London. Diese Schau wirkt aufgrund der Thematik, auch unabhängig vom Umfang des Gezeigten über die Ausstellungsdauer hinaus in die Gegenwart. Sie beginnt mit Fotografien der Archivistin Chandan Fraser der Women’s Liberation Conference am Ruskin College in Oxford (1970), welche als Auftakt der zweiten Welle der Frauenbewegung gilt und in Folge den Startschuss für Zusammenschlüsse, Kollektivbildungen, Demonstrationen, Kampagnen, Kämpfe und auch Ausstellungen lieferte. Die Initialstimmung des sich entwickelnden aktivistischen Sogs machen diese Dokumentarfotos greifbar. Ob bzw. wie diese Artikulation des feministischen Aufbruchs in der Bevölkerung aufgenommen wurde, lässt sich wiederum in der von Zeitkolorit getränkten Dokumentation A Woman’s Place (1971) von Sue Crockford, Tony Wickert und Ellen Adams in den Straßenumfragen von Passant*innen recht unmittelbar und unterhaltsam überprüfen. Sie markiert ein wiederkehrendes Merkmal in dieser in sechs Abschnitte (unter anderem Rising with Fury, The Marxist wife still does the housework, Black Woman Time Now oder There’s no such thing as society) untergliederten Schau, da die vor allem medial sehr diversen Exponate immer wieder von exzellenten Dokumentarfilmen begleitet werden, somit kontextualisiert und innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungen des Zeitraums gesehen werden können. Dass sich dadurch kunst- und soziohistorische Momente immer wieder unterbrechen, überlagern und abwechseln, unterstützt die virulente Grundstimmung der Ausstellung: Hier ein Pamphlet oder Poster (See Red Women’s Workshop), dort die fotografische Dokumentation einer Performance (Anne Beans Shouting „Mortality“ as I Drown, Penny Slingers Open Invitation – Ready for Comsummation, Shirley Camerons Rabits – the Pregnant Bunny Girl, Mrs Rabbit and Woman as Animals), daneben eine Protestaktion (etwa gegen eine in London 1970 abgehaltene Miss-World-Wahl) oder ein Schlüsselwerk der politischen feministischen Konzeptkunst von Margaret Harrison, Kay Hunt oder Mary Kelly. Außerdem sind mehrere feministische Malerinnen (unter anderem Maureen Scott, Monica Sjöö, Carole Gibbons) mit Gemälden vertreten.
Sehr schnell zeigt sich auch, dass sich die einzelnen Künstlerinnen nicht auf ein gewähltes und dann gezielt verfolgtes Medium konzentrieren konnten – was für ihre Karrieren wohl besser gewesen wäre –, sondern in sehr vielen Kämpfen gleichzeitig und oft gemeinsam betätigten: Es ging ihnen um gleiche Rechte und gleiche Bezahlung, sie forderten Ausbildungsmöglichkeiten und Kinderbetreuung, Solidarität mit Arbeiterinnen und sie wollten den Beweis liefern, dass auch Frauen professionelle Kunstschaffende sind. Neben Berichten über kleinere Erfolge, wie der Verabschiedung des Equal-Pay-Gesetzes (1970) und dessen Inkrafttreten (1975), folgen auch immer wieder recht brutale Schilderungen über den tatsächlichen Status der Frau im Großbritannien der 1970er-Jahre: So berichtete etwa eine schottische Frau, nur dann vom Ehemann Zigaretten zu bekommen, wenn sie zuvor Sex mit ihm hat.1
Eine berechtigte Reaktion auf diese herrschenden Zustände ist der Schrei, wie er in dem 3 Minute-Scream von Malerin und Punkmusikerin (The Raincoats) Gina Birch durch die Museumsräume hallt. Im Punk setzte sich die Selbstermächtigung auch in der Musikindustrie, Mode und Jugendkultur fort.2 Schrille, bunte und schnelle Unterwanderungen von Schönheitsidealen, stereotypen Frauenbildern und barocken Akkordfolgen sorgen für eine popkulturelle Frischzellenkur von so wesentlichen Bandprojekten wie X-Ray Spex, The Slits, Delta 5, Mod-Dettes, Au Pairs oder Poison Girls. Ein ihrer Haltung verwandtes Projekt wie die Feminist Improvising Group (FIG) blieb dabei leider ausgespart, während sich mit Chris & Cosey’s klassischem Liebeslied October (Love Song) eine kleine Themenverfehlung einschlich.
Margaret Thatcher, die erste Frau an der Regierungsspitze, mehrte und verschärfte die sozialen Ungerechtigkeiten, woraufhin sich der Widerstand auf Friedens-, Antinuklear- und Abrüstungsproteste ausweitete. Innerbritische Konflikte wie der Minenarbeiterstreik, aber auch der Falklandkrieg trugen noch zur Ausweitung des Kampfs der Frauen bei, deren Einsatz für Frieden und gegen die Stationierung von Marschflugkörpern im Rahmen des Greenham Common Women’s Peace Camp bis ins Jahr 2000 andauerte. Greenham Women are everywhere titelt das Kapitel, in dem sich Jacqueline Moreaus Gemälde If Mary Came to Greenham (1983) direkt auf dieses Peace Camp bezieht, zu sehen ist aber auch das feine Textilbanner Thatcher’s thugs (1984) von Thalia Campbell, welches eine Szene der blutigen Auseinandersetzung zwischen streikenden Bergarbeitern und der Polizei in Orgeave in South Yorkshire (1984) darstellt. Gegen Rassismus, Sexismus und Polizeigewalt haben sich die Künstlerinnen engagiert, deren Arbeiten das Kapitel Black Woman Time Now zusammenfasst. Einmal mehr bieten auch dort in der Konzeption und Machart hervorragende Dokumentationen wie Who takes the Rap – immigration vom Women and the Law Collective (Regie: Lai Ngan Walsh, 1986) oder A tribute to black women (they don’t get a chance), produziert vom Black Women’s Media Project und WITCH (Women’s Independent Cinema House, 1986) detaillierten Aufschluss, Hintergrundinformation, Aufklärung und Kritik. Erstere schildert die Geschichte der Einwanderung in Großbritannien von 1903 bis 1986 und die zunehmend beliebiger werdenden Restriktionen und Schikanen in den Aufenthaltsbestimmungen, während Zweitere als Bildungsfilm für Schulen dem Grund nach mangelnder Bekanntheit von Women of Color in der Bevölkerung nachgeht. Zudem werden zu dem Zeitpunkt bereits von Vergessenheit bedrohte Leistungen von Frauen, wie jene der Pionierin der Krankenpflege Mary Seacole, wieder ins Bewusstsein rückt. Abschließend fokussiert Women in Revolt! queere bzw. Ableismus verdeutlichende Positionen, wobei die Übergänge in diesem wichtigen und überbordenden Projekt mit Signalwirkung zwischen den Kapiteln fließend sind – genauso wie sich auch die Kämpfe der beteiligten Künstlerinnen nicht auf die Zeitspanne der Ausstellung beschränken lassen.
[1] All Work and No Pay, produziert vom Power of Women Collective, Wages for Housework Campaign, BBC Open Door, 1976; https://www.youtube.com/watch?v=K2PdWfDm3b4.
[2] She’s a Punk Rocker U.K., Regie: Zillah Minx, 2010; https://www.youtube.com/watch?v=LHoJHMV0ybA.