Wien. Auf einem Gemälde im Foyer zum Hauptraum der Kunsthalle sitzen drei Frauen in Dreiecksformation auf bequemen Polstermöbeln im Wohnzimmer. Ihre Kleider sind bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, sodass sie ihre nackten Brüste mit den Händen fassen können. Die Nippel steil nach oben gerichtet laktieren die Frauen in spitzen Strahlen einen Kronleuchter an die Decke. Milky Way (2015) heißt diese Arbeit von Lucia Dovičáková und weist den Weg in eine Ausstellung, die sich – geht es um die Repräsentation von Frauen – einem der prominentesten Motive der Kunstgeschichte widmet, nämlich Busen. Zehntausende Jahre nackte Körper, geschwollene Formen, Projektionen von Allesfantasien: Brüste als Inbegriff fruchtbarer Weiblichkeit und männlicher Lust in Form von Fetischen, Allegorien, sakraler und weltherrschaftlicher Erotik.
Laura Amann, die Kuratorin der Ausstellung, hat einen erfrischenderen Zugang gewählt. Sie versammelt queere und feministische Positionen, die – bewusst bezugnehmend auf die ewig gleiche Mystifizierung der Brust als Symbol weiblicher Sexualität – ihre Kunstwerke mit sehr viel Lust und Humor formen, ansteckend, wie ich aus eigener Rezeptionserfahrung sagen kann. Die Ausstellung ist multimedial: Gemälde, Fotos, Videos, Skulpturen, Magazine, zweidimensionale Arbeiten auf dreidimensionalen Bildträgern – ein einnehmendes Spiel mit verräumlichter optischer Täuschung. Darker, Lighter, Puffy, Flat. Eine unbetitelte Serie (2016–22) von Misleidys Castillo Pedroso zeigt gezeichnete und ausgeschnittene Muskelpakete in bunten Farben, die vor Kraft dermaßen strotzen, dass jedes von ihnen mit zahlreichen Paketbandfitzeln auf dem Bildträger zurückgehalten werden muss. Nina Beiers Baby (2018/23) besteht aus drei nebeneinander an der Wand lehnenden sackförmigen Gebilden mit gerader Oberkante, deren Hauptkorpus aus einem champagnerfarbenen Stoff besteht, auf eine Art nach oben gespannt, dass die senkrechten Falten bezaubernd im Licht liegen und so den Gummiboden konterkarieren, in dem das Aufblasventil sitzt. Von vorn sieht es natürlich wie ein Nabel aus und dann die Entdeckung, dass sich ein Blick auf die Seitenansicht lohnt, die den Nabel allein durch den Perspektivwechsel in eine Brustwarze verwandelt. In der gesamten Ausstellung poppen diese Überraschungen auf, eine Schnitzeljagd nach gar nicht so versteckten Anspielungen und trotzdem sind die Aha-Momente so intensiv. Dies trifft auch auf Rafał Zajkos Installation Bread & Milk (2023) zu, in der aus Keramik gefertigte Maschinenteile an der Wand befestigt und eingebettet sind in eine Malerei, die irgendwie an ein U-Boot der Popgeschichte und an einen stilisierten Verdauungsapparat erinnert. Und da, inmitten der einzelnen Elemente die Nippel, die aus der Entfernung unsichtbar, bei näherer Betrachtung unheimlich fleischig aus dem Glacé hervorlugen. Es macht Spaß, sich einen Sport draus zu machen, alle zu finden.
Schon beim Verweilen im Vorraum der Kunsthalle war ein lautes Stöhnen aus dem Hauptraum zu vernehmen. Stellt sich beim Eintreten in die Halle heraus, dass es sich nicht um erotische Lustschreie handelt, sondern um eine Geburt in einem Spielfilm. Sie ist Teil der Arbeit When the Towel drops, Vol. 1/Italy (2015–18) des Kollektivs Radha May (Elisa Giardina-Papa, Nupur Mathur, Bathsheba Okwenje). Eine Versammlung von Filmszenen, in denen Frauen die Hüften schwingen und von Männern betatscht werden, dann wird geküsst, die Blusen öffnen sich, Ekstase zu sattem Fuzzrock, kurzes Schwarz, Schmerzensschreie. In der dramaturgischen Logik der Filme, die Radha May heranziehen, wäre das wohl der logische Lauf der Dinge, aber der Witz an When the Towel drops besteht eben darin, dass Anfang und Ende nicht so klar auszumachen sind, oder anders: Es muss nicht immer mit der Geburt enden.
Eine der berührendsten Arbeiten ist Andrea Éva Győris (1985–2022) Film Talking to Breasts (2018). Er dauert 45 Minuten, eine Großaufnahme ihres Torsos ist zu sehen, die langen roten Haare offen, die Brüste nackt. Die Künstlerin liebkost sie mit den Händen, knetet sie, spielt mit ihnen, wiegt sie in den Händen, langsam ändern sich die Bewegungsabläufe, der Griff wandert in die Achselhöhlen und plötzlich wird klar, dass die zärtliche Auseinandersetzung nicht nur durch die Liebe zum eigenen Körper motiviert wird, sondern auch einen Abschied darstellt, der der Krankheit geschuldet ist, es wird dunkler. Ich denke an meine Mutter, zwei Mal Brustkrebs, heute wohlauf, und meine immergleiche Angst bei der jährlichen Vorsorgeuntersuchung, die auch nach 25 Jahren nicht weniger wird.
Und so ist Darker, Lighter, Puffy, Flat eine Ausstellung, die zahlreiche Bezüge zur eigenen Biografie erlaubt, es wird nicht nur mir so gehen, ich verlasse das Museumsquartier mit einem Gefühl des Gesehenwerdens, weil die Kunst mich verstanden hat.