse. Fast unweigerlich fallen uns Gesichter wutentbrannter fundamentalistischer Priester ein, die Homosexualität als „widernatürlich“ geißeln. Sogar scheinbar emanzipatorische Projekte wie das Xenofeministische Manifest sind in Bezug auf Queerness und Natur implizit defätistisch („Wenn die Natur ungerecht ist, müssen wir eben die Natur verändern!“ lautet einer der gnomenhaften „Alles ist möglich“-Slogans); doch die Biosphäre hat andere Pläne, was „natürlich“ ist und was nicht.
So bin ich sicher nicht der Erste mit dem Hinweis, dass Ökologien per se schon ziemlich queer sind, was sexuelle Expression und Identität betrifft und insbesondere auch die Terminologie, die das IQECO verwendet. In Interviews beziehen sich die Mitglieder nicht selten auf eine Definition von queer von bell hooks: „queer verweist auf ein Ich, das sich der gesamten Umwelt entfremdet fühlt und sich deshalb einen eigenen Ort (er-)finden und schaffen muss, an dem es sprechen und florieren und leben kann.“ Dieser Definition gemäß ist heutzutage so ziemlich die gesamte Biosphäre queer. Die Statistiken sprechen in etwas so deutlich wie alles, was man in der Berliner Panorama Bar zu hören bekommt.
Was bedeutet es also oder kann es bedeuten, zu Queerness gezwungen zu sein? Unser Planet und seine unzähligen verletzlichen Bewohner*innen finden es gerade heraus. Es ist dem IQECO hoch anzurechnen, dass es nicht so tut, als spreche es explizit oder implizit für andere Spezies. Entscheidend ist die Frage, ob sich in der uns noch verbleibenden Zeit ein ökologisches Bewusstsein ausbilden kann und wir sinnvolle Maßnahmen ergreifen. Ist die Kunst dazu verdammt, dieser Bewegung nachzulaufen, oder kann sie voranschreiten? Unser Bewusstsein mag zwar ansteigen, aber, so ist zu befürchten, nicht so schnell wie der Meeresspiegel.
Übersetzt von Thomas Raab