Heft 1/2024 - Artscribe


Ján Mancuska – Incomplete Movement

11. Oktober 2023 bis 11. Februar 2024
fjk3 – Raum für zeitgenössische Kunst / Wien

Text: Susanne Neuburger


Wien. Erstmals in Österreich stellte das fjk3 Ján Mancuska in einer umfassenden Ausstellung vor, die von Fiona Liewehr gemeinsam mit Julia Hölz vom Ján Mancuska Estate kuratiert wurde. Es wäre durchaus Aufgabe eines der hiesigen Museen gewesen, den Künstler zu zeigen, der international ausgestellt und rezipiert wurde und 2011 mit 39 Jahren starb, was allerdings die Initiative des fjk3 umso verdienstvoller macht. Die Ausstellung konzentrierte sich auf wichtige Werkkomplexe des in Bratislava geborenen und in Prag ansässig gewesenen Künstlers, dessen beachtliches Œuvre in etwas mehr als einer Dekade entstanden ist.
Das Werk von Mancuska ist deshalb so wichtig, weil es in einer filmbasierten Medienvielfalt Strategien des Konzeptuellen und Dokumentarischen, wie man sie sowohl aus den Neoavantgarden als auch aus den 1990er-Jahren kennt, neu denkt. Bisweilen erweckt es sogar den Anschein einer Synthese daraus. Dennoch vollzieht Mancuska im Schwarz-Weiß von Film, Fotografie oder Text vor allem eine Art Perspektivenwechsel, wenn er Medien und Materialien einer neuen Ordnung unterzieht. Wiederholt hat er auf die Wechselwirkung der von ihm verwendeten Medien hingewiesen, die er gegeneinandersetzt, und auch von einer „Ontologie der Medien“ (Ausstellungstext) gesprochen. Seiner Arbeit ist denn auch eine Beweglichkeit eingeschrieben, die wechselnde Standpunkte erfordert und linear-narrative Abfolgen höchstens anklingen lässt.
Ebenso sind es räumliche, wenn nicht architektonische Dimensionen, die eine Rolle spielen, wie Mancuska 2007 in einem Vortrag in der Londoner AA1 seine Arbeit mit Grundrissen, Plänen und Diagrammen erläutert, die von Achsen und Blickrichtungen bestimmt sind und aufzeigen, wie er mit Fragen von Repräsentation und Sichtbarmachung umgeht und Texte einsetzt. Wie diese erfasst oder dann eben doch nicht erfasst werden können, belegt etwa die Fotoarbeit The Sought-After Object, die Textfragmente aufweist, die zu entschlüsseln sind, doch schlussendlich kein Bild ergeben. Um die Verbindung von Raum und Text geht es in From Wall to Wall, die einer Werkgruppe angehört, die Atelier und Galerieräume zu Gegenstand und Material machen. Seine nach Regeln und Konzepten erfolgten Raumerfassungen beginnen hier mit einem Video mit projiziertem Text, der von der Durchquerung des Raums spricht und schließlich bis zum Zielpunkt auf der angrenzenden Wand mit Metallbuchstaben fortgesetzt wird. „A THOUSAND MOMENTS FILLED WITH THE ACTIVITIES OF MY BODY“, ist dabei in dem Text zu lesen, der zwar von einem „Ich“ spricht, das allerdings wenig persönlich anmutet. Der Autor, so könnte man frei nach Roland Barthes sagen, verschwindet zugunsten der Schrift und überlässt die Aktion einer komplexen Konstruktion aus Bild und Sprache, die in Augenhöhe auf die Betrachter*innen ausgerichtet ist.
In der Ausstellung bildet eine am Boden liegende fast vier Meter lange Betonplatte eine Art Zentrum. Sie ist offensichtlich einer Straße nachempfunden und weist Spuren eines Fahrzeugs auf. Gezielt in die Mitte der Räumlichkeiten des fjk3 platziert, die bekanntlich von zwei Straßenseiten zu begehen sind, legt sie demonstrativ eine Spur nach außen, und wirkt inmitten vieler kleinteiliger Exponate, die mit Licht, filigranen Materialien und kleinem Format arbeiten, fast fremd. Etwaige Versprechen von dokumentarischer Ortsspezifizität sind für den Künstler gewiss keine Option, dennoch handelt die Arbeit von den Ansprüchen des Realen. Dass sein Realitätsbegriff nicht auf großer Narration, sondern auf Alltag und Erfahrung beruht, hat Mancuska selbst auch immer wieder erwähnt. Auf ihre Weise scheint die Arbeit den seit den 1980er- und 1990er-Jahren herrschenden Memorial-Boom zu zitieren, hat allerdings alles an Geschichtlichem hinter sich gelassen, womit die Fahrzeugspuren zu bloßgelegten leeren Erinnerungen ohne indexalische Referenzen geworden sind.
Hatten die 1990er-Jahren das Dokumentarische in Hinblick auf eine Ausweitung künstlerischer Felder ausgelotet, nimmt Mancuska einen Weg, der das Objektive im Sinne einer Wahrheitsfindung destabilisiert und Zugänge zum Realen zwar einbringt, doch visuell so auffächert, dass er sie damit auch wieder zurücknimmt. In der Arbeit The Other (I asked my wife to blacken all parts of my body, which I cannot see) zeigt er vor einem Leuchtkasten Bahnen von Filmstreifen, die aus einem Film stammen, in dem, wie der Titel sagt, seine Frau alle Teile seines Körpers schwarz anmalt, die er nicht sieht. Tatsächlich sind es Freunde, die die Aktion ausführen und Mancuska steht hinter der Kamera. Der Künstler, den wir vermeintlich von hinten sehen, ist in den komplexen Vorgang von Aktion und Präsentation so eingebunden, dass er zwar sichtbar, gleichzeitig jedoch abwesend ist. Autorenschaft bedeutet nichtsdestoweniger auch ihre Dekonstruktion und selbst mit den Betrachter*innen geht Mančuška eine Komplizenschaft ein, die von wechselnden Stand- und Blickpunkten bestimmt ist. Im Gegensatz zu einer üblichen filmischen Präsentation müssen wir nahe herantreten, um die kleinen Kaderbilder ausnehmen zu können. Wenn wir sie dann vor der Leere des Leuchtkastens imaginieren, befinden wir uns in einem gänzlich anderem Raum-Zeit-Gefüge, das uns selbst zu Protagonist*innen macht.
In Oppression Born from an Initial Figment sind es Objekte mit Licht und filigran eingebundenen Filmstreifen, die wie eine komplizierte Versuchsanordnung anmuten. In den Filmstreifen geht es um eine Handlung, die in einem beiliegenden Text beschrieben ist, dessen Figuren in den Filmstreifen aufscheinen. „But also, from what point of view we describe the story“, heißt es etwa in dem Text, in dem Perspektiven, Erzählerpositionen und Zeiten wechseln und Textketten mit Raumerfahrung konterkariert werden. Jemand kommt näher und man erkennt ihn trotzdem nicht: Als würden sich in der Schrift Identitäten auflösen, wie dies Barthes nicht unähnlich im Tod des Autors beschrieben hat.

 

 

[1] 2007 in der Architectural Association in London: https://www.youtube.com/watch?v=Gv4Y4J5aZ_s.